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REVIEW CANNES: „The Apprentice“

Gewagtes Realdrama über die frühen Tage von Donald Trump unter den Fittichen seines berüchtigten Mentors Roy Cohn.

Ali Abbasis „The Apprentice“ (Credits: © APPRENTICE PRODUCTIONS ONTARIO INC.)

CREDITS:
Land/Jahr: Kanada, Dänemark, Irland 2024; Laufzeit: 120 Minuten; Regie: Ali Abbasi; Drehbuch: Gabriel Sherman; Besetzung: Sebastian Stan, Jeremy Strong, Maria Bakalova

REVIEW:
Wenig wusste man über Ali AbbasisThe Apprentice“. Sicher, es war bekannt, dass es sich um die Geschichte des Aufstiegs von Donald Trump unter der Ägide des berühmt-berüchtigten Anwalts und Fixers Roy Cohn handeln würde, dass Sebastian Stan, für die große Masse der Kinogänger immer noch vor allem ein Marvel-Held, längst aber auch als aufregender Charakterdarsteller unterwegs, die wenig beneidenswerte Aufgabe übernommen hatte, Trump zu spielen, dass an seiner Seite Jeremy Strong aus „Succession“ als Cohn und Maria Bakalova aus „Borat: Anschluss Moviefilm“ als Ivana Trump zu sehen sein würden. Und schließlich gab es vor einigen Wochen ein erstes Foto aus dem Film, das bis jetzt das einzige veröffentlichte geblieben ist und das Sie sehen, wenn Sie kurz nach oben scrollen: Trump und Cohn gemeinsam auf der Rückbank einer Limousine, Cohn mit strengem Blick, Trump mit einem Autotelefon am Ohr. Das war es schon. Kein Bewegtbild. Und vor allem keine Antwort auf die alles entscheidende Frage: Was für ein Film sollte das werden? Wie sollte er sich anfühlen? Was würde es sein? Eine Komödie? Eine Tragödie? Eine Farce, eine Satire, eine Enthüllungsgeschichte? 

Nun weiß man Bescheid. Die Pressevorführung ist vorbei. Und die Antwort ist: All das! Und mehr. Einer der großen Filme über Macht, über Amerika, über den Verlust aller Menschlichkeit, um seine Ziele umzusetzen, ein „Citizen Kane“ des postfaktischen Zeitalters. Witzig, komisch, aberwitzig, aberkomisch, erschütternd, erstaunlich, traurig, unendlich traurig, elektrisierend. Und auf eine ganz eigenartige Weise gelingt es Abbasi, dem in Dänemark lebenden Iraner, der 2018 die Croisette im Sturm nahm mit seinem Un-Certain-Regard-Hit „Border“ und dann 2022 zurückkehrte in den Wettbewerb mit „Holy Spider“, eine majoritär deutsche Produktion der One Two Filmproduktion, die ihrer Hauptdarstellerin Zar Amir Ebrahimi die Darstellerinnenpalme bescherte, Trump zu knacken, wie man so schön sagt, hinter seiner Unmenschlichkeit und Grausamkeit den Menschen ausfindig zu machen, so klein und unbedeutend der auch sein mag. Indem er in einem der großen Filme über New York aufzeigt, wie aus dem unbedarften Donald Trump, der mit einem Vermögen seines Vaters loszieht, sein Glück zu machen, der Immobilienhai und Großkotz Donald Trump wird, der buchstäblich über die Leichen seiner besten Freunde geht, um auf seinem goldenen Thron zu sitzen.

