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REVIEW FESTIVAL: „Mond“ von Kurdwin Ayub

In Kurdwin Ayubs zweitem Spielfilm „Mond“, der im internationalen Wettbewerb von Locarno Weltpremiere feiert, verschlägt es die österreichische Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah nach Jordanien in eine Alptraum-Version von Tausendundeine Nacht.

Mond
Florentina Holzinger in „Mond“ (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

CREDITS
Österreich 2024; Buch & Regie: Kurdwin Ayub; Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion, ZDF/Das kleine Fernsehspiel, Essential Films, ORF Film; Produzent Ulrich Seidl; Associate Producer: Veronika Franz; Creative Producer: Susanne Marian; Cast: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker; Weltpremiere: 11.8.24 Locarno

REVIEW
Am heutigen Sonntag hat Kurdwin Ayubs österreichischer Spielfilm „Mond“ seine Weltpremiere im internationalen Wettbewerb von Locarno gefeiert. Es ist ihr zweiter Spielfilm nach „Sonne“, der im Jahr 2022 Weltpremiere im Encounters-Wettbewerb der Berlinale feierte und ihr den Preis für den besten Debütfilm einbrachte. Ging es in „Sonne“ um drei Wiener Teenagerinnen, die mit Hijab gekleidet und gesungener Cover-Version von REMs „Losing My Religion“ einen viralen Internet-Hit landeten, steht bei „Mond“ die Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah (Florentina Holzinger) im Mittelpunkt, die aber schon am Ende ihrer professionellen Sportkarriere angelangt ist.

In der allerersten Szene sieht man Sarah in einem Fernsehausschnitt, der sie in einem harten Würgegriff gegenüber der überlegenen Gegnerin aufgeben sieht. Fortan muss sie verweichlichte Mädchen in Österreich trainieren, was sie sichtlich langweilt. Ihre Lebensgeister werden auf ein Neues geweckt, als ein Angebot aus Jordanien hereinflattert: Dort drüben seien MMA-Fights gerade sehr angesagt. Ein Mann will ihr sehr gutes Geld zahlen, wenn sie nach Jordanien geflogen kommt und seine drei jüngeren Schwestern (Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker) trainiert. In Jordanien angekommen, mäandert Sarah dann täglich zwischen dem unpersönlichen Luxus-Hotel und dem eigenartig leeren, palastartigen Haus der offenbar wohlhabenden jordanischen Familie, in dem sie sehr schnell feststellt, dass etwas mit den drei Schwestern nicht stimmt.

Die im Irak geborene und in Wien aufgewachsene Regisseurin Kurdwin Ayub erzählt wieder von einer orientierungslosen Westlerin, die sich mit der eigenen Identität auseinandersetzt und aus Österreich fliehen will. Während aber „Sonne“ bei der Fluchtbewegung endete, formuliert sie hier aus, dass das Unglücklichsein keine westliche Erfindung ist. Einerseits ist Ayub filmisch durch die Ulrich-Seidl-Schule gegangen: Auch in „Mond“, der von der Ulrich Seidl Filmproduktion kommt, hat man das Gefühl, fast einen Dokumentarfilm zu schauen, so echt und authentisch wirken Szenen, Momente und das Schauspiel. Florentina Holzinger ist keine ausgebildete Schauspielerin, kommt eher aus dem Theater- und Performance-Bereich, wirkt aber als abgehärtete und verhärtete Martial-Arts-Kämpferin glaubhaft. Auch die drei jordanischen Schwestern haben nichts Schauspielhaftes an sich, sondern spielen natürlich miteinander, wobei das sicher auch hier in längeren Casting- und Trainings-Sessions von Ayub erarbeitet wurde.  

Eine der jordanischen Schwestern (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

Andererseits ist Regisseurin und Drehbuchautorin Ayub auch ein Kind ihrer Zeit, liebt die Social-Media-Ästhetik von Instagram und Co. Während diese Videos in „Sonne“ noch zahlreicher und wilder eingesetzt wurden, um von den Figuren zu erzählen, sind sie in „Mond“ konzentrierter und reduzierter, aber immer noch ästhetisch wirkungsvoll.

Zudem ist die Österreicherin Sarah nicht die wirkliche Hauptfigur in „Mond“, sondern wird mit zunehmender Zeit immer passiver und zur stillen Beobachterin dieses modernen Tausendundeine-Nacht-Alptraums, in dem junge Frauen offensichtlich gegen ihren Willen wie in einem großen Käfig gefangen gehalten werden. Es gibt kein Internet. Der Strom fällt häufiger aus, was wie ein Kontrollmechanismus wirkt. Und das Schlimmste: Die drei Schwestern sind dazu verdammt, auf ewig schlechte arabische Daily Soaps im Fernsehen zu schauen, bis sie eventuell verheiratet werden. Zudem deutet sich an, dass Sarah bei ihren Besuchen nur an der Oberfläche des Alptraums kratzt, wie sich im Laufe des Films zeigt.

Ihren zweiten Spielfilm drehte Kurdwin Ayub vor Ort in Jordanien (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

Ursprünglich waren „Sonne“, „Mond“ und ein dritter Film mal von Kurdwin Ayub als Trilogie über das Verhältnis zwischen Okzident und Orient gedacht. Inzwischen sagt sie selbst gegenüber SPOT media & film im Interview, dass es gar nicht auf nur drei thematisch zusammenpassende Filme hinauslaufen muss. Festhalten kann man allerdings, dass „Mond“ erzählerisch reifer und konzentrierter als das schon aufregende Debüt „Sonne“ ist, ohne aber die individuellen Qualitäten der Filmemacherin verloren zu haben. Die Social-Media-Videomomente passen sogar noch organischer zum Rest des Films, der in den gezeichneten Schicksalen hart ist, aber auch in der konzentrierten Erzählweise eine erschreckende Kurzweiligkeit besitzt.

Michael Müller