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REVIEW VENEDIG: „Trois amies“

Tiefgründiges Beziehungsreigen, in dem sich drei beste Freundinnen in Lyon in einem überraschenden Bäumchen-wechsel-dich-Spiel wiederfinden.

CREDITS:
Land / Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 118 Minuten; Regie: Emmanuel Mouret; Drehbuch: Emmanuel Mouret, Carmen Leroi; Besetzung: Camille Cottin, Sara Forestier, India Hair, Grégoire Ludig, Damien Bonnard, Vincent Macaigne, Éric Caravaca

REVIEW:
Auf die Auswahl an französischen Filmen ist Verlass bei Alberto Barbera. Siehe Goldener-Löwe-Gewinner „Das Ereignis“ vor drei Jahren. Oder Rebecca Zlotowskis hinreißende Frauengeschichte „Les enfants des autres“. Und jetzt, als ersten von drei französischen Filmen im Wettbewerb der 81. Mostra, der neue Film von Emmanuel Mouret, weithin geschätzt für seine leichten und spielerischen Figurenanordnungen, in denen immer neue Liebesreigen durchgespielt werden, mit liebevollem und stets erwachsenem Blick. „Die Kunst der Liebe“ hieß 2011 der bis heute in Deutschland wohl bekannteste Film des 1970 geborenen Filmemachers (der 2021 für seine vorletzte Arbeit vor „Trois amies“, „Leichter gesagt als getan“, für drei Césars nominiert war). Das könnte zumindest auch der Untertitel für „Trois amies“ sein, Mourets erster Film im Wettbewerb eines der großen A-Festivals. Er ist vielleicht kein Muss im Löwen-Rennen, aber für die Laufzeit von 118 Minuten sieht man gerne zu, immer mehr, schließt man die Figuren und die große Sympathie des Regisseurs für sie mehr und mehr ins Herz. Er macht keine große Welle. Und genau deshalb ist das so schön.

„Trois amies“ von Emmanuel Mouret (Credit: Mostra Venedig)

Es hat eine elegante Beiläufigkeit, wie Mouret, der das Drehbuch zusammen mit Carmen Leroi geschrieben hat, seine Handlung entwickelt, mit ganz viel Rohmer im Blick. Ein allwissender Erzähler führt in die Welt des Films ein, während die Kamera über die in den nächsten 118 Minuten folgenden Schauplätze in und rund um Lyon schweift. Bald schon werden wir erfahren, dass die Stimme dem verstorbenen Ehemann von Joan gehört, der sich in seiner Verzweiflung nach ihrer Trennung von ihm betrunken ans Steuer gesetzt hatte und dann in seinen Tod gefahren war. Er ist ein gutmütiger allwissender Erzähler, ein Schutzengel Joans, um ihr Wohlergehen bemüht. Um drei beste Freundinnen wird es nun gehen, zwei von ihnen Lehrerinnen an derselben Schule, eine von ihnen eine glücklose Künstlerin, alle in verschiedenen, bisweilen verzweifelten Stadien ihrer Beziehungen. 

Joan, gespielt von India Hair aus „Es sind die kleinen Dinge“, macht sich Vorhaltungen wegen des Todes ihres Mannes, will sich auch um ihrer kleinen Tochter halber nicht gleich wieder in eine neue Romanze stürzen, lernt dann aber einen neuen Kollegen kennen, der verständnisvoll ist, liebevoll und eine Tochter im gleichen Alter hat, die er allein großzieht. Ihre Lehrerkollegin Alice, eine gewohnt patente Darstellung von Camille Cottinaus „Call My Agent“, ist seit langem in einer Beziehung mit Eric, gesteht aber selbst, dass ihre Liebe eigentlich erloschen ist. Sie weiß zwar, dass die dritte Freundin, Rebecca, gespielt von Sarah Forestier aus „Im Schatten von Roubaix“, eine geheime Affäre mit einem „Mister X“ hat, nicht aber, dass dieser Mister X ihr Ehemann ist. Das ist die Ausgangssituation für einen verblüffenden Reigen erfüllter und nicht erfüllter Erwartungen und Hoffnungen. Immer, wenn man denkt, das Beziehungskarussell komme zum Halten, gibt es einen neuen Dreh, eine neue Möglichkeit, tut sich eine neue Chance auf. Es dauert ein bisschen, bis man sich auf Emmanuel Mourets Feier der Normalität, Frauen in ganz normalen Klamotten, die in ganz normalen Wohnungen leben, ein bisschen unaufgeräumt und mit Billy-Regalen, eingestellt hat. Dann entfaltet der Film bei seinem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel einen besonderen Reiz, hat eine bezaubernde Qualität, auf die man sich einlässt hin zur allerletzten Volte, die der Film schlägt: Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Aber ohne geht nicht. 

Thomas Schultze