Login

REVIEW VENEDIG: „The Room Next Door”

Hinreißendes, modernes Melodram über eine New Yorker Schriftstellerin, die von einer guten Freundin gebeten wird, sie auf den letzten Tagen ihres Lebens zu begleiten.

CREDITS:
Land / Jahr: Spanien 2024; Laufzeit: 107 Minuten; Regie & Drehbuch: Pedro Almodóvar; Besetzung: Tilda Swinton, Julianne Moore, John Turturro, Alessandro Nivola, Juan Diego Botto, Raúl Arévalo, Victoria Luengo, Alex Hogh Andersen; Verleih: Warner Bros.; Start: 24. Oktober 2024

REVIEW:
Wenn ein Filmfestival einen neuen Film von Pedro Almodóvar im Programm hat, kann man sich schon einmal sicher sein, dass es minimal einen guten Film auf diesem Festival zu entdecken gibt. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche und trifft auch auf „The Room Next Door“ zu, die Adaption des 2020 erschienenen Romans „What Are We Going Through“ von Sigrid Nunez. Sie reiht sich nahtlos ein in zu dem neuen kreativen Höhenflug des knapp 75-jährigen Spaniers, der mit seiner künstlerischen Neuerfindung im Jahr 2016 einhergeht. Nach den davor immer verschachtelter werdenden, überbordenden, fast überkandidelten Genrefilmen wie „Zerrissene Umarmungen“ oder „Die Haut, in der ich wohne“ hatte er mit „Julieta“ eine neue Einfachheit und Klarheit gefunden und seither die Meisterwerke „Leid und Herrlichkeit“ und „Parallele Mütter“ erschaffen, die mit ihrer konzentrierten Ernsthaftigkeit und politischen Haltung einen Kontrapunkt setzen zu den perfekt und geschmackvoll komponierten Tableaux.

„The Room Next Door“ von Pedro Almodóvar (Credit: Warner Bros.)

Nun geht Almodóvar innerhalb dieser kreativen Neuausrichtung einmal mehr neue Wege, bewegt sich abermals aus seiner Komfortzone hinaus, verlässt erstmals sein Heimatland Spanien, um in Amerika auf englischer Sprache zu drehen. Und ist dabei sofort erkennbar „Almodóvar“: Dieses New York könnte auch Madrid sein, die Figuren, die hier die Oscargewinnerinnen Tilda Swinton und Julianne Moore spielen, könnten auch von zwei seiner spanischen Musen gespielt werden. Die Farben, die Dekors, die Kostüme: Gibt es in dieser Form nur bei ihm. Es ist wie eine Einladung zu einer Soirée in seinen eigenen vier Wänden. Wie immer lässt der Filmemacher tief blicken, was ihm gerade durch den Kopf geht, welche Themen ihn gerade beschäftigen. Nur dass er es so beiläufig und selbstverständlich macht, dass die Statements zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten sich nie der Handlung in den Weg stellen. Politisch ist das Leben, das wir führen. Ob es ein Bild demonstrierender iranischer Frauen ist, das in der Wohnung von Tilda Swintons hängt (neben dem schönen Sinnspruch „I’ve been to hell and back, and let me tell you, it was wonderful“, Titel einer Ausstellung von Louise Bourgeois), oder eine leidenschaftlich geführte Debatte zwischen Julianne Moore und John Turturro über den unausweichlichen Horror des Klimawandels, auch „The Room Next Door“ ist ganz Hier und Jetzt, ohne dass Almodóvar die ausgestellte Künstlichkeit seiner Inszenierung aufgeben würde. Der Score seines angestammten Komponisten Alberto Iglesias evoziert Bernard Herrmann und Hitchcock, klassisches, abgründiges Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre. 

„The Room Next Door“ ist wieder klassisches Frauenkino, verweist auf Sirk, verbeugt sich vor „Persona“ (und hat in einer Rückblende ein brennendes Haus, das Tarkowski evoziert). Dass man den Film mögen und ihm bereitwillig folgen wird, wohin auch immer er führen mag, weiß man schon bei der ersten Szene, die Julianne Moore als erfolgreiche Schriftstellerin Ingrid selbstverlegter Bücher bei einer Autogrammstunde zeigt. Ein Mädchen bittet sie darum, für deren Freundin als Widmung „It won’t happen again“ zu schreiben. Ausnahmsweise, sagt Julianne Moore. „It won’t happen again“, antwortet das Mädchen. Das hat etwas Anrührendes, wunderbar Menschliches und bereitet die Szenerie für die eigentliche Handlung, deren Prämisse Almodóvar in einer schnellen Abfolge von Szenen fast ungeduldig ausbreitet: Ingrid erfährt, dass ihre einstmals beste Freundin Martha unheilbar an Gebärmutterkrebs erkrankt ist. Die beiden Frauen haben sich lange Jahre nicht mehr gesehen, aber Ingrid eilt sofort zu ihr ins Krankenhaus, wo Martha sich alsbald mit einer Bitte an sie richtet: Sie habe entschlossen, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu wählen und sich eine entsprechende Tablette im Dark Net besorgt. Als Kriegsreporterin habe sie mehrfach vor dem vermeintlich sicheren Tod gestanden, sei dabei aber immer in Begleitung von Vertrauten gewesen. So will sie es jetzt auch halten. Ingrid soll sie begleiten zu einer Reise in die Catskills, wo sie ihre letzten Tage ganz bewusst zelebrieren– und dann im Lauf eines Monats aus dem Leben scheiden will. Ingrid soll im Zimmer daneben sein. Wenn an einem Morgen die Tür zu Marthas Schlafzimmer geschlossen ist, wird es getan sein. 

„The Room Next Door“ von Pedro Almodóvar (Credit: Warner Bros. Entertainment)

Daraus entwickelt sich ein vielschichtiges Drama, das dem sicheren Tod mit einer unerschütterlichen Hingabe zum Leben begegnet. Mit jeder Szene wird der Film besser, wachsen einem die beiden Frauen im Zentrum der Handlung, die die wesentlichen Dinge des Menschseins verhandeln, mehr ans Herz. Man lauscht ihren Diskussionen, sieht ihnen zu, wie sie Filme ansehen, Buster Keaton und Roberto Rossellini, wie sie in Buchhandlungen einkaufen (Almodóvar lässt uns wissen, dass man unbedingt „Erotic Vagrancy“ über Richard Burton und Elizabeth Taylor lesen sollte). Und man folgt diesem großherzigen und menschlichen Film genau deshalb: Weil er so großherzig und menschlich ist in dieser Verhandlung all der Themen, um dies wirklich geht. Und immer auch mitschwingen lässt, dass ein Film mit einer solchen Thematik immer auch ein Thriller ist, dass die Polizei kommen und es Verhöre und Anschuldigungen geben wird. Wie Männer halt reagieren werden, gesetzeskonforme, bibelfeste Männer, von Alessandro Nivola gespielt. „We should all be feminists“ stand auf dem T-Shirt von Penélope Cruz in „Parallele Mütter”. Es ist auch hier Almodóvars Antwort, dessen Kunst nie besser war als in seinem Alterswerk, dass sich so mitfühlend mit der Endlichkeit befasst, aber dennoch nicht bereit ist, sie kampflos zu akzeptieren. 

Thomas Schultze