Login

REVIEW STREAMING: „Dark Matter“

Intensiver Science-Fiction-Thriller über einen Wissenschaftler, der sich in einem Paralleluniversum seiner Identität wiederfindet.

CREDITS:
O-Titel: Dark Matter; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 9 x 60 Minuten; Showrunner: Blake Crouch; Regie: Jakob Verbruggen; Besetzung: Joel Edgerton, Jennifer Connelly, Alice Braga, Oakes Fegley, Jimmi Simpson, Dayo Okeniyi; Plattform: Apple TV+, Start: 8. Mai 2024

REVIEW:
Bisher fährt Apple TV+ nicht schlecht mit seinen aufwändigen Science-Fiction-Serien, angefangen bei der Vorzeigeproduktion „For All Mankind“, die vielleicht ambitionierteste serielle Science-Fiction-Saga aller Zeiten, hin zu wuchtigen Titeln wie „Invasion“, „Foundation“, „Silo“ und gerade erst „Constellation“. Nun kommt „Dark Matter“ hinzu, die vom Autor selbst vorgenommene Adaption des Bestsellers von Blake Crouch aus dem Jahr 2016, eine etwas geerdetere Version der Science-Fiction, kein Weltenbau und Weltallflug, sondern ein Kombinierspiel mit Multiversen, die Geschichte der Odyssee eines Mannes, der weit entfernt ist von Daheim und nichts anderes will, als sein Leben zurückzuhaben und seine Familie wieder in die Arme zu schließen.

Es treffen menschliches Drama und ein mathematisches Spiel mit einer Unendlichkeit von Möglichkeiten aufeinander, als der Physiklehrer Jason Dessen aus Chicago aus seinem einfachen und zufriedenen Leben mit seiner Frau, der ehemaligen Galeristin Daniela, und ihrem jugendlichen Sohn Charlie gerissen wird, betäubt und entführt von einem Unbekannten und von ihm transportiert in eine Parallelwelt, die der seinen täuschend ähnlich, aber eben doch nicht dieselbe ist: Er wird von einer Gruppe von Wissenschaftlern willkommen geheißen, die ihn offenbar für einen ganz anderen Jason Dessen halten. Ein Jason Dessen, der ein eiskaltes Geschäftsgenie ist und das Rätsel gelöst hat, wie man von einem Multiversum in das nächste reist – ohne allerdings steuern zu können, wie man wieder zum Ausgangspunkt kommt.

Offenkundig hat er auch etwas mit der Entführung des ersten Jason Dessen zu tun. Ohne zu viel verraten zu wollen (inhaltlich befinden wir uns immer noch in der ersten von neun Folgen), wird „Dark Matter“ fortan eine Parallelerzählung sein: Auf der einen Seite folgt man dem Helden, wie er, begleitet von der von Alice Braga gespielten Wissenschaftlerin Amanda, versucht, eine Erklärung zu finden, wie er wieder genau in seine Welt zurückfindet. Auf der anderen Seite wird das Narrativ in Jasons Welt vorangetrieben, in der seine Frau Daniela, gespielt von Jennifer Connelly, sich einen Reim darauf machen muss, warum der Jason an ihrer Seite zwar so aussieht und riecht wie ihr Mann, sich aber völlig anders verhält. Alldieweil bereist man als Zuschauer immer neue Versionen von Chicago, die meisten von ihnen zutiefst dystopisch – zerstört, überflutet, in ewigem Eis verloren – ein fortwährendes Glücksspiel, weil man nie weiß, was passieren wird, wenn Jason und Amanda die verriegelte ihrer verdammten Reisebox erneut öffnen.

Die Lead-Inszenierung des versierten Serien-Vollprofis Jakob Verbruggen („Infiltration“, „The Alienist“, „House of Cards“), der drei Episoden gedreht und die anderen sechs vier weiteren Regisseuren überlassen hat, ist routiniert und unaufdringlich, immer auf den Punkt und stellt sich in den Dienst der bisweilen wilde Haken schlagenden Handlung. Das ist gut und wichtig so, weil die vielen Multiversen auch für Unübersichtlichkeit sorgen könnten. Zusammengehalten wird „Dark Matter“ ohnehin von Joel Edgerton in der Hauptrolle, dieser Bär von einem Mann, der zugleich aber auch so etwas Weiches und Zartes in sich trägt: Sein Jason Dessen ist das Zentrum des Films, seine Sehnsucht nach seiner Familie der Herzschlag. Zuhause ist, wo das Herz ist. Durch wie viele Tore und Gassen man auch gehen muss, soweit einen die Füße tragen.

Thomas Schultze