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REVIEW STREAMING: „The Bear, Staffel 3“

Dritte Staffel der herausragenden Hulu-Serie, in der Carmy und seine Mitstreiter beweisen müssen, dass sie wirklich als Team funktionieren.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 10 x 30 Minuten; Showrunner, Creator & Regie: Christopher Storer; Besetzung: Jeremy Allen White, Ayo Edebiri, Ebon Moss-Bachrach, Lionel Boyce, Abby Elliott, Matty Matheson, Oliver Platt; Start: Ab 14. August bei Disney+

REVIEW:
Drei ist eine magische Zahl. Es bedarf drei Beine, um ein Stativ zu machen oder einen Tisch stehen zu lassen. Es bedarf drei Räder, um ein Vehikel zu bauen, das man Dreirad nennt. Jedes Dreieck hat drei Ecken und drei Seiten. Und „The Bear“ hat eine dritte Staffel. 

Bob Doroughs Song „Three Is A Magic Number“ darf man hier deshalb ausgiebig bemühen, weil eine Textpassage so punktgenau passt – wie die Faust aufs Auge – zu der ersten Folge dieser wieder zehn Episoden umfassender dritten Staffel, eine Folge, die so ungewöhnlich geraten, so eigenwillig und visionär, dass man sie spielend zu den Sternstunden modernen seriellen Erzählens zählen kann. „The past and the present and the future / Faith and hope and charity / The heart and the brain and the body.” Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit fallen zusammen in diesen 30 Minuten, die komplett ohne Dialog auskommen, nur mit Bildern erzählen, begleitet von wogender, plunkernder Ambientmusik, irgendwo zwischen Satie und Tortoise. Den Kollegen, mit denen ich die ersten beiden Folgen der dritten Staffel sehen durfte, stand der Mund offen: So was man muss man sich erst einmal trauen. Hieß es. Stimmt schon. Aber vor allem: So was muss einem erst einmal einfallen. So was muss man erst einmal umsetzen.

Ebon Moss-Bachrach und Jeremy Allen White in „The Bear“ (Credit: Disney+)

Die Handlung setzt ein unmittelbar nach dem Ende der zweiten Staffel: Am Eröffnungsabend von „The Bear“ ist es Küchenchef Carmy, gespielt von Jeremy Allen White, gelungen, sich selbst in der Eiskammer einzuschließen. Er hat seine Beziehung zu Claire ruiniert, und jetzt verpasst er den großen Moment, auf den die ersten beiden Staffeln der Serie in 19 Folgen zugelaufen sind: Sydney, gespielt von Ayo Edebiri, und Cousin Richie, gespielt von Ebon Moss-Bachrach, müssen einspringen und den Abend retten. Das ist die Situation. Nun sieht man die Protagonisten, wie sie mit der Nachernte umgehen. Gleichzeitig springt die Handlung assoziativ in die Vergangenheit und teilweise auch in die Zukunft. Ganz beiläufig werden Geheimnisse verraten und Zusammenhänge entstehen, alles in einem stetigen, unablässigen Fluss der Bilder, eine 30-minütige Montage, die man erst einmal erträumen, umsetzen und dann im Schnitt Realität werden lassen muss. Viele Referenzpunkte gibt es nicht. Spontan fielen mir nur die letzten 20 Minuten von Spike Lees „25 Stunden“ ein, die Passage, in der sich die Hauptfigur eine Zukunft vorstellt, die sie niemals haben wird, oder die vergleichbare Sequenz aus „La La Land“. Dann wird’s schon eng. 

Und klar. Muss man sich erst einmal trauen: Es ist wie ein Gegenentwurf zur bisherigen Serie, die sich stets durch ein Maximum an Nervosität und Anspannung ausgezeichnet hatte, akustisch versinnbildlicht von dem durch Mark und Bein gehenden Gitarrenstakkato von „New Noise“ von The Refused. Und jetzt diese 30 Minuten, die einen staunen lassen, wundern, die die Schwerkraft aufheben, das Raum-und-Zeit-Kontinuum, wie das Science-Fiction manchmal versucht, zutiefst realistische und authentische Serien aus dem ganz normalen Wahnsinn einer Küche in Chicago eher nicht. Aber warum nicht, wenn man’s kann. Und Christopher Storer kann’s. Seine Kontrolle über das Narrativ, über die Geschichte und ihre filmische Tonalität, ist total. 

Und vielleicht könnte man es auch prätentiös nennen, wenn die zweite Folge dann nicht gleich wieder eintauchen würde in diese ganz eigene „Bear“-Atmosphäre, die einem den Atem raubt und elektrisiert und mittendrin sein lässt in dieser so ungewöhnlich präzise skizzierten Welt. Auf die Ouvertüre folgt der erste Satz, auf die Ruhe folgt der Sturm, auf die Kontemplation die Konfrontation, vielleicht noch heftiger und in einem schnelleren Rhythmus als bisher, wenn Carmy und sein Cousin Richie sich in einem epischen Duell der sich entgegengeschleuderten „Fucks“ verbal an die Gurgel gehen und Gewalt in der Luft liegt. Die Figuren müssen sich neu ordnen, gruppieren, ausrichten. „The Bear“ muss den Eröffnungsabend hinter sich lassen, der Küchenstab muss sich mit Carmys erratischer Entscheidung arrangieren, künftig jeden Abend ein Regelwerk von „Non-Negotiables“, nicht verhandelbarer Parameter, zu erfüllen. Wenn sich der Staub am Ende von Folge zwei gelegt hat, kann es, so vermutet man, losgehen. Jetzt muss Staffel drei zeigen, was sie wirklich kann. Als Zuschauer ist man bereit dazu, weil man weiß: Bisher war der Himmel die Grenze für Christopher Storer. Und die ersten beiden Folgen von Staffel drei geben keinen Hinweis darauf, dass der Höhenflug nicht einfach immer weitergeht. So toll kann man erzählen. Die Drei ist es, die eine magische Zahl ist.

Thomas Schultze