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REVIEW KINO: „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Höchst emotionale Verfilmung des Bestsellers von Lily Brett über eine New Yorkerin, die mit ihrem Vater, ein Überlebender des Holocaust, nach Polen reist, um die Gedenkstätte Auschwitz zu besuchen. 

CREDITS:
O-Titel: Treasure; Land / Jahr: Deutschland, Frankreich 2024; Laufzeit: 112 Minuten; Regie: Julia von Heinz; Drehbuch: Julia von Heinz, John Quester; Besetzung: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski; Verleih: Alamode; Start: 12. September

REVIEW:
Wenn wir zurückdenken an „Und morgen die ganze Welt“ aus dem Jahr 2020, Julia von Heinz‘ erste Regiearbeit der damals von ihr, Produzent Fabian Gasmia und den Filmemachern David Wnendt und Erik Schmitt neu gegründeten Produktionsfirma Seven Elephants, dann war der für den Wettbewerb von Venedig ausgewählte Film purer Sturm und Drang, Unmittelbarkeit, mit der nervösen Kamera so nah ran an die von Mala Emde gespielte Hauptfigur, direkte Identifikation mit einer jungen Frau, die bei der Antifa mitmischt und entscheiden muss, wie weit sie im Kampf gegen die Faschos bereit zu gehen ist. „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“, die wieder von ihr zusammen mit ihrem Ehemann John Quester geschriebene und von Daniela Knapp in Bilder gefasste Folgearbeit fürs Kino, eine weitere Produktion von Seven Elephants, ist der filmisch und erzählerisch diametral dazu konzipierte Gegenentwurf und doch in vielerlei Hinsicht ein Begleitfilm, unverkennbar die Arbeit derselben leidenschaftlichen und selbstbewussten Filmemacherin. 

Stephen Fry und Lena Dunham in „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ von Julia von Heinz (Credit: Anne Willk / Alamode)

Zurück ins Jahr 1991 geht es bei der Verfilmung des überaus autobiographischen Romans „Zu viele Männer“ der Australierin Lily Brett: Der konstant mit sich und ihrem Leben hadernden New Yorkerin Ruth Rothwax ist es gelungen, ihren unkonventionellen und seiner Tochter gegenüber gern auch einmal brüsken und bärbeißigen Vater Edek zu überreden, mit ihr eine Woche lang Polen zu bereisen. Das Land, in dem Edek geboren wurde und das er nicht mehr gesehen hat, seitdem er es als Überlebender des Holocaust Richtung Amerika hinter sich gelassen hat. Für Ruth ist es eine große Sache, das Land ihrer Vorfahren zu entdecken und hoffentlich auch mehr über ihren Vater und ihre Familie – und damit auch sich – zu erfahren. Leicht wird es ihr indes nicht gemacht, weil Edek nur seinen eigenen Rhythmus kennt und wenig Interesse für das aufbringt, was Ruth an der Reise begeistert. Er mäkelt an ihrem Äußeren herum, ihren – zugegeben idiosynkratischen – Essgewohnheiten und überhaupt ihrem Leben. Und er ist bockig wie ein Esel. Will nicht mit dem Zug fahren und heuert stattdessen einen Taxifahrer an, der sie durchs Land bringt. Steuert Ziele an, die nicht abgemacht waren und Ruth nicht interessieren: Was zum Teufel will sie im Chopin-Museum? Und unternimmt auch sonst alles Denkbare, um ihren Enthusiasmus und ihre Hoffnungen zu torpedieren. 

Es gäbe indes keinen Film, wenn die beiden sich nicht doch annähern würden, sehr zögerlich, zwei Schritt vor, einer zurück, zwar, aber wie da langsam Liebe durchschimmert durch ihre fortwährenden Konfrontationen und aufkeimendes gegenseitiges Verständnis, dass beide vom Leben gezeichnet sind und jeder sein ganz eigenes Trauma auf die Schultern geladen hat, das beobachtet Julia von Heinz mit ungeheurer Feinheit, ganz unaufgeregt, immer mit gebührendem Abstand, aber auch nicht ohne Witz und Humor. Anders könnte man die Geschichte auch kaum ertragen, weil von Anfang klar ist, was das Ziel ist: Wenn die Familie Rothwax einer verstehen will, muss der Weg zur Gedenkstätte Auschwitz führen, dem Ground Zero des familiären Traumas, das der Grund ist, warum Edek nie wieder in seinem Leben in einen Zug steigen kann und Ruth, wie zur Selbstgeißelung, vor dem Einschlafen antisemitische Nazi-Literatur liest und zu bulimischen Fressanfällen neigt. 

Ein leiser Film ist „Treasure“ geworden, ein Film, der selbst neugierig eine Reise antritt, als wolle er im Lauf der Handlung herausfinden, ob man im Drehbuch auch wirklich richtig lag bei der Charakterisierung und Einschätzung der Figuren. Es ist Julia von Heinz‘ erste englischsprachige Arbeit, entstanden mit einem internationalen Cast (und ohne deutsche Schauspieler): Lena Dunham, seit der Serie „Girls“ so etwas wie die intellektuelle Vorzeige-New-Yorkerin der Generation Hipster, spielt Ruth Rothwax, wie vermutlich nur sie sie spielen kann und spielen würde. Völlig uneitel und unapologetisch ist ihr Auftritt: Wenn Ruth ein paar Pfund zu viel auf den Rippen hat, dann hat das seinen Grund, ist das Teil dieser Figur, die unverkennbar auf dem Kriegsfuß mit ihrem Körper steht und dabei nichts lieber täte, als ihren inneren Frieden zu finden. Stephen Fry, der GROSSE Stephen Fry, eine Art britisches Heiligtum, ist vermutlich der letzte Schauspieler, den man als den amerikanisierten jüdischen Polen Edek Rothwax sehen würde, der hinter seinem lauten und jovialen Äußeren einen so unfassbaren Schmerz verbirgt, dass man keine Worte für ihn finden kann. Er ist goldrichtig, weil er genau das spielt, ohne dass man es ihm anmerkt: ein Mann, der viel Liebe empfindet, die Ausdrucksmittel dafür aber im Stacheldraht von Auschwitz zurücklassen musste. Die Zartheit und Zurückhaltung im Umgang der beiden Figuren miteinander strahlt auf den ganzen Film, der sich Zeit lässt, Zeit lassen muss, um seine Wirkung zu entfalten. Sonst würde er seine Arbeit nicht richtig machen. Julia von Heinz aber hat sie, gemeinsam mit ihren Mitstreitern, richtig gemacht. 

Thomas Schultze