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REVIEW STREAMING: „Shôgun“

Zehnteilige Miniserie nach dem Weltbestseller von James Clavell über einen britischen Seefahrer, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts an der Seite eines japanischen Fürsten und zu Samurai-Ehren kommt.

CREDITS:
O-Titel: Shôgun; Land/Jahr: USA 2024, Laufzeit: 10 x 60 Minuten; Entwicklung: Rachel Kondo, Justin Marks; Besetzung: Hiroyuki Sanada, Cosmo Jarvis, Anna Sawai, Tadanobu Asano, Hiroto Kanai, Takehiro Hira, Moeka Hoshi, Tokuma Nishioka, Yuka Kouri, Fumi Nikaido; Plattform: Disney+; Start: 27. Februar 2024

REVIEW:
Die Frage, ob es wirklich nötig war, James Clavells Weltbestseller von 1975 44 Jahre nach der legendären Miniserie mit Richard Chamberlain und Toshirô Mifune noch einmal neu zu verfilmen, ist Makulatur. Man stellt sie sich nur so lange, bis man nach den Logos die ersten Bilder der neuen Adaption durch den amerikanischen Kabelsender FX (in Deutschland bei Star/Disney+) sieht. Die meinen es ernst, denkt man sich. Und vor allem: Die machen es richtig, überlassen nichts dem Zufall. Kaum Kosten und Mühen wurden gescheut, um die Gelegenheit beim Schopf zu packen, eine Tentpole-Serie (zehn Mal 60 Minuten) zu erschaffen, die den Vergleich mit der entsprechenden Konkurrenz von HBO oder Prime nicht zu scheuen braucht. Speziell wird man „Game of Thrones“ als offenkundiges Referenzwerk nennen, mit dem feinen, aber doch entscheidenden Unterschied, dass „Shôgun“ nicht in einer ausgedachten Fantasywelt spielt, sondern im historisch belegten Japan des frühen 17. Jahrhunderts. 

Hiroyuki Sanada begeistert in „Shôgun“ als Yoshii Toranaga (Foto: Kurt Iswarienko/FX)
Hiroyuki Sanada begeistert in „Shôgun“ als Yoshii Toranaga (Foto: Kurt Iswarienko/FX)

Nun hatte sich schon die Miniserie von 1980 dadurch ausgezeichnet, dass die japanischen Rollen von japanischen Darstellern gespielt wurden, für damalige Verhältnisse sicherlich eine bahnbrechende Entscheidung. In der Neuverfilmung geht man konsequent noch weiter: Über weite Strecken der Handlung wird nun auch tatsächlich Japanisch gesprochen, was zur immersiven Rundumerfahrung beiträgt und die sichtbare Mühe um Authentizität unterstreicht. Die grimmige Ambition des Narrativs ist ganz nahe an „Silence“, Martin Scorseses meisterliche Verfilmung des Romans von Shûsako Endô über die mühseligen Anstrengungen portugiesischer Jesuitenpriester, den katholischen Glauben nach Japan zu bringen. Es ist also eine fremde, rohe, feindselige, ebenso prächtige wie bedrohliche Welt, in die der englische Navigator John Blackthorne segelt und sich alsbald zwischen allen Stühlen wiederfindet: ein komplexes Machtgeflecht japanischer Fürsten auf der einen, portugiesischen Priestern und Kaufleuten auf der anderen Seite. Alsbald kristallisiert sich der umsichtige Lord Toranaga als Verbündeter heraus. Doch auch Toranaga befindet sich in einer schier aussichtslosen Position, weil sich seine Feinde gegen ihn verbündet haben und ihm nach dem Leben trachten. Als dritte Hauptfigur kristallisiert sich alsbald die Übersetzerin Mariko heraus, eine christliche Adlige, die letzte in der Ahnenfolge eines in Ungnade gefallenen Geschlechts. 

Wie sie sich durch ein Mienenfeld ständig wechselnder Allianzen und Loyalitäten manövrieren, Tod und Untergang stets vor den Augen, macht den inhaltlichen Reiz der Großproduktion aus. Es ist ein ständiges Taktieren und Changieren, ein raffiniertes Schachspiel auf Leben und Tod, in dem nie ganz klar ist, wem man wie sehr trauen kann. Alle Beteiligten halten sich stets alle Optionen offen, entscheiden oft erst im letzten Moment, auf wessen Seite sie sich schlagen. Für Blackthorne speziell, der von den Japanern nur „Anjin“ genannt wird, also „Pilot/Navigator“, ist es ein fortwährender Tanz auf der Rasierklinge, weil er sich zusätzlich in einer Welt zurechtfinden muss, die ihm fremd ist und einem undurchsichtigen Regelwerk folgt, das es einem Gaijin fast unmöglich macht, den Überblick zu bewahren. 

Cosmo Jarvis in der Rolle, die Richard Chamberlain einst zum Star gemacht hat, spielt den Anjin angenehm ruppig. Leicht macht er es einem nicht, ihn umgehend als Sympathieträger zu akzeptieren, dafür ist seine Agenda zu undurchsichtig, sein Verhalten zu erratisch. Man fiebert indes mit seinem Überlebenskampf mit und weil man als westlicher Zuschauer durch seine Augen Zugang zu der Welt von „Shôgun“ findet, in der man sich sofort mit „Bullet Train“-Star Hiroyuki Sanada als Toranaga und Anna Sawai als die mysteriöse Mariko anfreundet. Ebenso ist es aber auch das faszinierend ausufernde Personal am Rand, das einen „Shôgun“ mit wachsender Faszination zusehen lässt: Das ist eine sehr reiche und komplizierte Welt, die da gebaut wurde. Und man muss schon höllisch aufpassen, um in diesem fortwährenden Spiel von Täuschung und Gegentäuschung nicht den Überblick zu verlieren. Ein erwachsenes Publikum wird es den Serienmachern danken: „Shôgun“ ist eines der großen Ausrufezeichen des Serienjahres 2024. 

Thomas Schultze