Login

REVIEW STREAMING: „Star Wars: The Acolyte”

Neue „Star Wars”-Serie, in der ein angesehener Jedi-Meister gemeinsam mit einer Kriegerin aus seiner Vergangenheit einer Verbrechensserie nachgeht.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Stoffentwicklung: Leslye Hedland; Regie: Leslye Hedland, Kogonada, u.a.; Besetzung: Amandla Stenberg, Lee Jung-jae, Manny Jacinto, Dafne Keen, Charlie Barnett, Jodie Turner-Smith; Plattform: Disney+; Start: 5. Juni 2024

REVIEW:
Keine Spoiler soll man verraten in seiner Besprechung von „The Acolyte“, der sechsten Realfilmserie auf Disney+ aus der ursprünglich von George Lucas geschaffenen Welt von „Star Wars“, die sich mit Riesenschritten ihrem 50. Jubiläum nähert. Das ist natürlich Ehrensache, man will niemandem den Spaß an der Entdeckung verderben. Aber was genau ist ein Spoiler in diesen Serien? Was ist Grundinformation, Prämisse, was ist Herrschaftswissen, Geheimnisverrat? Allein damit könnte man schon einen halben Tag verbringen und sich den Kopf zerbrechen. Also halten wir es erst einmal mit den Grundlagen. 45 Minuten, meistens ein bisschen kürzer, umfassen die acht Folgen – die ersten beiden gehen am 5. Juni auf Sendung, danach folgt jede Woche eine weitere. Showrunnerin ist Leslye Hedland, bekannt als Schöpferin von Serien wie dem Netflix-Hit „Russian Doll“ mit Natasha Lyonne und „Single Drunk Female“. 

„Star Wars: The Acolyte“ (Credit: ©2024 Lucasfilm Ltd.)

Sie als Novizin zu holen in die von der Fangemeinde leidenschaftlich vereinnahmten und verteidigten Welt von „Star Wars“, die Eindringlingen grundsätzlich skeptisch bis feindselig gegenübersteht, ist ein gewagter Schritt, weil er den Mut zum Experiment signalisiert, weg vom Standard hin zu einer anderen Tonlage, einem anderen Erzählregister. Hedland, die auch die ersten beiden Folgen inszenierte, um danach an Kogonada, Hanelle Culpepper und Garcia Lopez abzugeben, erzählt mit einer unapologetisch weiblichen und ebenso unapologetisch häretischen Haltung und hat zumindest dahingehend schon einmal viel Spielraum, als dass ihre Miniserie zeitlich weit vor den bekannten Geschichten vom „Krieg der Sterne“ angesiedelt ist, 100 Jahre vor „Eine neue Hoffnung“, der vierten Episode und damit dem ersten Film von 1977, sowie logischerweise 68 Jahre vor der zweiten Filmtrilogie aus den Jahren 1999 bis 2005: „The Acolyte“ muss wenig Rücksicht nehmen auf Genealogien und ineinander greifende Handlungsblöcke, wie das bei den bisherigen fünf Realfilmserien („The Mandalorian“, „Das Buch von Boba Fett“, „Andor“, „Obi-Wan Kenobi“ und „Ahsoka“) der Fall war, die entweder während oder nach den bekannten Filmen spielen und entsprechend angehalten sind, sich in die innere Logik und Chronologie zu fügen.

Das gibt schon einmal Luft zu atmen und macht die Serie auch für Zuschauer interessant und spielend nachvollziehbar, die kein Ahnenbuch des Science-Fiction-Universums neben sich liegen haben, sich nur in Grundzügen in dieser Welt auskennen. Und selbst, wenn man gar nichts weiß, hat man sich schnell erschlossen, wer die Jedi-Ritter sind, die zunächst einzige bekannte Größe in der Erzählung, die beginnt wie ein Krimi, ein Krimi allerdings, der sich die Ästhetik alter Wire-Fu- oder Wuxia-Filme aus Hongkong auf die Fahnen geschrieben hat, in der Action dem Kino eines King Hu oder Chang Cheh huldigt. Eine junge Frau hat es offenbar auf altgediente Jedi-Meister abgesehen, die sie in der direkten Konfrontation auffordert, sie ohne Waffen anzugreifen. Das ruft Sol auf den Plan, einen weiteren erfahrenen und weisen Jedi-Ritter, der erkennt, dass die Morde verbunden sein müssen mit tragischen Ereignissen auf dem Planeten Brendok 16 Jahre zuvor, an denen er beteiligt war, und er damit auch ein potenzielles Ziel der Mörderin sein dürfte. So kommt er zusammen mit einer einst sehr von ihm geschätzten Padawan, Osha, die den Wegen der Jedi lange abgeschworen hat und ein zielloses Leben in der Galaxie führt.

Weil es sich längst auf Wikipedia nachlesen lässt, dürfte es auch kein Spoiler sein, dass Osha eine Zwillingsschwester hatte, Mae, die damals auf Brendok augenscheinlich mit vielen anderen ums Leben gekommen war, aber womöglich doch überlebt hat. Die Herkunft und Beziehung der Schwestern steht schließlich im Zentrum der Serie, die sich ab der dritten Folge mit einer langen Rückblende weit zu öffnen beginnt und mit jeder neuen Erklärung und Offenbarung komplexer wird und schließlich ein größeres Konstrukt offenbart, in dem die handelnden Personen nur Spielbälle sind, ohne sich allerdings bis Ende der vierten Folge – so viele Episoden standen zur Besprechung zur Verfügung – allzu tief in die Karten schauen zu lassen. Da ist noch Einiges möglich. Festhalten lässt sich, dass „The Acolyte“ bis jetzt ein Vergnügen ohne Reue ist, ein klug und umsichtig geplottetes Rätselspiel mit vielen interessanten und faszinierenden Figuren und einem erzählerischen Ansatz, der Diversität großschreibt, ohne bemüht darauf herumzureiten.

Hauptdarstellerin Amandla Stenberg, bekannt aus „The Hate U Give“, identifiziert sich als nonbinär, Jedi-Meister Sol an ihrer Seite wird von dem südkoreanischen Schauspieler Lee Jung-jae aus „Squid Game“ gespielt, weitere Darsteller haben britisch-spanische, philippinisch-kanadische oder einfach nur britische und amerikanische Wurzeln. Oder wie George Lucas gerade erst in Cannes achselzuckend erklärte: „Die meisten Figuren in ,Star Wars‘ sind Außerirdische.“ Sehr viel diverser geht nicht. Was „The Acolyte“ verinnerlicht hat. Und sich deshalb lieber damit befasst, ein faszinierendes Netz zu spinnen, aus Intrigen, Loyalitäten und Geheimnissen, die auch Besprecher gebannt zusehen lassen, die sich von „Obi-Wan Kenobi“ oder „Ahsoka“ bestenfalls milde unterhalten gefühlt haben. Die Folgen 5 bis 8 können kommen. 

Thomas Schultze