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REVIEW KINO: „Ezra – Eine Familiengeschichte“

Zu Herzen gehende Roadmovie-Tragikomödie über einen überforderten Mann, der eine Balance schaffen muss zwischen seinen Ambitionen, Standup-Comedian zu werden, und sich um seinen autistischen Sohn zu kümmern. 

CREDITS:
O-Titel: Ezra; Land / Jahr: USA 2023; Laufzeit: 101 Minuten; Regie: Tony Goldwyn; Drehbuch: Tony Spiridakis; Besetzung: Bobby Cannavale, Robert De Niro, William A. Fitzgerald, Rose Byrne, Vera Farmiga, Tony Goldwyn, Whoopi Goldberg, Rainn Wilson; Verleih: Tobis; Start: 12. September 2024

REVIEW:
Es ist kompliziert in den Filmen von Tony Goldwyn. Wenn er nicht gerade in seiner Serienarbeit („Dexter“, „Scandal“, „Chambers“) als Handwerker seine persönliche Handschrift zurücknimmt, nimmt er das Leben in seinen Spielfilmarbeiten, wie es kommt. Da blutet das Tragische und Komische ineinander, das Lustige und Bewegende, existiert immer nebeneinander, alles immer gleichzeitig, so chaotisch, wie ein Leben nun einmal ist, wenn es nicht von einem Drehbuch in Form gebracht wird. Weil Goldwyn sich für das allzu Menschliche interessiert, sind speziell die Männer in seinen Filmen voller Widersprüche, hadern mit sich und ihren Ansprüchen, müssen nicht immer sympathisch sein und schon gar nicht liebenswert. Man kann dennoch gewiss sein, dass der Regisseur nicht den Stab über sie brechen wird. Dafür ist er zu neugierig und wach, erfüllt von einer spürbaren Lust, Filme für Erwachsene zu drehen, wie sie in Hollywood zumindest früher einmal gemacht wurden, und dabei Erwachsenen beim Leben zuzusehen. „Ezra – Eine Familiengeschichte“ könnte man als quintessenzielle Tony-Goldwyn-Regiearbeit betrachten, ein Solitär im modernen amerikanischen Filmgeschehen, ein Film, der tatsächlich interessiert ist an seinen Figuren, die geschieden sind, fragwürdige Entscheidungen treffen, sich und ihrer Umwelt im Weg stehen. 

„Ezra – Eine Familiengeschichte” (Credit: Tobis Film/John Baer)

Im Kern erzählt „Ezra“ die Geschichte eines Vaters, gespielt von Bobby Cannavale, der mit seinem Sohn eine Reise von der Ostküste nach Los Angeles unternimmt, im Grunde ein Roadmovie also, ein Roadmovie allerdings, das wenig an der Straße interessiert ist und der Strecke, die zurückgelegt wird. Weil der Fokus auf den Figuren liegt. Auf dem Vater, Max, der längst den Überblick über sein Leben verloren hat, mehr an die Wand gefahren als erreicht hat und sich nun an die Hoffnung klammert, es als Standup-Comedian schaffen zu wollen, ohne bislang allzu weit gekommen zu sein. Und auf dem autistischen und nicht ganz einfachen Sohn, der von seinem Vater aus dem Haus seiner von ihm geschiedenen Frau entführt wurde, weil er den Gedanken nicht ertragen kann, dass der unberechenbare Junge unter Medikamente gesetzt und in eine Sonderschule gesteckt werden soll. So verbindet sich und kollidiert Max‘ tiefste Hoffnung, an der Westküste am Ziel seiner Träume anzukommen und in der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel anzutreten, mit seiner Liebe zu seinem Sohn, die bisweilen hilflos und ungelenk anmuten mag, aber keinen Deut weniger genuin ist: Er will das Beste für Ezra, hat aber noch nicht einmal das nötige Rüstzeug, für sich selbst zu sorgen. 

In seinen Standup-Auftritten lässt Max tief in sich blicken, sie sind Beichte und Therapie in einem und begleiten den Film wie ein laufender Live-Kommentar. Wenn er mit seinem Sohn spricht, klingt er nicht ganz so markig. „Manche sagen, das Leben muss schön und ordentlich sein, aber das stimmt nicht“, erklärt er ihm bei einer nächtlichen Fahrt im Auto und spricht doch eigentlich mit sich selbst. Seine Ex-Frau, gespielt von Rose Byrne, die tatsächliche Lebensgefährtin Cannavales, und sein Vater, ein ehemaliger Gourmetkoch, dessen unkontrollierte Aggression einer erfolgreichen Karriere im Weg stand, gespielt von Robert De Niro, würden ihm zustimmen bei seiner persönlichen Einschätzung. So unterschiedlich auch sie wieder sein mögen, nehmen sie die Verfolgung der beiden Flüchtigen auf und erleben ihre ganz eigene Annäherung. Es ist elektrisierend, wie der Film in verschiedene Richtungen zu treiben scheint, schließlich aber doch alle Parteien am Ende der Reise buchstäblich aufeinanderknallen: Familie ist, sagt „Ezra“, was man daraus macht. Und trifft den Nagel auf den Kopf. 

Thomas Schultze