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REVIEW STREAMING: „Ripley“

Hochwertige Neuverfilmung des Romanklassikers von Patricia Highsmith als Netflix-Serie in Schwarzweiß mit Andrew Scott als legendärer Betrüger und Mörder aus Not. 

CREDITS: 
O-Titel: Ripley; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 8 x 60 Minuten; Showrunner & Regie: Steven Zaillian; Besetzung: Andrew Scott, Johnny Flynn, Dakota Fanning, Eliot Sumner, Maurizio Lombardi, Margherita Buy, John Malkovich, Kenneth Lonergan; Plattform: Netflix; Start: 4. April 2024

REVIEW:
Es gehe um den unzweideutigen Triumph des Bösen über das Gute, sagte Patricia Highsmith einst über ihren ersten Ripley-Roman, „Der talentierte Mister Ripley“ von 1956, und fügte schelmisch hinzu: „Und ich freue mich daran“. Was jeder nachvollziehen kann, der das Buch selbst einmal gelesen hat: Wie schön es doch ist, sich mit einem so amoralischen und aalglatten Menschen identifizieren zu dürfen! Auch der Ansatz der Serie von Oscargewinner Steven Zaillian ist auf diese Weise sehr gut beschrieben, der der legendär ambivalenten Figur als Showrunner, Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion einen ganz neuartigen und doch absolut klassischen, ja, klassizistischen Stempel aufdrückt, in stimmungsvollen . Der Handlungsrahmen ist der gleiche, den im Kino zuvor schon René Clement mit „Nur die Sonne war Zeuge“ mit Alain Delon in der Hauptrolle und fast 40 Jahre später Anthony Minghella mit seiner werkgetreuen Verfilmung von 1999 mit Matt Damon abgesteckt hatten. 

Tom Ripley ist auch hier, in edlem Schwarzweiß und Kostümen und Ausstattung, die nicht nur die Ära evozieren – die Handlung beginnt im Herbst 1961 -, sondern auch die italienischen Filme dieser Zeit beschwören, als aalglatter Emporkömmling gezeichnet, als Mann ohne Eigenschaften, oder zumindest ohne gute, der mühelos in neue Rollen schlüpft und andere Identitäten annimmt, eine Persönlichkeit im Spiegelsaal, dem die Lüge eine zweite Natur geworden ist, eine Überlebenstaktik, die er im Verlauf der acht Folgen immer weiter perfektionieren wird – und die ihn von einem Problem zum nächsten führt, das notfalls auch mit Mord gelöst werden muss. Da passt es perfekt, dass dieser Amerikaner von einem Briten gespielt wird, dem großartigen Andrew Scott, der gerade erst in „All Of Us Strangers“ überzeugt hat, aber schon als Gegenspieler in „Sherlock“ oder als Intrigant in den Craig-Bond-Filmen seelischen Untiefen Ausdruck gab; ein offen schwuler Schauspieler, der hier gleichmütig sagt: „Ich mag Mädchen!“. Hinter allem in „Ripley“ liegt eine zweite Wahrheit, eine doppelte Ebene, eine zusätzliche Bedeutung, ein Blick hinter die Fassade. 

Was ist echt, was nicht: „Ripley“ erschafft eine trügerische Traumwelt (Credit: Netflix)

„In Dreams“ von Roy Orbison erklingt ganz zu Beginn, ein Song, der eigentlich untrennbar verbunden ist mit „Blue Velvet“. Und doch will man es hier gelten lassen, dass er, sagen wir mal, zweckentfremdet wird, weil er doch eine perfekte Einstimmung ist für alles, was kommen wird, mit seiner betörenden Oberfläche und der einlullenden samtenen Stimme Orbisons. Und wo doch nichts so ist, wie es zunächst klingen mag in diesem Lamento enttäuschter Liebe: „It’s too bad that all these things / Can only happen in my dreams“. In der ersten Folge folgt Steven Zaillian noch ganz eng der Romanvorlage: Tom Ripley hält sich in New York über Wasser mit kleinen Schwindeleien. Als er von dem reichen Industriellen Greenleaf fälschlicherweise für einen Freund seines Sohnes Dickie gehalten wird, setzt sich die Handlung in Bewegung: Tom soll in den Süden Italiens nach Antari reisen, wo Dickie seine Zeit mit süßem Nichtstun mit seiner Freundin Marge und obendrein seine großzügige Apanage verschwendet, und den jungen Greenleaf überreden, wieder zurückzukehren in die Staaten. Gegen ein großzügiges Entgelt natürlich. Weil ihm die Steuer auf den Fersen ist und auch sonst nichts hält, nimmt Tom das Angebot an. In Europa tut sich ihm eine neue Welt auf, offerieren sich ganz neue Möglichkeiten. Und entstehen Begehrlichkeiten.

„Wer ist er? Wer weiß? Wem gehört es? Es gehört dir“, hört man im Hintergrund eine Schallplatte mit einem Italienisch-Sprachkurs spielen, während Tom im Haus von Dickie Greenleaf seine nächsten Schritte plant. Darum geht es in dieser Serie, die, man kann es nicht anders sagen, fulminant ist, so anspielungsreich, schlau, vielschichtig. Waren die Filmadaptionen stets damit befasst, in einer Spielzeit von Daumen mal Pi zwei Stunden dem Plot des Romans zu entsprechen, nutzt „Ripley“ die Vorlage nur als Sprungbrett, um nach der Exposition in der ersten Folge, in der die Titelfigur ins Leben des Mannes tritt, den er später ermorden wird, um an dessen Stelle zu treten, ab der zweiten Folge zunehmend eigene Wege zu gehen. Tom ist nicht der einzige Schwindler, Hochstapler: Dickies Freundin Marge gibt sich als Schriftstellerin aus. In einer brüllend komischen Szene sieht man Tom, wie er ihre Texte mit zunehmender Verzweiflung redigiert. Dickies Freund Freddie, der irgendwann auch zum Problem werden wird, entlarvt Ripley mit scharfem Kennerauge als „Fake“, noch einer, der einem was vormacht. Betrug und Schwindel, sie sind überall. Je öfter der Blick auf einen Picasso in Dickies Villa mit der tollen Aussicht über die Bucht fällt, desto mehr fragt man sich, ob es nicht vielleicht eine Fälschung ist.

Die Handlung geht Umwege, hat Episoden, die man nicht bei Highsmith findet, und ist doch ganz nah dran an der unmoralischen Essenz der Schriftstellerin. Verlieren will man sich in den ausgesuchten Bildern, in dem süffigen Schwarzweiß, den jazzigen Kaskaden, in den fortwährend spielenden italienischen Schlagern der Zeit, überhaupt in dieser Zeit, in der Männer und Frauen stets stilvoll gekleidet sind, vermutlich, um sich irgendetwas vorzumachen. Wie das Schauspieler aus Berufsgründen ja auch tun. Neben Andrew Scott ist Johnny Flynn eine Offenbarung als sorgloser Lebemann, noch ein Brite, der einen Amerikaner spielt. Und Dakota Fanning hat ihre bisher beste Rolle als Marge, die Freundin Dickies, die Tom gleich durchschaut, dann aber trotzdem auf ihn hereinfällt. Es kommt immer darauf an, welche Knöpfe gedrückt werden. „Ripley“ weiß das. Und er erfreut sich daran.

Thomas Schultze