Login

REVIEW TV: „30 Tage Lust”

Auf dem Seriencamp Festival feiert die Serie „30 Tage Lust” in diesen Tagen ihre deutsche Premiere. Linda Blümchen und Simon Steinhorst in den Hauptrollen sind eine Wucht. Die Serie gehört zu den bisher stärksten deutschen Produktionen 2024.

Linda Blümchen und Simon Steinhorst
Linda Blümchen (r.) und Simon Steinhorst (Credit: SWR/Trimafilm)

CREDITS:

Produktion: Trimafilm – David Armati Lechner, Isabelle Bertolone, Trini Götze; Auftraggeber: SWR; Regie: Pia Hellenthal, Bartosz Grudziecki; Head-Autor: Bartosz Grudziecki, Drehbuch: Mercedes Lauenstein, Carolina Zimmermann, Berthold Wahjudi, Karla Cristóbal, Marie Sturm, Pia Hellenthal, Cast: Linda Blümchen, Simon Steinhorst, Cora Kneisz, David Vormweg, Samia Chancrin, Ugur Kaya, Nairi Hadodo, Seyneb Saleh, Caroline Hellwig; Start: voraussichtlich Herbst 2024

REVIEW:

Die deutsche Serie „30 Tage Lust“ über ein sexuell experimentierfreudiges Pärchen feierte am 16. März seine Weltpremiere bei Series Mania in Lille und kommt jetzt am 8. Juni zum Seriencamp Festival nach Köln für seine deutsche Premiere. Zusammen mit „Ein Mann seiner Klasse“ und „Bad Influencer“ zählt das Format von Trimafilm für den SWR zu den kommenden fiktionalen Herbst-Highlights der ARD.

Freddy (Linda Blümchen) und Zeno (Simon Steinhorst) sind als junges Pärchen schon seit den Teenagertagen zusammen. Auf einer Maultaschen-Party erwächst aus einer Laune heraus und um das so klar durchstrukturierte andere Pärchen im Small Talk zu schocken, die Idee, den titelgebenden Monat andere Sexualpartner auszuprobieren. Dabei gärt die Idee zu dieser Experimentierphase schon länger in der jungen Freddy. Zeno wiederum scheint mehr aus Solidarität mitzuziehen.

Das achtteilige Format begleitet die beiden dann bei ihren sexuellen Abenteuern und Nicht-Abenteuern. In der ersten Episode bandelt Freddy etwa mit ihrem ehemaligen Medizinprofessor an, auf den sie immer schon einen Crush hatte, während Zeno von einem Kumpel sanft in die bunte Welt der Dating-Apps geschubst wird, am Ende des Abends aber bei seinen sexuell aufgeschlossenen Nachbarn landet.

Simon Steinhorst und Caroline Hellwig
Man kennt sich von früher: Simon Steinhorst und Caroline Hellwig (Credit: SWR/Trimafilm)

Eine der großen Stärken der Serie sind dabei die beiden durchstartenden Hauptdarsteller und die spannenden Schauspieler, auf die sie bei ihren Abenteuern treffen. Erst einmal sind beide Figuren grundsympathisch. Es macht Spaß, ihnen beim Erkunden und dem langsamen Aufstellen von Seitenblanken für dieses Experiment zuzuschauen. Simon Steinhorst, der schon einiges gespielt hat, aber noch auf seinen Durchbruch wartet, hat diese großen naiven Augen, die einen sofort an August Diehl oder Bill Skarsgård denken lassen. Er gibt seinem Zeno einen weichen Charakter, der immer auch etwas Spielerisches hat, während sich Linda Blümchens Figur Freddy auch sehr echt anfühlt und durch das Selbstbewusstsein der Schauspielerin die Unsicherheiten der Figur gut durchscheinen lassen kann (Casting: Liza Stutzky).

Vor allem sind beide Schauspieler ziemlich angstbefreit, was die Sexszenen angeht, die vom Regieduo Bartosz Grudziecki und Pia Hellenthal mit viel beiläufigem Humor erzählt werden: Welche Sätze Figuren in welchen Situationen sagen, aufeinander befremdlich reagieren oder sich auch nur komisch anschauen. Einerseits können die Szenen angenehm unangenehm bis in den Fremdschambereich hinein sein. Dann wiederum gibt es gleichzeitig eine ganz entspannte Herangehensweise an die Nacktszenen. Mal sind sie intim, erotisch, witzig oder nur verspielt. Visuell gefilmt ist das Ganze in schön-tristem Licht.  

Linda Blümchen
Glänzt in der Hauptrolle: Linda Blümchen (Credit: SWR/Trimafilm)

„30 Tage Lust“ spiegelt in den erotischen Abenteuern vor allem das kapitalistische System, das den Menschen suggeriert, dass jederzeit alles zu haben ist. Tatsächlich macht es die Männer und Frauen in dieser durchorganisierten und digitalisierten Dating-Welt wegen der viele Möglichkeiten, der Unentschiedenheit und der Angst, etwas zu verpassen, eher unglücklicher als glücklicher, scheint die Serie sagen zu wollen.

Trotzdem gerät „30 Tage Lust“ diese sexuelle Sinnsuche nicht zur Qual, sondern ist mit der titelgebenden Lust und Experimentierfreude gespielt und inszeniert. Die One-Night-Stands mit den fantastischen Nebendarstellern wie Caroline Hellwig, Bozi Kocevski oder Seyneb Saleh sind sinnliche Schauspiel-Duelle auf Augenhöhe. Die Münchner Trimafilm („Fett und Fett“) produzierte dieses Jahr schon den gelungenen Encounters-Wettbewerbsbeitrag „Ivo“ von Eva Trobisch auf der Berlinale. „30 Tage Lust“ macht jetzt nochmal auf ganz andere Weise Spaß.

Michael Müller