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REVIEW KINO: „To the Moon“

Big-Picture-Comedy-Drama über die Romanze zwischen einem Marketing-Genie und einem NASA-Ingenieur.

CREDITS:
O-Titel: Fly Me to the Moon; Land/Jahr: USA, 2024; Laufzeit: 131 Minuten; Drehbuch: Rose Gilroy; Regie: Greg Berlanti; Besetzung: Scarlett Johansson, Channing Tatum, Ray Romano, Woody Harrelson, Nick Dillenburg, Anna Garcia, Jim Rash, Noah Robbins, Colin Woodell, Christian Zuber, Donald Elise Watkins; Verleih: Sony Pictures; Start: 11. Juli 2024

REVIEW:
Es ist 1968 in Cape Canaveral, Florida, die Jukebox spielt „The moon belongs to everyone, the best things in life are free“, die Neonschilder von „Wolfie’s Restaurant“ leuchten in den nächtlichen Sternenhimmel. Drinnen sitzt Scarlett Johansson, als Channing Tatum das Diner betritt. Ihre Blicke begegnen sich, und in dem Moment, in dem man denkt, das müssen die beiden heißesten Menschen auf diesem Planeten sein, fängt das Buch auf ihrem Tisch Feuer. Was für ein Raketenstart für eine Lovestory! Allein wegen dieser Szene freut man sich, dass „To the Moon“, der von Apple zunächst als Streaming-Release geplant war, auch auf der großen Leinwand zu sehen ist. Das Projekt wurde von Scarlett Johansson mit ihrer Firma These Pictures entwickelt, ursprünglich mit Jason Bateman als Regisseur und Chris Evans als Hauptdarsteller, bevor Greg Berlanti und Channing Tatum an Bord kamen. Das Original-Drehbuch stammt von Rose Gilroy, es ist ihr zweites Skript für einen Spielfilm nach dem Psychothriller „The Pack“, der demnächst verfilmt werden soll. Es betrachtet das historische Space Race der 1960er zur Abwechslung mit einer nostalgischen Screwball-Komödie, die die Wahrheit so verdreht, dass man glaubt, eine Romanze habe die Mondlandung befeuert.

„To the Moon“ mit Scarlett Johansson und Channing Tatum (Credit: Sony)

Channing Tatum ist der Ingenieur Cole Davis, ein amerikanischer Held, wie er im Buche steht, ehemaliger Militärpilot, hochdekoriert im Koreakrieg, geradlinig, aufrichtig, nichts ist ihm wichtiger, als das Leben der Astronauten und die Sicherheit seines Teams. Er trägt eine hohe Verantwortung und schwere Last auf den breiten Schultern, als Leiter des Mondlande-Programms der NASA gibt er sich selbst die Schuld am tragischen Scheitern von Apollo 1, die mitsamt ihrer Besatzung in Flammen aufging. Auch Apollo 11 steht unter keinem guten Stern, das Budget ist um knappe 400 Millionen Dollar überschritten, es brennt buchstäblich an allen Ecken und Enden, und nun kommt Cole auch noch Scarlett Johanssons Marketing-Genie Kelly Jones in die Quere, der er gleich mal einen Feuerlöscher in die Hand drückt, womit die Funken, die bei ihrer ersten Begegnung so heftig geflogen sind, vorerst abkühlen. 

Kelly soll im Auftrag der Nixon-Regierung das Image der Raumfahrtbehörde aufpolieren, die Nachrichten mit positiven Meldungen überschwemmen, Werbepartner gewinnen, Senatoren dazu bringen, für die Fortführung der Mission zu stimmen. Sie ist die Geheimwaffe, die Amerika braucht, um die Russen auf dem Mond zu schlagen, die weibliche Antwort auf „Mad Man“ Don Draper, der alle Mittel Recht sind, um einen Pitch zu landen. Sie verkauft sogar sich selbst als schwangere Hausfrau mit Fake-Babybauch, wenn es dazu dient, einem Sportwagenhersteller ihr familienfreundliches Werbekonzept anzudrehen. Verkaufen bedeutet Lügen, und Kelly Jones hat das Lügen erfunden. Als PR-Beauftragte der NASA engagiert sie als erstes eine Riege von Schauspielern, die vor laufenden Fernsehkameras die Rollen von Cole Davis oder dem leitenden Ingenieur Henry Smalls (Ray Romano) übernehmen sollen, weil sich insbesondere Cole auf keinen Fall den Fragen der Öffentlichkeit stellen und Kelly aus dem Weg gehen will.

