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REVIEW KINO: „Die Liebe in ungleichen Zeiten“

Faszinierende Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen – er ein Revolutionär, sie eine Frau, die einer arrangierten Ehe entflieht – vor der Kulisse des Freiheitskampfes gegen britische Kolonialherren im Sansibar der 1950er-Jahre. 

CREDITS:
O-Titel: Vuta N‘Kuvute; Land/Jahr: Tansania, Südafrika, Deutschland, Katar 2021; Laufzeit: 93 Minuten; Regie: Amil Shivji; Drehbuch: Amil Shivji, Jenna Cato Bass; Besetzung: Ikhlas Gafur Vora, Gudrun Columbus Mwanyika, Siti Amina; Verleih: jip film & verleih; Start: 18. April 2024

REVIEW:
Nach eigenem Bekunden macht der tansanische Filmemacher Amil Shivji Kino, weil er überzeugt ist, mit seinen Bildern den Autoritäten die Stirn bieten und marginalisierten Gemeinden international ein Gesicht geben zu können. Right on. Es sind keine Lippenbekenntnisse. Jetzt kann man Sihvji endlich auch in Deutschland entdecken, zweieinhalb Jahre nach der Premiere von „Die Liebe in ungleichen Zeiten“ auf dem Toronto International Film Festival, das sich seit Jahren schon stark macht für das neue Kino aus Afrika. Amil Shivjis Kino ist handfester als die anderen Festivalfavoriten der letzten Jahre aus Schwarzafrika – „Timbuktu“ von Aberrahmane Sissako, „I Am Not a Witch“ von Rungano Nyoni, „Lingui“ von Mahamat-Saleh Haroun und „Atlantique“ und gerade erst „Dahomey“ von Mati Diop seien stellvertretend genannt als sichtbarste Vertreter eines neuen schwarzafrikanischen Kinos. 

Shivjis Erzählung ist geprägt vom westlichen Kino, ergeht sich weniger in Andeutungen und Assoziationen als beispielsweise Diop und Nyoni. Er hat Stil, Verve, Eleganz. Und einen Sinn für Geschichte. An „Casablanca“ muss man denken, an „The Harder They Come“, vielleicht an „Schlacht um Algier“, vor allem aber an Wong Kar-Wai, an „In the Mood for Love”, wenn man seine Adaption eines Romans des in Sansibar geborenen Schriftstellers Adam Shafi Adam, den man in Deutschland vor allem für „Die Sklaverei der Gewürze“ kennt, sieht. Das mag an der historischen Kulisse liegen: Die Geschichte einer verbotenen Liebe zwischen einem Revolutionär und einer jungen Frau indischer Abstammung, die einer arrangierten Ehe zu fliehen versucht, spielt in den Fünfzigerjahren in dem damals unter britischer Herrschaft stehenden Inselstaat Sansibar (erst im Jahr 1964 wurde er Teil der neu entstandenen Nation Tansania). 

Hier sehen wir Denge, „De“ genannt, der für ein freies Sansibar kämpft und Plakate klebt, Flugblätter und Pamphlete verteilt, Aufruhr in den Dance Halls anzettelt, immer auf der Flucht vor der kolonialen Polizei durch die engen Gassen von Stone Town: „Uhuru“ steht auf den Plakaten, Swahili für „Freiheit“. Mit seinen Kameraden ist er ein Dorn im Auge der Autoritäten, weil sie spüren, wie ihre Macht zu zerbröseln beginnt, ein bisschen wie die maroden Mauern in Stone Town. Dann lernt Denge Yasmin kennen. Auf einmal haben seine Träume von Freiheit ein Gesicht. Weil Yasmins Kampf um Freiheit, das Ringen, einer von Männern vorbestimmten Gegenwart und Zukunft, zu entkommen, vielleicht anders aussehen mag, aber nicht minder real ist. Gemeinsam mit einer Freundin, gespielt von der in Sansibar populären Sängerin und Oud-Spielerin Siti Amina, beginnt für das verliebte Paar eine Hatz durch eine Welt, die die ihre sein sollte, aber von den britischen Kolonialisten bestimmt wird. Stone Town ist eine segregierte Stadt, das die Menschen mit willkürlichem Regelwerk trennt. „Die Liebe in ungleichen Zeiten“ stellt dem einen Rhythmus entgegen, der ganz unverkennbar ist, Ausdruck einer Kultur, die nach Unabhängigkeit drängt.

Der Film mit seinen wunderbar fließenden Kadenzen, Schnitten auf vermeintliche Details und Nebensächlichkeiten, Zeitlupensequenzen und schwelgerischen Großaufnahmen – wie gesagt: Wong Kar-Wai spürt man überall – wirft ein Schlaglicht auf eine volatile Zeit in Ostafrika, ein Moment kurz vor dem Ende kolonialistischer Herrschaft. Und ist doch keine Geschichtsstunde, weil die Revolution Kulisse ist, den Hintergrund für eine Liebesgeschichte, die ganz universal ist, für jedermann verständlich, der Zugang zu einer Welt, die einem fremd sein mag, aber nach „Die Liebe in ungleichen Zeiten“ zumindest spürbar geworden ist und fast greifbar.

Thomas Schultze