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REVIEW KINO: „Elli – Ungeheuer geheim“

Hinreißende Verfilmung des Kinder-Bestsellers von „Lauras Stern“-Autor Klaus Baumgart über ein kleines Gespenst, das Zuflucht ausgerechnet in einer Geisterbahn sucht. 

CREDITS:
O-Titel: Elli – Ungeheuer geheim; Land/Jahr: Deutschland/Kanada, 2024; Laufzeit: 86 Minuten; Drehbuch und Regie: Piet de Rycker, Jesper Møller; Sprecher: Dalia Schmidt-Foß, Oliver Kalkofe, Max Giermann, Santiago Ziesmer; Verleih: Wild Bunch Germany; Start: 27. Juni 2024

REVIEW:
Der Kinderbuch-Bestseller „Elli – Ungeheuer geheim“ von Klaus Baumgart richtet sich eigentlich an eine Zielgruppe zwischen vier und zehn Jahren. Aber allein die Idee, daraus ein Leinwandabenteuer über die Gefahren künstlicher Intelligenz zu machen, in dem eine Mini-Drohnenarmee alles, was nicht der Norm entspricht, ins Visier nimmt, scannt und in Binärcodes umwandelt, ist so hinreißend subversiv, dass man die Geschichte auch Erwachsenen ans Herz legen möchte. 

„Elli – Ungeheuer geheim“ ist eine echte Empfehlung fürs Kids (und Erwachsene) (Credit: 2024 Dreamin‘ Dolphin Film_ Zooper Film_Productions CarpeDiem (V) Inc._Traumhaus Studios)

Das Drehbuch für den witzigen Animationsspaß aus der Feder des dänisch-belgischen Teams Jesper Møller („Asterix und die Wikinger“, „Die sagenhaften Vier“) und Piet de Rycker („Lauras Stern“, „Der kleine Eisbär“) ist trotzdem in jedem Moment auf das junge Publikum zugeschnitten und spricht es direkt an, mit der Titelheldin als Erzählerin und Identifikationsfigur. Elli ist ein 111 Jahre alter Teenager, der allein mit seinem Onkel Chamberlain in einer von allen guten Menschen verlassenen Geistervilla herumschwebt. Dieser wiederum ist ein grünes Gespenst der alten Schule, von dem Elli das Spuken lernen kann, doch sie nimmt lieber die Tür, statt durch Wände zu „swooshen“ und ist auch sonst nicht für das Verschrecken anderer Personen oder Tiere zu haben. Sie sehnt sich nach einer Familie wie sie früher in der Villa lebte, sie will Freundlichkeit statt Furcht verbreiten, aber wenn man sie eine Heulsuse nennt, brennen bei ihr buchstäblich die Sicherungen durch. Sie ist ein elektrisierendes Geschöpf, im wahrsten Sinne, das gerne humaner wäre, nur leider gehört sie für die voreingenommene Menschheit in die Kategorie der Abnormen. Und vor Abnormität muss man sich schützen – mit Hilfe moderner Computertechnik. Die „Drohnis“, die wie eine Art Kreuzung aus Minions und Minirobotern aufgeregt durch den Film schwirren, machen Jagd auf alles Anormale, um es zu digitalisieren und in einem fernsehturmhohen Server zu speichern. Als sie Onkel Chamberlains Seele in Nullen und Einsen zerlegen und seine geistigen Überreste entführen, um sie auf einer Chipkarte in die Verbannung zu schicken, fasst Elli ihren ganzen Mut zusammen und folgt den Angreifern in die sogenannte Zivilisation, die von der allwissenden „Quantrix“ kontrolliert und überwacht wird.

Mit ihrem brillanten Produktionsdesign haben die Animatoren von Zooper Film und Dreamin‘ Dolphinzusammen mit dem kanadischen Studio Carpediem Film gleich zwei Welten erschaffen, dabei bis ins kleinste Detail (die Ahnengalerie an den Wänden der Spukvilla!) auf Vielfältigkeit und Diversität geachtet, und darauf, dass sich alles trotz überbordender Fantasie und übersteigerter Realität für Kids vertraut anfühlt. Durch eine retro-futuristische Großstadt steuern autonome Fahrzeuge auf gleichförmigen, geradlinigen Straßen, gesäumt von Alleen aus Retina-Displays, und das vorwiegende Farbschema ist Blaugrau, als hätte man seinen Computer auf Standardeinstellungen zurückgesetzt. Am Rande der Metropole entfaltet sich dagegen die fabelhafteste und manchmal analog anmutende, durch und durch schräge Jahrmarktnostalgie. Hier, in den unendlichen Höhen und Tiefen einer Geisterbahn, stößt Elli auf der Suche nach ihrem Onkel auf eine illustre Theatertruppe aus Monstern, die tagsüber Kirmesbesucher erschrecken und sich nachts vor Drohnenangriffen verstecken müssen: eine pelzige Yeti-Diva im rosa Ballettkostüm, ein aus Schrottteilen zusammengebastelter, depressiver Sohn Frankensteins, ein vegetarischer Vampir mit enormem Showtalent, der das R rollt wie Bela Lugosi und in einer „Muppet Show“-würdigen Musicalnummer einen Theme-Song zum Besten gibt, der ins Ohr geht wie der „Fraggle Rock“. Abgerundet wird das exzentrische Ensemble durch eine sprechende Kristallkugel, die eigentlich mehr ein GPS-System ist, das den Verkehr auf der Datenautobahn voraussagen kann oder auch nicht. 

Obwohl die streitlustigen, eigensinnigen Ungeheuer Elli zunächst für eine Spionin halten, findet das kleine Gespenst in ihnen die lang ersehnte Familie und Verbündete für ihre Rettungsmission. Während die Action zu Beginn des Films etwas schleppend in Gang kommt, geht es am Ende Schlag auf Schlag, die KI wird überlistet, mit vereinten, elektrisierenden Kräften ein Systemabsturz herbeigeführt, die „Quantrix“ umprogrammiert und nebenbei gegen Mobbing und für Zusammenhalt gekämpft. Damit es für die Jüngeren nicht zu unübersichtlich oder sogar beängstigend wird, findet die Hauptfigur mit ihrem unerschütterlichen Optimismus und ihrer Besonnenheit für alles eine Erklärung. Sie ist das kleine Gespenst, das den großen Mächten zeigt, was Menschlichkeit ist. Niemand muss sich verstecken, jeder sollte zu sich stehen, lautet die Botschaft gegen jede Form der Gleichmacherei, und auch die unterschiedlichsten Charaktere können eine Familie sein. Und dass das Leben nicht nur aus Nullen und Einsen besteht, kann man ja gar nicht oft genug sagen und nicht früh genug lernen.

Corinna Götz