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REVIEW KINO: „Challengers – Rivalen“

Ebenso ungewöhnliches wie elektrisierendes Liebesdreieck, angesiedelt in der Welt des Profi-Tennis, mit Superstar Zendaya in der Hauptrolle.

CREDITS:
O-Titel: Challengers; Land/Jahr: USA 2023; Laufzeit: 131 Minuten; Regie: Luca Guadagnino; Drehbuch: Justin Kuritzkes; Besetzung: Zendaya, Josh O’Connor, Mike Faist, Verleih: Warner Bros., Start: 25. April 2024

REVIEW:
Gibt es einen Filmemacher von Format, der aktuell Filme dreht, die sinnlicher sind, körperlicher, sexueller, sexualisierter, als die von Luca Guadagnino? Wer „Call Me By Your Name“ gesehen hat, der erinnert sich an die Szene mit dem Pfirsich. Wer „Call Me By Your Name“ nicht gesehen hat, sollte das schleunigst tun, weil er dann die Szene mit dem Pfirsich niemals vergessen wird. In „Challengers – Rivalen“, eigentlich als Eröffnungsfilm für die letztjährige Mostra in Venedig vorgesehen, dann aber aufgrund der Streiks aus dem Verkehr gezogen und um mehr als ein halbes Jahr verschoben, ist Tennis der Pfirsich, Ausdruck purer, regelrecht pornographischer, wenngleich nicht expliziter Sexualität, ein Geben und Nehmen, ein Auf und Ab, mit Strömen von Schweiß und Keuchen und Stöhnen und Ausrufen der Ekstase; „Come on!“ als Schlüsselwort für den Matchball, den Höhepunkt dieses Zusammenspiels zweier in Hassliebe verbundener Kontrahenten, die sich zu Topleistungen beflügeln: Von einem Moment zum nächsten ist es vorbei.

Sex und Tennis, Tennis und Sex: „Challengers – Rivalen“ (Credit: © 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc.)

Der italienische Filmemacher treibt seine Faszination für das Körperliche und sensuell Greifbare – die Hexentänze in „Suspiria“, der Kannibalismus in „Bones and All“ – auf die Spitze, hat einen im Wortsinne pulsierenden Film gemacht, der exzentrisch ist, ekstatisch, exaltiert, extravagant, der Guadagnino pur ist, la vida Luca, völlig drüber und doch auf den Punkt, das Werk eines Künstlers, der virtuos spielt mit der Wechselwirkung von Bild und Ton, Bewegung und Rhythmus, Zeit und Raum – ein Film, der mehr Spaß macht, mehr LUST, als es ein Liebesdreieck aus der Welt des Tennis jemals dürfte. Schönheit und Sport und Sex sind dabei eins, untrennbar miteinander verbunden, vorwärts gepeitscht von einem gnadenlos treibenden Euro-Cosmic-Disco-Score, der Techno mit den aufwühlenden Synthie-Sequenzen der Pioniere Moroder und Cerrone zu einer orgiastischen Melange verbindet und die Bilderfolgen mit Großaufnahmen und Blicken und Zeitlupe und stiebenden Schweißtropfen haarscharf an den Pornofilm rückt: die erste Tanzsequenz aus Gaspar Noés „Climax“ vermählt mit dem Coming of Age von Alfonso Cuaróns „Y tu mama tambien“. Warum nicht gleich „Cumming of Age“?

