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REVIEW KINO: „Das Zimmer der Wunder“

Bewegendes Melodram über eine alleinerziehende Mutter, die ihren Sohn aus dem Koma retten will, indem sie die zehn Dinge für ihn erledigt, die er in seinem Leben unbedingt machen wollte.

CREDITS:
O-Titel: La chambre des merveilles; Land/Jahr: Frankreich 2023; Laufzeit: 94 Minuten; Regie: Liza Azuelos; Drehbuch: Juliette Sales, Julien Sandrel, Fabien Suarez; Besetzung: Alexandra Lamy, Muriel Robin, Hugo Questel; Verleih: SquareOne; Start: 16. Mai 2024

REVIEW:
Seit fast 20 Jahren dreht Liza Azuelos ihre äußerst zugänglichen mal mehr, mal wenigen komischen Geschichten von erwachsenen Frauen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen und in außergewöhnliche Situationen geraten, die sie ihre Existenz überdenken lassen. Schon mit dem ersten Film mit ihrer Lieblingsschauspielern Sophie Marceau, „LOL“, knackte sie den Jackpot, konnte sogleich in den USA ein Remake des eigenen Films drehen und ist seither zuverlässige Hitlieferanten zumeist knackig kurzer Filme, mit Ausnahme ihres Biopics über „Dalida“ allesamt kaum länger als 100 Minuten. 

Alexandra Lamy in „Das Zimmer der Wunder“ (Credit: SquareOne)

Mit 94 Minuten Laufzeit, aber auch inhaltlich und tonal fügt sich „Das Zimmer der Wunder“ fast nahtlos in das Schaffen Azuelos, wenngleich er ein bisschen mehr High-Concept ist, eine Variation der Bucket-List-Filme, zu denen aus Deutschland „Mein bescheuertes Herz“ und jüngst auch „Wochenendrebellen“ zählen. Deren Sinn für Humor würde man auch dieser ernsten, aber doch auch sehr ernst erzählten Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, Thelma, gespielt von der patenten Alexandra Lamy, die man in Deutschland besonders für „Ricky – Wunder geschehen“ und „Liebe bringt alles ins Rollen“ kennt, deren zwölfjähriger Sohn Louis nach einem Unfall auf dem Skateboard im Koma landet. 

Als sie in seinem Journal eine Liste findet, die die zehn Dinge beinhaltet, die er vor seinem Tod erlebt haben will, entscheidet Thelma, diese Liste abzuarbeiten, in der Hoffnung, damit nicht nur ihrem Sohn nahe zu sein, sondern ihn damit auch hoffentlich positiv zu beeinflussen und wieder zurück ins Leben zu holen. Weil es darum geht, in dem Film. Um das Leben und wie man es lebt. Die Liste beinhaltet profane Dinge, die sich leicht erfüllen lassen. Sie beinhaltet Dinge, die Thelma Rätsel aufgeben: Wer ist diese mysteriöse Figur, von der Louis unbedingt ein Autogramm haben will? Wie zum Teufel soll man es anstellen, mit den Walen zu schwimmen? Die Liste beinhaltet aber auch Dinge, vor deren Konfrontation sich die Frau scheut: Nur sie weiß, dass Louis‘ Vater, mit dem sie nur eine kurze Affäre hatte, keine Ahnung hat, dass er ein jugendliches Kind hat. 

Es ist also eine, wenn man so will, Éducation sentimentale, die Alexandra Lamy in der Hauptrolle durchläuft, der sie an verschiedenste pittoreske Orte der Welt führt, die sie sonst wohl nicht erlebt hätte: Tokio, Portugal, Schottland. Ein emotionaler Hindernisparcours ist es, der sie mit sich selbst und ihrem Leben versöhnt, der sie ihrem Kind, aber auch den Menschen um sie herum näherbringt, aber auch mit der Erkenntnis konfrontiert, dass Louis womöglich nicht wieder aus dem Koma erwachen könnte, ein Drama in der Schwebe zwischen Leben und Tod. Am Ende steht ein Happy-End, das allerdings bittersüß ist, weil es im Konjunktiv formuliert ist, nur eine Möglichkeit anbietet, ein bisschen wie der finale Handlungsschlenker von „La La Land“: Was der Film da zeigt, ganz zum Schluss, was man sieht, ist nicht unbedingt das, was ist. Entscheidend ist, dass die Hauptfigur sich ausgesöhnt hat mit sich selbst und den Menschen, die sie liebt. Dass es Liza Azuelos in ihrer bisweilen schon auch arg breitem Pinselstrich aufgetragenen Erzählung gelingt, das überzeugend in etwas mehr als 90 Minuten zu verhandeln, ist ein weiteres kleines Wunder von vielen, die von dem Zimmer ausgehen, in dem ein Junge regungslos verharrt und doch alles Leben in sich trägt. 

Thomas Schultze