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REVIEW FESTIVAL: „Transamazonia“

Moderner Western über eine junge Frau, die als Kind einen Flugzeugabsturz im Amazonas überlebt hat und seither als Heilerin Wunder vollbringt.

CREDITS:
Land / Jahr: Frankreich, Deutschland, Schweiz, Taiwan, Brasilien 2024; Laufzeit: 112 Minuten; Regie: Pia Marais; Drehbuch: Pia Marais, Willem Droste, Martin Rosefeldt; Besetzung: Helena Zengel, Jeremy Xido, Sabine Timoteo, Hamã Luciano, Rômulo Braga; Weltpremiere: Locarno77

REVIEW:
Als Sechsjährige hat Rebecca einen Flugzeugabsturz im Amazonas überlebt. Als Einzige. Ein Missverständnis bringt sie zu Baptisten-Missionar Lawrence Byrne, der seine Frau und Tochter beim selben Unglück verloren hat. Er sagt nichts, gibt Rebecca als seine Tochter aus. Nicht uneigennützig, obwohl er das Kind aufrichtig liebt. Denn Rebecca gilt seither als Wunder, vor allem als Wunderheilerin, die Byrne gutes Geld in die Kassen spült. Neun Jahre später, als Teenagerin, ist sie fest integriert in der Missionsstation im Amazonas-Dschungel ihres vermeintlichen Vaters. Denn Byrne hat ihr nie die Wahrheit gesagt. Rebecca liebt ihn, er ist ihr ein und alles. Sie wird sogar ein bisschen eifersüchtig, als eine Krankenschwester auftaucht und ihre Hilfe anbietet. 

„Transamazonia“ mit Helena Zengel von Pia Marais (Credit: ©Cinema Defacto-Gaïjin)

Rebecca und Byrne halten gemeinsam Gottesdienste ab, verbreiten Bibel-Inhalte, taufen die Menschen, wollen Gutes tun. Rebecca ist eine Berühmtheit geworden, wird gefeiert. Sie hat heilende Kräfte. Als eines Tages Alvarez auftaucht, der Chef eines Holzfällerclans, der anfängt, im Gebiet der indigenen Bevölkerung Bäume zu fällen und sich so den Zorn der Einheimischen zuzieht, gerät Rebecca zwischen die Fronten. Alvarez bittet Rebecca, seine im Koma liegende Frau wieder zurück ins Leben zu holen und verspricht ihr, im Fall ihrer Genesung, das Land des indigenen Stammes nicht weiter auszubeuten. Doch dieser blockiert bereits den Transamazonia Highway, die Hauptroute, über die das Holz transportiert wird. Es kommt zum Eklat, bei dem es auch Tote gibt. Als Rebecca schließlich noch erfährt, dass Byrne gar nicht ihr leiblicher Vater ist und damit das ganze Narrativ mit ihren Wunderkräften zusammenbricht, ist sie es, die ihren Glauben zu verlieren scheint. 

Alvarez bringt es am Schluss auf den Punkt, als er zu Byrne sagt: „Ich gehe, mir reicht es. Ich habe es für das Holz und das Geld gemacht. Aber du willst ja gleich ihre Seelen“. Inspiriert wurde Pia Marais von einer wahren Geschichte, bei der in den 1970er Jahren eine junge Frau tatsächlich den Absturz eines Flugzeugs über dem Amazonas-Regenwald überlebt hat. Diese Prämisse nutzt die Filmemacherin, um viele Themen anzusprechen in ihrer ersten Regiearbeit seit „Layla Fourie“, der 2013 im Wettbewerb der Berlinale gelaufen war. Ausbeutung, Abholzung des Regenwalds. Das Aufbauen eines falschen Narrativs, jemand zu sein, der man eigentlich gar nicht ist. Den vermeintlich richtigen Glauben auf ein Volk überstülpen zu wollen. Dabei ist der Film nur ein bisschen wie „Fearless“ von Peter Weir, den besten aller Dramen über Menschen, die einen Flugzeugabsturz überlebt haben und dadurch die Haltung zur Realität verlieren, ein kleines bisschen muss man an Claire Denis’ „Stars at Noon“ denken, und ein gutes bisschen mehr ist „Transamazonia“ wie „Bacurau“ von Kleber Mendonca Filho, auch so ein über weite Strecken verrätselnder Amazonas-Western, der am Ende doch eine ganz klare Haltung bezieht. 

Helena Zengel, die Sensationsentdeckung aus „Systemsprenger“, mittlerweile eine junge Frau, spielt beeindruckend, auf portugiesisch und englisch. Tolle Aufnahmen des Regenwaldes schaffen ein Faszinosum und auch ein eindringliches Spannungsfeld. Diese Szenen entstanden in Französisch-Guyana, nahe der brasilianischen Grenze. Die Rollen der indigenen Bevölkerung wurden auch mit indigenen Menschen besetzt. Das Drehbuch schrieb Marais mit Willem Droste und Martin Rosefeldt, ihre erste Zusammenarbeit als Autorentrio. „Transamazonia“ ist eine minoritäre deutsche Produktion von Christoph Friedel und Claudia Steffen mit ihrer Pandora Filmproduktion

Barbara Schuster