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REVIEW KINO: „Paris Paradies“

Morbid-humoriger Reigen über ein Handvoll Menschen in Paris, die auf drastische Weise mit ihrer Vergänglichkeit konfrontiert werden. 

CREDITS:
O-Titel: Paradis Paris; Land / Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 110 Minuten; Regie: Marjane Satrapi; Drehbuch: Marjane Satrapi, Marie Madinier; Besetzung: Monica Bellucci, Rossy de Palma, André Dussollier, Roschdy Zem, Eduardo Noriega; Verleih: Studiocanal; Start: 8. August 2024

REVIEW:
Life’s a laugh and death’s the joke, wussten schon Monty Python. Nie ist das Kino dem Leben näher, heißt es, als es wenn vom Tod erzählt. Insofern lässt sich gleich einmal feststellen, dass „Paris Paradies“, der neue Film von Marjane Satrapi, ihre erste Arbeit seit „Marie Curie“ vor fünf Jahren, eine einzige große Feier des Lebens ist. Weil diese morbide Komödie eine einzige Nahtoderfahrung ist, ein erzählerischer Reigen, der das Sterben immer wieder streift, seinen Figuren immer wieder ihre Sterblichkeit vor Augen führt. Das macht die seit 30 Jahren in Frankreich lebende Iranerin Satrapi, die als Comiczeichnerin begonnen hatte und gleich mit ihrem ersten Film, „Persepolis“, 2007 in Cannes den Jurypreis gewinnen konnte, mit dem gebührenden Ernst, aber immer auch einem verschmitzten Funkeln in den Augen. 

„Paris Paradies“ von Marjane Satrapi (Credit: Studiocanal)

Das Kämpferische ihrer frühen Arbeiten, das die Autoritäten Irans so in Rage brachte, dass man sie als „Hure des Westens“ beschimpfte, ist einem entspannten Blick gewichen, einer souveränen Erzählung: Marjane Satrapi will niemandem etwas beweisen. Sie will einfach nur ihren Figuren und ihren Schauspieler:innen gerecht werden, in einem Reigen, der nicht von ungefähr auch an Ophüls und Renoir erinnert, seine fünf Hauptfiguren aber im Paris des Hier und Jetzt wie zufällig die Wege kreuzen lässt. Zwei diametral zueinanderstehende Geschichten bilden das Zentrum: Zum einen ist da die in die Jahre gekommene Operndiva, die vorzeitig tot erklärt wird und dann in eine tiefe Depression verfüllt, als sie feststellt, dass die Öffentlichkeit sie nicht betrauert. Zum anderen ist da ein 15-jähriges Mädchen mit suizidalen Anwandlungen, das in dem Moment, als sie von einer Brücke in den Tod springen will, von einem maskierten Mann entführt wird. 

Beide Figuren müssen aus ihrer Verzweiflung einen Weg zurück ins Leben finden. Um sie herum gruppiert Satrapi weitere Figuren unterschiedlichster Nationalitäten, die auf ihre Weise in Paris mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen müssen: ein britischer Kaskadeur, der im Moment seines gefährlichsten Stunts erfährt, dass sein Sohn einen Fahrradunfall hatte; ein junger Angestellter eines Bestattungsunternehmens, der vor Beerdigungen die Gesichter der Leichname schminkt und damit so erfolgreich ist, dass er eine Anstellung beim Film erhält; die spanische Haushälterin der Operndiva, die in ihrer Familie mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat; ein Cafébesitzer, der sich vor Liebe verzehrt, sich aber nichts anmerken lassen will. Den Rahmen bildet ein erfolgreicher Fernsehmoderator, der in seiner Serie von den schrecklichsten Verbrechen erzählt, sich doch aber nach Leben sehnt, nach der Schönheit der Stadt der Liebe. 

Das alles hat eine wunderbare Beiläufigkeit, den Schalk immer dann im Nacken, wenn das Leben auf der Kippe steht. Dafür hat Marjane Satrapi ein wunderbare Darstellerensemble versammelt. Jedes Besetzung ein Volltreffer: Monica Bellucci als Diva, die erstarrt ist vor Angst, in Vergessenheit geraten zu sein; Eduardo Noriego als ihr Mann, der sie verzweifelt ins Leben zurückholen will; André Dussollier als Fernsehmoderator, der feststellt, dass es zwei verschiedene Dinge sind, tagaus tagein von der Vergänglichkeit zu erzählen und selbst auf einmal festzustellen, dass die Tage gezählt sind; Rossy De Palma mit ihrer unverwüstlichen puren Lebensfreude, Roschdy Zem als ernsthafter Polizist. Manche Geschichten enden ohne großen Knall, andere halten bittere Überraschungen und verrückte Volten parat. Alle lieben sie das Leben. Und Paris. Und das Leben in Paris. For life is quite absurd / And death’s the final word / You must always face the curtain with a bow

Thomas Schultze