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REVIEW STREAMING: „Crooks“

Achtteilige Gangsterserie, in der zwei Gauner aus Berlin und Wien als Schicksalsgemeinschaft auf eine wilde Hatz durch Europa geschickt werden.

CREDITS: 

Land/Jahr: Deutschland / Österreich 2024; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Creator & Showrunner: Marvin Kren; Regie: Marvin Kren, Cüneyt Kaya; Besetzung: Frederick Lau, Christoph Krutzler, Svenja Jung; Plattform: Netflix; Start: 4. April

REVIEW:

Marvin Kren weitet die Kampfzone aus. In den ersten Minuten von „Crooks“ wähnt man sich zunächst auf vertrautem Terrain. Gangster in Berlin, Kreuzkölln, Diebstahl einer wertvollen Münze bei hellem Tag. Frederick Lau wird reingezogen als Charly, ein ehemaliger Gauner, der nach Knastaufenthalt einen Neuanfang gewagt und Familie gegründet hat, nun aber unter Druck gesetzt wird: Nein sei keine Option, wird ihm gesagt. Kennt man, denkt man. „4 Blocks“ Redux, oder? Von wegen. Nach knapp 15 Minuten eröffnet Kren einen zweiten Kriegsschauplatz, jetzt in Wien, ein österreichischer Clan. Drogen, Prostitution. Mit Schmäh aber. Christoph Krutzler ist Joseph, von dem es heißt, er könnte der Sohn des „Großen“ sein, der im Sterben liegt. Arbeitet in dritter Reihe als Fahrer, er wird nach Berlin geschickt, soll die Münze abholen. Geht natürlich schief. Charly und Joseph fliehen, Schicksalsgemeinschaft, diverse Clans mit verschiedenen Zielen ihnen auf den Fersen, immer der wertvollen Münze hinterher. 

Frederick Lau und Christoph Krutzler immer auf der Flucht in „Crooks“ (Credit: Netflix © 2024)

„Crooks“ verliert keine Zeit. All das passiert in der ersten Episode, jede Menge also, dicht gedrängt auf engem Raum, mit zunehmender Spannung, Eskalation am Ende inklusive. Sieben weitere Episoden folgen. Viel Raum also, um Loyalitäten zu testen, neue Allianzen zu schmieden, für Freundschaft und Verrat, Irrungen und Wirrungen, während es einmal quer durch Europa geht für Charly und Joseph, zwei, die einander nicht trauen können, aber nur zusammen eine Chance zu überleben haben. Oder vielleicht auch nicht. Kurz muss man an „Buba“ denken, aber eben nur kurz, reflexartig. Das Ganze hat dieses ganz spezielle, ganz eigene Marvin-Kren-Flair, hochwertiges, handfestes Genre, eine fortwährende Gratwanderung zwischen explodierender Gewalt und befreiendem Humor, vor allem aber Überlebenskampf, fortwährend Haken schlagend und raumgreifend neue Wege gehend. So etwas wie „Midnight Run“, nur auf deutsch, mit dieser harten deutschen Ästhetik. Und auf seine Weise natürlich auch viel ambitionierter, weil da viel Platz ist, um raumgreifend zu erzählen und so viele Umwege zu gehen, wie nötig sind, um alle Player in diesem Spiel auf Leben und Tod genau unter die Lupe zu nehmen, ihre Motivationen zu verstehen. 

Und dann ist „Crooks“, souverän produziert wie schon „4 Blocks“ von Wiedemann & Berg, auch immer ein Showcase für seine Schauspieler, weil die Geschichte natürlich angefüllt ist mit schrägen Typen und krassen Gestalten, wie sie nur die internationale Unterwelt hergeben, dargestellt von authentischen Leuten. Ein tolles Tandem ergeben Frederick Lau und Christoph Krutzler. Lau hat man in ähnlichen Rollen bereits gesehen, in „Victoria“, „Ummah – Unter Freunden“, natürlich „4 Blocks“ und gerade erst in „Testo“. Aber sein Charly ist hier viel feiner gezeichnet, die Sorge um seine Familie ist ihm auch in den harten Momenten stets anzumerken. Und Christoph Krutzler, der für Marvin Kren und mit Lau bereits in dem TV-Movie „Der weiße Kobold“ vor der Kamera stand und den man in Deutschland vor allem aus Krens Serie „Freud“ kennt, überzeugt als einer, der immer im zweiten Glied stand und nun ohne sein Zutun in die erste Reihe rückt. Und dann ist da noch Svenja Jung als Charlys Frau, die „Crooks“ erdet, dem toxischen Machismo des Gangsterplots eine erfrischende Normalität entgegensetzt, ohne sich Blößen zu geben oder Schwächen zu zeigen: Sie hat ihr ganz eigenes Abenteuer zu erleben in Marseille, wo sie eigentlich mit Charly wiedervereint werden sollte.

Viele positive Dinge ließen sich sagen über „Crooks“, der seine Welt und Figuren auf beeindruckende Weise verinnerlicht hat und niemals den Eindruck erweckt, Marvin Kren und sein Mitregisseur Cüneyt Kaya wüssten nicht, wovon sie erzählen. Vor allem aber ist es die große Ambition des Achtteilers, die beeindruckt: Auf einer so großen Leinwand hat noch keine deutsche Produktion eine Gangstergeschichte erzählt, deren Versatzstücke man wohl kennt, in dieser epischen Umsetzung hier aber eine Tiefe und Komplexität erreichen, die überrascht. Es gibt keine Hänger, das Tempo ist immer hoch, der Druck fortwährend groß. Bleibt zu hoffen, dass viele reden werden über diese exzeptionelle Serie, auf die die Macher stolz sein können. 

Thomas Schultze