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REVIEW KINO: „Tatami“

Packender Sportthriller über eine iranische Judoka, die bei den Weltmeisterschaften von ihrem Regime massiv unter Druck gesetzt wird und eine folgenschwere Entscheidung treffen muss.

CREDITS:
Land / Jahr: Georgien, USA 2023; Laufzeit: 105 Minuten; Regie: Guy Nattiv & Zar Amir; Drehbuch: Guy Nattiv & Elham Erfani; Besetzung: Arienne Mandi, Zar Amir, Jaime Ray Newman, Nadine Marshall, Lir Katz, Ash Goldeh; Verleih: Wild Bunch; Start: 1. August 2024

REVIEW:
Es gibt sie immer wieder, die Filme, die man mag und sofort bereit ist, in sein Herz zu schließen, bevor man sie gesehen hat. Weil einem die Idee gefällt, die Konzeption, die beteiligten Namen. Und man dann hofft und bangt, dass besagter Film auch tatsächlich hält, was man sich davon versprochen hat. „Tatami“ mag man sofort, als Idee, wegen der Konzeption und der beteiligten Namen. Ein Sportthriller in Schwarzweiß über eine iranische Judoka, die bei der Weltmeisterschaft in Tiflis vom iranischen Regime unter Druck gesetzt wird, aus dem Wettbewerb auszuscheiden, um einen Finalkampf gegen eine israelische Sportlerin zu vermeiden. Von Guy Nattiv, der mit „Skin“ ein sehr intensives Drama über einen auf Körper und Gesicht tätowierten Nazi-Skinhead, der sich lossagt von seiner hasserfüllten Gesinnung, gemacht hatte und aktuell einen schönen Erfolg in den Arthouse-Kinos feiert mit „Golda – Israels eiserne Lady“, in Zusammenarbeit mit Zar Amir, die unter ihrem vollen Namen Zar Amir Ebrahimi vor zwei Jahren in Cannes den Darstellerinnenpreis gewonnen hatte für ihre umwerfende Leistung in „Holy Spider“. Ein Israeli und eine Iranerin, die Hand in Hand an einem Film arbeiten, der mit dem Fokus auf ein Sportevent letztlich ihre reale Situation spiegelt: der Versuch des Mullah-Regimes, einen Keil zu treiben zwischen Künstler, Sportler, Menschen aus den vermeintlich tödlich miteinander verfeindeten Ländern.

„Tatami“ (Credit: ©Judo Production LLC / Juda Khatia Psuturi)

Wie gesagt: Das Projekt, das im vergangenen Jahr auf der 80. Mostra in Venedig Weltpremiere hatte im Rahmen der „Orizzonti“-Reihe, mag man sofort. Den Film selbst dann auch. Zum Glück. Weil das ja dann nichts mehr zu tun hat mit der Botschaft und dem eigentlichen Stoff, sondern dem, was man da sieht auf der Leinwand, die künstlerische, Gestaltung, der narrative Zug. Streng wirkt sie zunächst, die ästhetische Anordnung in Schwarzweiß im Format von 1,33 zu 1, was die Räume einengt, die Figuren nah aneinanderrückt, ihnen buchstäblich wenig Spielraum gibt. Die Anmutung ist überhöht und hyperreal zugleich. Schnell schlägt man als Zuschauer die Brücke zu Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ und Matthieu Kassovitz‘ „La Haine“, zwei moderne Klassiker, die auf ihre Weise ebenfalls impressionistisches Schwarzweiß nutzen, um den Zuschauer einerseits zu distanzieren, andererseits aber den Eindruck zu erwecken, echter und wahrhaftiger zu sein, als wenn man in Farbe gedreht hätte. Bei „Tatami“ kommt zusätzlich die brisante politische Komponente hinzu, der Film ist weniger Porträt als ein mit den dramaturgischen Mitteln des Sportfilms erzählter Politthriller, in dem sich im Verlauf eines Turniers alles immer weiter zuspitzt, jeder neue Zweikampf für die Hauptfigur stets innere und äußere Konflikte verstärkt. 