Channing Tatum und Scarlett Johansson sind wie Spencer Tracy und Katherine Hepburn, wie Rock Hudson und Paula Prentiss in Howard Hawks‘ „Ein Goldfisch an der Leine“. Sie streiten hin und her, in wunderbar schlagfertigen Dialoggefechten, die meistens Johansson gewinnt. Dabei wissen sie längst, dass sie eigentlich füreinander geschaffen sind, weil sie zusammenarbeiten müssen, um ihr gemeinsames, Lichtjahre entferntes Ziel zu erreichen. Denn um das Unmögliche möglich zu machen, braucht es nicht nur den buchstäblichen Raketenwissenschaftler, sondern auch den Menschen, der alle anderen davon überzeugt, dass sie sich nach etwas sehnen, von dem sie bis dahin nicht einmal wussten, dass es existiert. Cole und Kelly sind das Yin und Yang, der unverschämt attraktive Spirit von Amerika, und der Film umkreist diese gegensätzlichen Pole wie die Apollo den Mond, ihre Anziehungskraft überstrahlt selbst die Sonne in den großartigen, nostalgischen Postkarten-Motiven, mit denen Kameraveteran Dariusz Wolski das Publikum ins Florida der 1960er-Jahre versetzt. Es wurden keine Kosten gescheut, um Kostüme und Frisuren, Technik und Locations bis ins kleinste Detail authentisch nachzustellen, vom Alligator auf der Landebahn bis hin zu Channing Tatums hautengen Turtleneck-Sweatern. Der soulig-funkige Soundtrack trifft genau die groovige Aufbruchsstimmung der Zeit, die Nebenfiguren sind ein sympathisches Ensemble aus lauter Babyboomern wie Kellys feministischer Sidekick Ruby (Anna Garcia) und das nerdige Ingenieursduo Stu (Donald Elise Watkins) und Don (Noah Robbins), die angetreten sind, um die Welt zu verändern. 

Als der Start von Apollo 11 näher rückt, wird nicht nur die Beziehung von Kelly und Cole auf eine harte Probe gestellt, sondern auch das Vertrauen sämtlicher NASA-Mitmitarbeiter – und der ganzen Nation: Weil es sich Amerika nicht leisten kann, das Space Race zu verlieren, soll Kelly für alle Fälle und hinter Coles Rücken eine „Backupversion“ der Mondlandung produzieren, die im Zweifelsfall über die Fernsehschirme flimmern wird. Strippenzieher dieses Betrugsversuchs ist der CIA-Agent Moe Berkus, eine Paraderolle für Woody Harrelson, ein zwielichtiger White-Collar-Typ, dessen Fragwürdigkeit darin gipfelt, dass er seinen Scotch mit einer Zitronenscheibe trinkt. Er lässt Kelly keine Wahl und setzt sie damit unter Druck, ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit an die Öffentlichkeit zu bringen, sollte sie dem ungeheuerlichen Befehl von ganz weit oben nicht nachkommen. Also engagiert Kelly ihren alten Freund, die Werbefilmikone Lance Vespertine (herrlich flamboyant: Jim Rash), um das zu tun, wozu Stanley Kubrick nicht bereit war. Damit vollbringt der Film selbst in seinem dritten Akt etwas Unmögliches, zeigt auf aberwitzige Weise gleichzeitig das Falsche und Echte, lässt parallel zur tatsächlichen die Dreharbeiten zur gefälschten Mondlandung stattfinden und schickt sich an, sogar den Fake zu faken. Letztlich gebührt einer schwarzen Katze Credit, die als vierbeiniger Running Gag durchs Space Center huscht, und dafür sorgt, dass man zwischen den verschiedenen Varianten von Landefähren, Neil Armstrongs und Buzz Aldrins nicht den Überblick verliert.

Greg Berlantis und Rose Gilroys alternative Version der Ereignisse ist vielleicht nicht historisch korrekt wie Ron Howards „Apollo 13“ und näher an der Nostalgie von Damien Chazelles „Aufbruch zum Mond“, aber sie ist unterhaltsam und tiefgründig, ein unbeschwertes, smartes Sommer-Popcorn-Movie mit Herz und Verstand. Sie verdreht charmant und augenzwinkernd die Geschlechterrollen der 60er-Jahre, fängt eine Ära ein, in der das, was im Fernsehen lief, als Wahrheit angesehen wurde, und enthüllt ohne Zynismus, dass jeder amerikanische Traum auf einem Marketingkonzept basiert. „Too bad it’s all fake“, sagt Kelly Jones am Ende. Ein wenig schade ist, dass die so brennend heiß gestartete Leinwandromanze zwischen den charismatischen Superstars Johansson und Tatum am Ende etwas keuschhaft in den Hintergrund rückt und das Gefühl zurückbleibt, der Film würde seine Lovestory als halbherzige Mogelpackung verkaufen. Aber dafür bekommt man gleich die doppelte Mondlandung.

Corinna Götz