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REVIEW KINO: „Was von der Liebe bleibt“

Eindringliche Liebesgeschichte über einen Ehemann, der damit umgehen muss, dass seine Frau von einem Unbekannten erschossen wurde.

CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2023; Länge: 100 Minuten; Regie & Drehbuch: Kanwal Sethi; Besetzung: Serkan Kaya, Seyneb Saleh, Amira Demirkiran, Olga von Luckwald, Marietta Meguid, Milian Zerzawy, Birte Schnöink; Verleih: Filmwelt; Start: 2. Mai 2024

REVIEW:
Die Morde des NSU waren 2017 Ausgangspunkt für Fatih Akins „Aus dem Nichts“. Und sind nun auch tief in der DNS des neuen Films des indisch-deutschen Regisseurs Kanwal Sethi („Once Again – Eine Liebe in Mumbai“, Teil eins einer Trilogie über Einsamkeit im urbanen Indien, die der Filmemacher in diesem Jahr fortsetzen will) verwoben, eine Produktion von Benny Drechsel mit seiner Rohfilm, die ihre Weltpremiere im vergangenen Jahr im Rahmen des Filmfest Hamburg feierte und Serkan Kaya im März beim 28. Filmfestival Türkei Deutschland in Nürnberg den Preis als bester Darsteller bescherte. Und doch haben die beiden Film darüber hinaus wenig miteinander gemein, ein politischer Gerichtssaalthriller der eine, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte der andere. Wobei Sethi seine Geschichte der Liebe von Ilyas und Yasemin nutzt, er ein Berliner mit türkischen Wurzeln, sie eine Kölnerin kurdischer Herkunft, um in die Ritzen zu gucken und dabei etwas über systemischen Rassismus in Deutschland zu erzählen: Und wenn man sich noch so deutsch fühlen mag, als waschechter Berliner, in den Augen der Behörden wird man immer der Andere bleiben, der Ausländer. 

Serkan Kaya und Seyneb Saleh in der ungewöhnlichen Liebesgeschichte „Was von der Liebe bleibt“ (Credit: Erik Molberg Hansen / Rohfilm Productions / FILMWELT)

Aber erst einmal kommt die Liebe. Auf einer Dampferfahrt auf der Spree lernen sich Ilyas und Yasemin kennen, sofort ist da ein tiefes Verständnis, wie wenn man jemand schon ewig kennen würde, in- und auswendig, auch wenn es ihm etwas peinlich ist, als sie sich über die Reling beugt und in die Nacht brüllt, sie sei eine Kanakin. Ihm käme das nie in den Sinn, so sieht er, der immer schon in Deutschland gelebt hat, sich nicht. 15 Jahre später haben sich die beiden gemeinsam eine gutbürgerliche Existenz aufgebaut, mit einem florierenden gemeinsamen Café: schöne, große Wohnung, geschmackvoll eingerichtet, immer elegant angezogen. Gemeinsame 14-jährige Tochter. Zwar liegt etwas Stress in der Luft, das spürt man, und doch kommt es für den Zuschauer gemeinsam mit Ilyas wie ein Schock, als Yasemin im Café von einem Unbekannten erschossen wird. 

Kanwal Sethi sieht mit nötiger Distanz zu, wie einer damit umgeht, das ihm von einem Moment auf den nächsten alles geraubt wird, was sein Leben ausmacht, wie er vor dem Trümmerhaufen steht, vor gähnender Leere. Und wie er trotzdem, für seine Tochter und die Familie weitermachen muss. Auch wenn es ihm nicht leichtgemacht wird, weil die Polizei keinen Zweifel daran lässt, immer auch ihn zu verdächtigen und die Schuld beim Opfer zu suchen: Ob Ilyas denn gewusst habe, dass Yasemin regelmäßig Geld an Einrichtungen gespendet habe, die die PKK unterstützen? Zweifel ist ein langsam wirkendes Gift, steter Tropfen höhlt den Stein: Kann es sein, dass er seine Frau nach 15 Jahren weniger gekannt haben sollte als damals, als man sich in der lauen Sommernacht ineinander verliebt hat? Und dann eben der Ton, der ihm gegenüber angeschlagen wird, die Blicke, die ihm zugeworfen werden, die Reaktion der Öffentlichkeit, als auch die Nachrichten von Yasemins möglichen Kontakten Wind kriegen. Auf einmal fühlt man sich ein bisschen wie bei Kafka. Oder wenigstens wie bei Hitchcock: Wie man auch reagiert, irgendwie rutscht man automatisch immer tiefer in etwas, was bisher nie ein Thema gewesen war. 

Dass „Was von der Liebe bleibt“ zwar manchmal etwas didaktisch wirken kann, wird immer abgefedert von dem überzeugenden Spiel von Serkan Kaya und Seyneb Saleh in den Hauptrollen, zwei attraktive und sympathische Figuren, sie vielleicht mit mehr Untiefen, als man ahnen mag, er mit der Erkenntnis konfrontiert, dass er sich zwar immer nur als „Berliner“ identifiziert und sich auch nie anders wahrgenommen hat, in den Augen der Menschen, die ihm begegnen, aber wohl doch immer auch „Kanake“ ist. Gerade die letzte Szene unterstreicht das, man ist fassungslos als Zuschauer, weil man einräumen muss: Ja, so ist das. Ganz zu Beginn sieht man Ilyas regungslos auf einer Brücke auf einer Bank liegen, Schnee, Kälte, Grau in Grau. Dann springt der von dem dänischen Bildgestalter Erik Molberg Hansen (von dem auch die Standfotos des Films stammen) ausgewählt präzise und farbcodiert fotografierte Film in den Sommer, zu prallen Farben, die später nur noch dann auftauchen, wenn man Yasemin in Rückblenden in ihren bunten Kleidern sieht. Ansonsten treiben Sethi und Molberg ihren Bildern mehr und mehr die Farbe aus, viel Braun und noch mehr Blau, insbesondere wenn Polizeibeamte zu sehen sind. Bis nur noch Grau bleibt, Deutschlands Primärfarbe: Sie beugt den Helden des Films. Aber sie bricht ihn nicht. Weil keine Frage besteht, dass die Liebe bleibt.

Thomas Schultze