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REVIEW KINO: „Das erste Omen“

Im Jahr 1971 angesiedeltes Prequel zu dem Horrorklassiker von 1976, in dem eine junge Novizin in Rom einer erschütternden Verschwörung auf die Spur kommt.

CREDITS:
O-Titel: The First Omen; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 120 Minuten; Regie: Arkasha Stevenson; Drehbuch: Tim Smith, Arkasha Stevenson, Keith Thomas; Besetzung: Nell Tiger Free, Maria Caballero, Ralph Ineson, Sonia Braga, Bill Nighy, Tawfeek Barhom, Charles Dance; Verleih: Disney; Start: 11. April 2024

REVIEW:
Es ist ein Glück, dass Arkasha Stevenson das Memo offensichtlich nicht gelesen hat, ihr Prequel von „Das Omen“ solle eine reine Streamingproduktion sein. „Das erste Omen“ atmet nämlich von den ersten Bildern an pure Kinoluft, strebt nach Originalität und stimmungsvoller Atmosphäre, Qualitäten, die dem modernen Horrorfilm weithin abhandengekommen sind. Der Film ignoriert störrisch die lästige Lust junger Filmemacher, bei ihren Remakes/Reboots bekannter Horrormarken auf Eskalation zu setzen und bekannte Prämissen im Teilchenbeschleuniger zu Gewaltorgien ausarten zu lassen, anstatt sich einmal kurz zu besinnen und zu überlegen, was die Originale besonders hat sein lassen und darauf womöglich eine eigene Vision aufzubauen. 

Genau das hat Arkasha Stevenson gemacht mit ihrem Filmdebüt. Vielleicht war das sogar nur möglich, weil ihr Film eigentlich nur zur Auswertung auf Disney+ gedacht war und deshalb mehr Spielraum und weniger rigide Studiokontrolle herrschte, ähnlich wie das vorletztjährige „Predator“-Spinoff „Prey“, das seinerseits ebenfalls auf einem bewährten Franchise von 20th Century Fox aufbaute. Die ehemalige Fotojournalistin, die schon in einzelnen Episoden von Serien wie „Legion“ oder „Briarpatch“ anklingen hat lassen, dass sie ein untrügliches Gespür für Body-Horror besitzt, hat eine starke Vision und das Selbstvertrauen, sich die nötige Zeit zu lassen, es aus der Handlung herauszuschälen und zur Entfaltung bringen. Auf gut Deutsch: Der Film wird immer besser, steigert sich fortwährend, etabliert sukzessive eine dichte, ungute Atmosphäre, die einem unter die Haut geht.

Unerwartet gut: Okkulthorror mit „Das erste Omen“ (Credit: © 2024 20th Century Studios)

Am Anfang geht es erst einmal darum, die Verbindung zum Original-„Omen“ von 1976 herzustellen, Richard Donners etwas hüftsteifer, aber kompetent und effektiv umgesetzter Kultschocker mit Gregory Peck, der im Fahrwasser des Erfolgs von „Der Exorzist“ bei einem Budget von knapp drei Millionen Dollar in den USA knapp 50 Millionen Dollar einspielen und in Deutschland 1,2 Millionen Tickets verkaufen konnte, allemal genug für drei Sequels und einen blassen Reboot im Jahr 2006. Zwei Priester, gespielt von Ralph Ineson und Charles Dance, raunen sich bei einem konspirativen Treffen besorgt Dinge zu, einer von beiden wird kurz darauf in einem grausigen Unfall aus dem Leben scheiden, in einem wissenden Verweis auf Donners Film, in dem einen Priester ein ähnlich groteskes Ende ereilt – lustigerweise genau die Figur des Father Brennan, die diesmal den Vorfall überlebt.

Etwas fahrig wirkt „Das erste Omen“ am Anfang, ein Film noch auf der Suche nach sich selbst. Die Nachsynchronisierung ist in den ersten Szenen, wenn die amerikanische Novizin Margaret in Rom am Flughafen von dem väterlichen Freund Kardinal Lawrence abgeholt wird, so ungenau, dass auch Absicht dahinterstecken mag. Der Film spielt eben nicht nur im Jahr 1971, also fünf Jahre vor „Das Omen“, sondern wirkt bisweilen auch so, als sei er damals gedreht, als man gerade im Horrorgenre mit beschränkten technischen Mitteln arbeiten musste. Schnell spürt man, dass es sich um eine Verbeugung vor dem europäischen Genrefilm der Ära handelt, ein bisschen Jess Franco hier, sehr viel Dario Argento da. „Nunsploitation“ nannte man das Subgenre damals, und tatsächlich fühlt man sich an die guten alten Zeiten des Exploitationkinos erinnert, an die Film maudits, die die Mutigen unter den Filmfans vornehmlich in den Bahnhofskinos finden konnten. 

Arkasha Stevenson macht aber etwas Interessantes mit ihren Einflüssen. Verneigung ist ihr nicht genug. Sie nimmt sie und biegt sie sich zu etwas zurecht, was größer ist als nur die Einzelteile, ein aggressiv weiblicher Blick auf modernen Bodyhorror im Kostüm altbekannter Versatzstücke. Kostüm ist ohnehin ein gutes Stichwort: Was der spanische Kostümdesigner Paco Delgado, ein Weggefährte von Almodóvar, hier geleistet hat, ist der helle Wahnsinn: Kleider, insbesondere die Novizinnenkostüme, die der Zeit verhaftet sind, aber völlig eigene Kreationen sind, als hätten sie ein Eigenleben. So ist das mit dem ganzen Film, in dem Margarets Glaube auf eine harte Probe gestellt wird in ihrem unheimlichen Kloster, nachdem sie feststellt, dass die Nonnen unter der von Sonia Braga gespielten Oberin mit einem 14-jährigen Mädchen womögliches Schlimmes vorhaben. Die Zeichen sind zahlreich. Wer schon mehr als zwei Filme gesehen hat in seinem Leben, wird schnell ahnen, worauf die Handlung zusteuert. Wie auch nicht? Am Ende muss man bei dem Anfang von „Das Omen“ ankommen.

Entscheidend ist aber eben nicht das Was, sondern das Wie, wie souverän und konsequent und nachgerade transgressiv Arkasha Stevenson die Handlung vorantreibt in einer Mischung aus „Suspiria“ und „Rosemaries Baby“ und immer die richtigen Knöpfe drückt, ein beklemmendes, unausweichliches Schattenspiel über Versuchung und Verführung und schließlich auch mit den obligatorischen Satanas-Chören, als hätte man Orff mit 666 multipliziert. Das kann auch nur deshalb so gut funktionieren, weil die Schauspielerin im Zentrum so wunderbar ist: Schon in der Apple-Serie „Servant“ war Nell Tiger Free eine wunderbar abseitige Erscheinung, ätherisch und ungelenk, was ihr hier ideal zupass kommt: Immer wirkt sie wie ein Fremdkörper, auch wenn genau ihr Körper ihr in dieser apokalyptischen Geschichte, in der die Kirche gemeinsame Sache macht mit dem Gehörnten, weil nur seine Anwesenheit in einer aus den Fugen geratenen Welt den Menschen die Ehrfrucht und den Glauben zurückgeben kann. Und dazu spielt eine alte Musik von Piero Umiliani. 

Thomas Schultze

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