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REVIEW KINO: „Twisters“

Späte Fortsetzung des Blockbusters „Twister“ von 1996, in der sich Glen Powell und Daisy Edgar-Jones todesmutig gleich mehreren Tornados im amerikanischen Heartland entgegenstellen.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 117 Minuten; Regie: Lee Isaac Chung; Drehbuch: Mark L. Smith, Joseph Kosinski; Besetzung: Daisy Edgar-Jones, Glen Powell, Anthony Ramos, Brandon Perea, Maura Tierney, Sasha Lane, Kiernan Shipka; Verleih: Warner Bros.; Start: 17. Juli 2024

REVIEW:
Wenn man über „Twisters“ reden will (und das sollte man unbedingt tun), sollte man erst über „Twister“ reden: 1996 war die zweite Regiearbeit des Kameramanns Jan De Bont („Speed“) Tagesgespräch, mit 3,7 Mio. verkauften Tickets in Deutschland und mehr als 240 Mio. Dollar Einspiel in den USA einer der großen Kinohits des Jahres, der die Schraube nach „Jurassic Park“ noch einmal weiterdrehte, was sich alles mit dieser neuen Innovation CG-Effekte anstellen lässt. Man sprach über den Money-Shot, die fliegende Kuh, was vielleicht auch der Grund ist, dass man sich an „Twister“ als guilty pleasure erinnert, Inbegriff eines Popcornfilms, der prima schmeckt, herrlich sättigt, aber zu wünschen übriglässt, was Nährstoffe anbetrifft. Dem Film täte man unrecht: Er ist mehr als der Rahmen für ein paar Effekte, die einem den Mund offenstehen lassen. Top besetzt mit Bill Paxton und Helen Hunt in den Hauptrollen, in den Nebenrollen gute Namen immerhin wie Philip Seymour HoffmanCary Elwes und Jamie Gertz. Und dazu ein Film, der funktioniert, dessen Motor schnurrt, der handwerklich keine Wünsche offenlässt. Topunterhaltung aus Hollywood eben. 

Wenn nun 28 Jahre später wieder gewirbelsturmt wird auf der großen Leinwand, dann knüpft man genau an diese Tradition an, ein Spektakel, das viel Wind macht, mit großen Setpieces das Publikum abholt, dann aber doch mit seinen Figuren gewinnt, ein bisschen Sturm im Herzen entfacht. Als Regisseur Lee Isaac Chung im April bei der CinemaCon in Las Vegas im Rahmen der Präsentation von Universal (die die US-Auswertung übernehmen; im Rest der Welt ist Warner Bros. der Verleih) auf der Bühne stand, sprach er sofort den Elefanten im Raum an: Warum ausgerechnet er, der Einwanderersohn aus Südkorea, der sich vor vier Jahren mit seinem autobiographischen Independentfilm „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“ als Filmemacher mit viel Einfühlungsvermögen und gutem Auge empfahl, einen Film wie „Twisters“ als Folgearbeit habe machen wollen: Er sei im Mittleren Westen genau mit Filmen wie „Twister“ großgeworden, sei vom Sommerkino der Studios für die große Leinwand sozialisiert worden, und empfinde es als Geschenk, der eigenen Jugend jetzt auf diese Weise ein Denkmal zu setzen.

„Twisters“ (Credit: Melinda Sue Gordon/Universal Pictures; Warner Bros. Pictures & Amblin Entertainment)

Chung meint es ernst. Das sieht man „Twisters“ an, geschrieben von Mark L. Smith zusammen mit „Top Gun: Maverick“-Regisseur Joseph Kosinski, der wohl zunächst als Regisseur angefragt worden war, und man sieht es vom ersten Moment an. Mehr noch als eine Liebeserklärung an das Popcornkino seiner formativen Jahre ist es eine Liebeserklärung an die Gegend, in der Chung großgeworden ist und die er kennt wie wohl wenige andere, jedes Bild sieht aus wie gelebte Erfahrung: „Minari“ spielte in Arkansas, seine neue Arbeit in Oklahoma, dem Nachbarstaat, der im vergangenen Jahr auch Schauplatz von „Killers of the Flower Moon“ war, amerikanischer Mittlerer Westen, Hinterland, die Kornkammer des Landes mit endlosen Ebenen, in denen sich alljährlich immer noch mehr Tornados austoben und an den kleinen Gemeinden in der Mitte des Nirgendwo gütlich tun. Es ist keine Schönheit, die Chung da zeigt. Und doch – ich will es auch nicht übertreiben – ist sein Blick geprägt von einer großen Liebe, findet er mit seinem DP Dan Mindel, ein Mann für die ganz großen Megaproduktionen, „Star Wars“, „Star Trek“, „Pacific Rim“, besonders einnehmende Bilder. 

