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REVIEW STREAMING: „Becoming Karl Lagerfeld“

Aufwändig produzierte Miniserie über den Aufstieg von Karl Lagerfeld zum Modepapst im Paris der Siebzigerjahre.

CREDITS:
Land / Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 6 x 45 Minuten; Regie: Jérôme Salle, Audrey Estrougo; Drehbuch: Raphaëlle Bacqué, Jennifer Have, Isaure Pisani-Ferry; Besetzung: Daniel Brühl, Agnès Jaoui, Théodore Pellerin, Alex Lutz, Arnaud Valois; Plattform: Disney+; Start: 7. Juni

PREVIEW:
Mode liegt in der Luft in der Serienwelt 2024. Nur kurz nach „The New Look“ auf Apple TV+ über den Konkurrenzkampf zwischen Christian Dior und Coco Chanel in der Nachkriegszeit folgt bei Disney+ „Becoming Karl Lagerfeld“, wie der Name schon impliziert eine sechsteilige Miniserie über den Aufstieg des Hamburger Modeschöpfers im Paris der Siebzigerjahre und seine langjährige Beziehung mit dem Pariser Dandy Jacques De Bascher. Die französische Produktion ist ein sowohl lebendigeres wie unterhaltsameres Angebot, macht vollen Gebrauch von der visuellen Grandezza der Ära, ein Rausch der Bilder, Farben und Designs, unter der Regie von zunächst Kinomacher Jérôme Salle mit einem Maximum-Effekt auf den Bildschirm gebracht, jederzeit mit dem Production-Value einer hochwertigen Kinoproduktion, wie er das in den vergangenen Jahren in Filmen wie „Largo Winch“, „Zulu – Blutiges Erbe“ oder „Jacques – Entdecker der Ozeane“ hinlänglich unter Beweis stellen konnte. 

Daniel Brühl in „Becoming Karl Lagerfeld“ (Credit: Disney+)

Dress to impress: Dass Subtilität und Feinsinnigkeit nicht oben auf der Agenda stehen, macht ein Einstieg deutlich, in dem Karl Lagerfeld mit seiner Entourage in Limousinen vorfährt, in Zeitlupe aussteigt und sich unter der Einblendung „Printemps 1972“ und zu den Klängen von „Satisfaction“ der Stones den Weg in einen angesagten Club in Paris bahnt, gefüllt mit Schönen und noch Schöneren und vermutlich einigen Reichen und noch Reicheren, Hedonismus pur, Einmarsch der Gladiatoren. Hier wirft Jacques de Bascher, ein Lebemann aus bestem Hause, erstmals einen Blick auf den Mann, der die kommenden 17 Jahre, bis zu seinem Aids-Tod, Mittelpunkt seines Lebens sein wird, dem er Muse und Vertrauter ist, meist Lebensgefährte, manchmal vielleicht auch Liebhaber. 

Genau lässt sich das nicht sagen, und auch die Serie, die sonst kein Blatt vor den Mund und kein Blatt vor nackte Tatsachen legt, hält sich zurück: Workaholic Lagerfeld ist Asket, lehnt persönlichen Exzess ab, verweigert sich Alkohol und Drogen und Sex. Er fühlt sich der Schönheit verpflichtet, der Schöpfung, aber auch dem Erfolg: Er will gesehen und akzeptiert werden, der Deutsche in der französischen Domäne schlechthin, der Modewelt, in der sich klingende Namen hier die Klinke in die Hand geben: Yves Saint-Laurent, Paloma Picasso, Chloé-Gründerin Gaby Aghion, Carla Fendi, Marlene Dietrich, Andy Warhol. Immer ist er auch Sonderling mit seinem kantig-korrekten Benehmen und dem auffälligen modischen Auftreten, den perfekten Anzügen, den akkurat gebundenen Krawatten, oftmals mit kniehohen Lackstiefeln über den Hosen und der Marotte, die teure Armbunduhr immer über den Manschetten zu tragen, wie eine elegante Uniform, ein Panzer, der ihn vor der Außenwelt schützt, den Mann, der in seiner noblen Wohnung mit seiner Mutter wohnt, gespielt von Wenders-Darstellerin Lisa Kreuzer, und der die Modewelt erobern will, es aber auf seine Weise tun will, nach seinen Regeln. 

Und der 1972, als die Serie einsetzt, am Scheideweg steht, unzufrieden mit dem bisher Geleisteten, ungewiss, was er als nächstes machen wird, aber getrieben von der Überzeugung, dass er es in sich hat, die Welt in Flammen zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt lernt er Jacques de Bascher kennen, gespielt von Théodore Pellerin, der gerade erst in der Apple-Serie „Franklin“ zu sehen war, zu diesem Zeitpunkt flammt seine Konkurrenz zu Yves Saint-Laurents rechter Hand (und lebenslangem Partner) Pierre Bergé auf. Manchmal geht es um de Bascher, manchmal geht es um geschäftliche Belange, aber immer ist ihr Konflikt ein Motor durch die Jahre bis in die frühen Achtziger, als Lagerfeld die Leitung von Chanel übernimmt und alsbald zur Legende wird. 

Immer sieht man gerne zu, lässt sich überwältigen von diesem Frontalangriff auf die Sinne. Aber wenn man ehrlich ist, ist man gekommen zu sehen, wie sich Daniel Brühl schlägt in der Titelrolle, weil man es sich nicht recht vorstellen kann, wie es selbst einem so versierten und begabten Schauspieler wie dem international größten deutschen Star gelingen kann, einen so eigenen und unkonventionellen Menschen wie Karl Lagerfeld mit seinen vielen Manierismen und unverkennbaren Wesenszügen überzeugend einzufangen und darzustellen. Das Fremdeln mit Brühl dauert indes nur kurz, dann hat er einen gewonnen mit einer bravourösen Darstellung, seiner größten Rolle bisher, in der er den letzten deutschen König einhüllt und einfängt und, nun ja, verkörpert, dass man nicht mehr Brühl, sondern nur noch Karl den Großen sieht. Wenn die Erzählung auch mal gefällig und konventionell gerät, Daniel Brühl ist die Galionsfigur der Serie, ihr Mittelpunkt und Fixstern, was umso beachtlicher ist, als er mühelos zwischen den Sprachen wandelt, als würde er einfach nur ein Hemd wechseln. Chapeau!

Thomas Schultze