Dazu kommen dann noch die Kämpfe selbst, jeder von ihnen in einem anderen Stil, einer eigenen Identität inszeniert, an der jeweiligen Situation der Protagonistin orientiert, und hier ganz offensichtlich inspiriert von „Raging Bull“, nur dass dessen maskuline Wut und Lust an katholischer Bestrafung hier einer weiblicheren Anmut weicht, einer strategischen Intelligenz und verzweifelten Verbissenheit, aber doch immer nachvollziehbar, greifbar, körperlich spürbar. Dass Nattiv und Zar Amir auf die altbekannte Konvention zurückgreifen, die Kämpfe immer auch von zwei Moderatoren aus dem Off begleiten zu lassen, ist nicht unbedingt der Gipfel des Einfallsreichtums, aber tatsächlich auch nicht die schlechteste Entscheidung: Auf diese Weise wird Orientierung geliefert und jede Menge Information über den Judo-Sport, der einfach zu begreifen scheint, aber doch voller Details und Einzelheiten steckt, die man als Außenstehender unmöglich begreifen kann, wenn man nicht darauf hingewiesen wird. Auch setzen die Filmemacher einen Kontrapunkt zu der eigentlichen Handlung, um die es geht, ein, um weiter in den Bildern bekannter Schwarzweißfilme zu sprechen, „Der Spion, der aus der Kälte kam“ in brandaktuellem Kostüm: „Tatami“ wurde noch vor Ausbruch der Frauenrevolution im September 2022 gedreht, nimmt sie aber in seiner Stimmung und Grundhaltung vorweg.

„Tatami“, um den Titel des Films zu erklären, sind die dünnen Matten, auf denen Judo gekämpft wird. Im Zusammenhang mit der fiktiven, aber von realen Sportlerinnen aus Iran inspirierten Handlung könnte man also von „Kampfzone“ sprechen, die in diesem Fall eine prächtige Sporthalle in der georgischen Hauptstadt Tiflis ist. Wenn es nicht gerade Rückblenden gibt oder kurze Schnitte auf die Familie der Protagonistin in ihrem Heimatland, spielt sich hier mehr oder weniger der gesamte Film ab. Hierhin ist die iranische Judoka-Equipe gereist unter Leitung der Trainerin Maryam Ghanbari, um als Außenseiter um die Weltmeisterschaft zu kämpfen. Bis zu einer Verletzung war Ghanbari selbst eine herausragende Sportlerin, indes niemals so gut wie ihre Freundin Leila Hosseini, die das Aushängeschild der Mannschaft ist, eine von Arianne Mendi, bekannt aus einem der Spinoffs von „The L Word“, mit großer Intensität und beeindruckender Körperlichkeit gespielte Frau, die sich und der Welt beweisen will, dass sie zur Weltspitze zählt: Weil sie als Muslima eine eng anliegende Haube tragen muss, sieht man stets nur ihr von Schwarz eingerahmtes Gesicht, in dem sich der gesamte Film spiegelt. 

Das Drama spielt sich schließlich zwischen ihr und ihrer Trainerin ab. Während sich Leila die Chance trotz steigenden Drucks auf sie und ihre Familie daheim nicht nehmen will, und wenn noch so viele Agenten sie in einsamen Passagen abpassen und bedrohen, und den Aufstand plant, fügt sich Maryam in die Befehle aus dem Heimatland, ist ihre Angst zu groß: So entsteht ein Drama um die Seelen der beiden Frauen, die ein Stellvertreter für alle Frauen in Iran sind: Was wird man sich gefallen, wie sehr wird man sich gängeln lassen. Der Rahmen eines sportlichen Wettbewerbs ist klug gewählt: Es ist eine Beobachtung wie unter einem Mikroskop, und die Spannung wird automatisch dadurch gesteigert, dass es in jedem Kampf um immer noch mehr geht, aber bei einer Niederlage Leilas auch automatisch die Luft raus wäre aus ihrem inneren Konflikt: Sie muss also gewinnen, um ihre Hoffnung auf Selbstbestimmung und ihren ganz privaten Widerstand aufrecht zu erhalten. Am Ende ist man froh, immer schon auf „Tatami“ gesetzt zu haben: Man mag den Film, weil seine Intention gerecht ist. Und weil die Filmemacher dennoch nie aus den Augen verloren haben, erst einmal einen guten Film zu machen, wenn die Botschaft denn wirklich verfangen soll.

Thomas Schultze