Traditionell das Problem bei Tennisfilmen: das Tennis. Sieht immer fake aus, falsch, behauptet. Wenn man spürt, dass die Schauspieler keine Tennisspieler sind, kann man ihnen die Rolle nicht abnehmen, platzt die Illusion. Weil man weiß, wie es richtig aussehen muss, wie ein Profitennisspieler sich bewegt. Es ist von elementarer Bedeutung, dass dieser Aspekt stimmt. Josh O’Connor, bekannt als junger Prinz Charles in „The Crown“, und Mike Faist, der so gut war in Spielbergs „West Side Story“, sind perfekt in dieser Hinsicht, haben die Physik und Physis wahrer Tennisprofis, ihre Bewegungsabläufe, ihre Technik legen nahe, dass sie wirklich gegeneinander antreten könnten und man einem, aufregenden Tennisspiel beiwohnen würde. Das ist elementar, weil sich Guadagnino auf Basis dieser Erdung in der Realität des Tennis alle seine verrückten Einfälle und Entfremdungen erlauben kann.

Das Match zwischen den ehemals besten Freunden Art Donaldson und Patrick Zweig, beide Anfang 30 Jahre alt, mit dem ein Challenger-Turnier kurz vor den US Open entschieden wird, bildet den Rahmen des Films. Zu ihm und seinen Zwischenständen wird Guadagnino immer wieder zurückkehren, die Spannung in der Gegenwart des Films steigern, während eine Abfolge bisweilen krass ineinander verschachtelter Rückblenden die Historie zwischen den beiden Männern und dem Subjekt ihrer Begierde illuminiert. 13 Jahre zuvor, so weit wird „Challengers“ zurückgehen, sind sie noch unzertrennlich, Art und Patrick haben die gleiche Tennisschule in Florida besucht, greifen nach den Sternen. Und lernen Tashi kennen und verfallen ihr sofort mit Haut und Haar. Sie ist die beste Tennisspielerin ihrer Generation und weiß es. Nichts kann sie berühren. 

Zendaya, diese gottgleiche Schönheit, ist die Idealbesetzung für Tashi. In der Schlüsselszene des Films lässt sie sich nach einem Abend des aufreizenden Geplänkels, in dem über Tennis gesprochen, aber etwas völlig Anderes gemeint ist, von beiden verführen, eine Ménage à trois mit leidenschäftlichen Küssen, aus der sie sich kühl zurückzieht und den beiden Jungen zusieht, wie sie selbstverloren einander in den Armen liegen. Die Dynamik ist etabliert. Wer wen liebt und wie leidenschaftlich ist nicht immer hundertprozentig klar, aber es wird immer um die Passion gehen, die sie füreinander empfinden, geschlechtliche Abgrenzungen spielen keine Rolle, nur das Schicksal, das ihre Handlungen bestimmt: Tashi verletzt sich so schwer, dass sie nicht mehr spielen kann. Obwohl sie und Patrick füreinander bestimmt erscheinen, wählt sie Art, weil sie weiß, dass sie ihn zum Champion machen kann, wenn sie ihn trainiert, und damit auch ihre Träume erfüllen wird, die Nummer eins zu sein.

Wenn sich die Drei schließlich wiedersehen auf dem Challenger-Turnier sind die Rollen neu verteilt. Tashi und Art sind verheiratet und haben eine Tochter, und sie sind reich, weil er es wirklich ganz nach oben geschafft hat, nun aber das Feuer von einst verloren hat. Patrick dagegen ist abgestürzt, seine Kreditkarten sind gesperrt, er muss im Auto schlafen und hat eine Dusche mehr als dringend nötig. Während Art das Turnier braucht, um nach einer Reihe von Niederlagen wieder Fuß zu fassen und Selbstbewusstsein zu schöpfen, ist es für Patrick die letzte Chance, noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. Während sich die Kontrahenten beharken auf dem Court, sitzt Tashi auf der Tribüne zwischen ihnen, folgt den Ballwechseln, während sich die Spannung aufbaut und man als Zuschauer mehr und mehr lernt, um was es hier wirklich geht. Und was gemeint ist, wenn Tashi ganz am Schluss dieses radikalen, bisweilen regelrecht transgressiven und wunderbar anderen Sportfilm ihren Anfeuerungsruf ertönen lässt: „Come on!“. Oder ist es doch „Cum on!“? Wie auch immer: Es ist aufregend.

Thomas Schultze