Wenn er die beiden Hauptfiguren, perfekt besetzt mit Daisy Edgar-Jones aus „Der Gesang der Flusskrebse“ und It-Guy Glen Powell aus „Wo die Lüge hinfällt“ und aktuell „A Killer Romance“, sie die Intelligenzbestie aus der Stadt, er der breitbeinige „Tornado-Wrangler“ vom Land (yee-haw™), erstmals an einer Tankstelle verbal miteinander duellieren lässt, zeigt er sie leicht von unten mit dem endlosen blauen Himmel und sich langsam auftürmenden Wolken im Hintergrund, the big sky. Oder wenn sie entscheiden muss, welchem der Zwillingstornados sie am besten folgen soll und der Wind einmal übers Korn hinwegstreicht, als würde es von Russell Crowes Hand berührt werden. Aber noch mehr in den alltäglichen Ansichten von viel Nichts, anonymen Kleinststädten, die nicht viel hermachen, und schließlich einem nächtlichen Rodeo: Das ist keine Fantasywelt, sondern Red-State-Amerika in Reinstform. Und die perfekte Kulisse für Situationen, durch die der Film einen gewaltigen Wirbelsturm nach dem anderen toben lässt. 

Ganz besonders nutzt „Twisters“ sein Szenario, zwei Welten aufeinanderprallen und dann zueinander finden zu lassen, die in den wahren Un-Vereinigten Staaten von Amerika längst den gegenseitigen Dialog eingestellt haben. Kate Cooper ist Verkörperung der Blue States, Tyler Owens ist Red States pur. Kein Hurricane der Welt könnte sie noch weiter auseinanderpusten. Außer dass sie beide dem Reiz der Tornados erlegen sind, ihnen lieber entgegeneilen als Reißaus zu nehmen, wie es normale Menschen tun würden, verwandte Seelen eben. Das wird ihre gemeinsame Basis sein, und der Film ist sehr clever, wie er beide an sich entdecken lässt, dass man sie ganz so einfach eben doch nicht ausrechnen kann. Sie ist zwar aus New York angereist, aber stammt ursprünglich eben aus Oklahoma, ist auf einer kleinen Farm großgeworden und kennt das Leben dort bestens, liebt es auch. Er wiederum ist nicht einfach nur ein lauter Redneck, der mit seinem Trupp auf den Putz haut, sondern zieht den ganzen Zirkus nur ab, um den einfachen Leuten zu helfen, die von den Stürmen um ihre Existenz gebracht wurden. 

Schon früh macht „Twisters“ viel Spaß, macht er Lust und Laune auf seine technisch perfekt umgesetzten Setpieces. Lee Isaac Chung weiß, warum das Publikum kommt und seine hart verdienten Dollar auf den Tresen legt. Und lässt sich nicht lumpen. Aber spätestens, wenn Daisy Edgar-Jones und Glen Powell Zwischenstopp auf der Farm ihrer Eltern machen und die großartige Maura Tierney als Mama einen Gastauftritt zum Dahinschmelzen hinlegt, entfacht der Film einen neuen Reiz, entdeckt er seine Figuren als Menschen und nicht nur als Schachfiguren, die auf dem Brett von Sturmböen mal hierhin, mal dahin geblasen werden. Der Showdown findet dann in einem Kino statt, es läuft ein Nachmittag mit Monsterfilmen. Es ist die letzte Zuflucht vor der maximalen Zerstörung eines Tornados, der an diesem Gemäuer rüttelt, wie der große böse Wolf das Haus der drei kleinen Schweinchen wegzupusten droht. Jetzt wird sich herausstellen müssen, ob die neu entwickelte Technologie von Kate wirklich funktioniert und sie den Sturm bändigen kann: Wieder sind wir also auf einem Rodeo, diesmal aber nicht Cowboy gegen Stier, sondern das Mädchen allein im Monsterjeep des Jungen gegen die Naturgewalt. Das Kino kann so schön sein. Man kann nur hoffen, dass das große Publikum ebenso ergriffen sein wird wie ich es war.

Thomas Schultze