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REVIEW STREAMING: „Pauline“

Mit dem wilden Mix aus Horror, Coming-of-Age, Fantasy und Comedy ist die deutsche Disney+-Serie “Pauline” etwas ganz Besonderes geworden. Sie startet am 22. Mai.

Quelle: Disney

CREDITS:

Land/Jahr: Deutschland 2024; 6 x ca. 40 Minuten, Produktion: btf; Executive Producer: Philipp Käßbohrer (Creator), Matthias Murmann (Creator), Yannick Moll; Drehbuch: Sebastian Colley (Headautor, Creator), Elena Lyubarskaya (Creator), Alma Buddecke, Sophie Yukiko Hasters; Regie: Arabella Bartsch, Alma Buddecke, Facundo Scalerandi, Max Rainer; Cast: Sira-Anna Faal, Ludger Bökelmann, Lukas von Horbatschewsky, Andrea Sawatzki, Johanna Hens; Pattform: Disney+; Start: 22.5.24

REVIEW:

Die geniale subtextuelle Filmkritikerin Carol J. Clover schreibt in ihrem Standardwerk „Men, Women and Chain Saws“, dass Fiction über das Okkulte das weiblichste aller Horrorgenres ist, bei der normalerweise Mädchen oder Frauen im Mittelpunkt stehen, die von übersinnlichen Phänomenen in Beschlag genommen werden. Dahinter stehe aber immer die eigentliche Geschichte eines Mannes in der Krise, die letztlich den Kern der Erzählung ausmache. Das hänge damit zusammen, dass in den allermeisten Fällen auch Männer Regie führten, Drehbücher schrieben und die Werke produzierten.

In der deutschen Disney+-Serie „Pauline“ steht die 18-jährige Titelheldin („Druck“-Sternchen Sira-Anna Faal) im Zentrum des Geschehens. Nach einem One Night Stand mit dem mysteriösen Lukas („Discounter“-Sternchen Ludger Bökelmann) wird sie ungewollt schwanger. Das ist aus dreierlei Gründen problematisch: Der offensichtlichste ist, dass Pauline gar kein Kind will. Aber selbst wenn, hätte sie gar keine Zeit, weil sie sich gerade um ein Stipendium bewirbt, bei dem ihr stressigerweise Mitkonkurrentin Britta (Johanna Hens) im Nacken sitzt. Am allermeisten spricht aber gegen die Geburt, dass sich die Kurzzeitbekanntschaft Lukas als leibhaftiger Sohn des Teufels (Andrea Sawatzki) entpuppt und in Pauline so ein echter Dämon heranwächst, der potenziell das Ende der Welt bedeuten kann.

Und auch wenn Lukas als weniger geschätzter zweiter Sohn des Teufels seine ganz eigenen Probleme hat, ist der weibliche Einfluss auf diese okkulte Geschichte vor und hinter der Kamera deutlich zu spüren. Das beginnt damit, dass Paulines Überforderung mit der Schwangerschaft gerade in den ersten Episoden auch auf einer visuellen und akustischen Ebene intensiv durch Schnitt sowie Bild- und Musikcollagen auf das Publikum übertragen werden: Man befindet sich teils sogar im Kopf der jungen Erwachsenen, fühlt ihren Stress, den moralischen Konflikt mit dem in ihr wachsenden Etwas, was ihr im Übrigen auch nach und nach übersinnliche Kräfte verleiht. Bei Körperberührung kann sie zum Beispiel nun in die dunkelsten Abgründe und Geheimnisse ihres Gegenübers schauen.

Der Familienaspekt spielt eine große Rolle in Pauline
Der Familienaspekt spielt eine große Rolle in „Pauline“ (Credit: Disney)

So ist „Pauline“ zu Anfang fast ein ernstes Abtreibungsdrama, bei dem die Teufelsbrut im eigenen Leib als Fremdkörper die Ängste vorm Kinderkriegen manifestiert, dreht dann aber als Format zunehmend die Phantastik-Schraube immer weiter auf, wird schriller und expressionistisch bunter, bis die Serie eine in der deutschen Film- und Serienbranche selten gesehene Wildheit in der Eskalation erreicht. Dabei zeigt sich, dass gerade die jungen Schauspielenden wie Sira-Anna Faal oder Ludger Bökelmann in ihren komplexeren Rollen mehr glänzen können, während etwa eine gestandene Schauspielerin wie Andrea Sawatzki als Teufel eigenartig eindimensional und fast gefangen in ihren aufwendigen Kostümen daherkommt.

Eine der Stärken von „Pauline“ ist neben dem schön verrückt in alle Ecken ausschlagenden letzten Drittel, dass die Serie von Anfang bis zum Schluss diesen Horrortrip mit einer weiblichen Perspektive erzählt. Deswegen trifft es als Schlagwort auch nicht die Young-Adult-Variante von „Rosemary’s Baby“ so richtig. Es ist etwas Eigenes geworden. Dabei ist Titelheldin Pauline vor allem auch nicht nur auf sich gestellt: Sie hat ihren besten Freund Tony (Lukas von Horbatschewsky) und ihre Mutter (Nikeata Thompson). Selbst der Teufelssohn Lukas entpuppt sich im Verlauf als halbwegs hilfreiche Stütze. So gibt es in dieser doch eher düsteren Fantasy im Kern, süße Wholesomeness durch die Patchwork-Idee zu ernten.

Michael Müller