Das wäre nicht möglich ohne eine titanische Darstellerleistung von Sebastian Stan, der gerade erst in Berlin für seine Leistung in „A Different Man“ den Schauspielendenpreis gewinnen konnte und sich nun anschickt, drei Monate später auch in Cannes der beste Schauspieler zu sein – sofern die Jury nicht Größeres für den Film im Sinn hat. Denkbar ist alles. Stan jedenfalls ist eine Offenbarung: Wenn man ihn erstmals sieht, 1973 in einem der edlen Gentleman-Clubs in Midtown New York City, wie er versucht, mit einer schönen Frau anzubandeln, berauscht davon, aufgenommen worden zu sein in dieses Vorzimmer der Macht, ein Simpel, ein Bauer, ein Trampel, naiv und gefallsüchtig, dann ähnelt er nur in groben Zügen dem Donald Trump, den man kennt. Da ist er immer noch ein bisschen mehr Sebastian Stan, Trump ist erkennbar, angelegt, aber noch nicht dominant. Wie dann im Verlauf des Films von Szene zu Szene Donald Trump Besitz ergreift vom Habitus, der Gestik und der Sprache des Schauspielers, das ist die wahre Magie, die Geschichte einer Machtübernahme, einer dämonischen Besessenheit, als würde ein Krebsgeschwür den Körper übernehmen wie ein alles verschlingender Tumor, bis man ganz am Schluss, wenn die Hauptfigur ihrem künftigen Biographen gegenübersitzt und auf den Tisch legt, was die drei Regeln für den Erfolg sind, nur noch Trump da ist. 

Ebenso herausragend ist Jeremy Strong als Roy Cohn, den er spielt mit den toten Augen eines Haifischs, immer nur geradeaus blickend, keine Ablenkungen zulassend, den Blick auf die Beute gerichtet, dabei immer mit dem Kopf nickend wie ein Wackeldackel in der Ablage eines Autos. Ist Stans Darstellung das Porträt eines alles verschlingenden Hungers, dann ist Strong die personifizierte Macht, der Wille zu gewinnen, was es auch kosten möge, der ultimative Consigliere, Strippenzieher, Königsmacher. Und Maria Bakalova als freies Radikal zwischen den beiden Männern, eine Goldgräberin, aber doch noch die letzte menschliche Instanz vor dem moralischen und ethischen Bankrott, ist das nötige Gegengewicht, um die beiden männlichen Hauptdarsteller funktionieren zu lassen, sie erträglich zu machen, ohne dass man sich fortwährend duschen will. 

Und dann hat Ali Abbasi um sie herum mit einem furiosen Drehbuch von Gabriel Sherman einen atemlosen und rasend schnellen Film gebaut, der für die Schauspieler das ist, was New York City für die realen Gestalten ist, die ihn bevölkern. Er beginnt standesgemäß. Mit einem Kameraflug durch die Straßen der Stadt, begleitet von einem besonders rasiermesserscharfen Stück Punkrock: „Anti, Anti, Anti“ von den Consumers, die in zwei Minuten schon einmal alles packen, was Abbasi in den kommenden zwei Stunden erzählen wird. Flimmernde Originalaufnahmen von einem lange versunkenen New York fügen sich nahtlos in die inszenierten Szenen, denen Kameramann Kasper Tuxen („Der schlimmste Mensch der Welt“, „Helden der Wahrscheinlichkeit – Riders of Justice“) einen bestechenden VHS-Schimmer und unglaublich bewegliche Bilder verliehen hat: Du. Bist. Dabei. Das ist live, kein Netz, kein doppelter Boden. Man riecht die Welt förmlich, das teure Parfüm, den schlechten Atem, den Männerschweiß, das edle Eichenholz. 

Der Film traut sich was. Er ist eine Parade bekannter Persönlichkeiten, die er oftmals namentlich vorstellt: Andy Warhol (von dem Trump natürlich niemals gehört hat), Tony Salerno, Ed Koch, Roy Pritzker, George Steinbrenner, Mike Wallace, Roger Stone. Ein Defilee des Who’s Who der Business-High-Society, der Movers, der Shakers, und derer, die sich gerne in ihrem Licht sonnen: Was kostet die Welt? In einer irre süffigen Szene bei einer Party im Haus von Roy Cohn tanzt Donald Trump im Zentrum des entmenschten Chaos zu Suicide, „Ghost Rider“: „America, America, America is killin‘ its youth“. Der Film klammert die harten Sachen nicht aus: Cohns Ende durch Aids, von Trump regelrecht höhnisch kommentiert. Die Korruption und Bestechung. Trumps Untreue und Selbstsucht, die Vergewaltigung seiner Ehefrau. Und immer hält er die Waage zwischen Komödie und Tragödie, lässt einen lachen, während man entsetzt die Augen verschließen will. Yes Sir, dieser Film kann Boogie. 

Thomas Schultze