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REVIEW CANNES: „Le comte de Monte Cristo”

Spektakuläre Neuverfilmung des Klassikers von Dumas über einen unschuldigen Mann, der nach 14 Jahren im Kerker loszieht, um Rache zu üben.

CREDITS: 
Land / Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 178 Minuten; Regie, Drehbuch: Matthieu Delaporte, Alexandre de la Patellière; Besetzung: Pierry Niney, Anaïs Demoustier, Pierfrancesco Favino, Anamaria Vartolomei, Bastien Bouillon, Laurent Lafitte

REVIEW:
Wer freut sich nicht über eine Neuerfindung eines Klassikers, von der man gar nicht wusste, dass man sie brauchte, und nun, da man sie gesehen hat, froh ist, dass man sie im Leben hat? Wiederholt wurde der neben „Die drei Musketiere“ berühmteste Abenteuerstoff von Dumas bereits verfilmt, die Mutter aller Rachegeschichten, aber sicherlich noch nie so, wie es die beiden bislang eher auf erfolgreiche Komödien wie „Der Vorname“ oder „Das Beste kommt noch“ abonnierten Autoren und Regisseure Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière hier getan haben: Das Gerüst der Handlung haben sie bewahrt, den Verrat an dem jungen Edmond Dantès, seine 14-jährige Kerkerhaft im Châteu d’If und abenteuerliche Flucht, seine abermals mehrjährige Vorbereitung auf die Rache an denen, die ihm seine Existenz genommen haben, und der Beginn ihrer minuziösen Umsetzung und die Erkenntnis, dass er, der Graf von Monte Cristo, in seiner Unmenschlichkeit nicht besser ist als diejenigen, die ihm Unrecht angetan haben. 

Aufwändige Neuverfilmung von „Le comte de Monte Cristo“ mit Pierre Niney (Credit: Pathé)

Ansonsten spielen die beiden Filmemacher mit dem Stoff, ändern die Zusammenhänge, machen die Erzählung insgesamt jünger und geschmeidiger, verstärken die Romantik und die tragische Fallhöhe, ein sehr clever konstruierter Mix aus Aufregung und Seifenoper, verpackt in eine Produktion, bei der man tief in die Tasche gegriffen hat: Ob nun keine Kosten und Mühen gescheut wurden bei der Umsetzung, muss die Buchhaltung entscheiden. In jedem Fall hat man nie den Eindruck, dass die Kamera den Blick einengen muss, um die Ereignisse in voller Pracht einzufangen. Dieser neue „Comte de Monte Cristo“ ist ein Kostümfilm in klassischem Sinne, ein Historiendrama mit verschwenderischer Ausstattung und Kostümbild, aber immer mit einem Sinn fürs Hier und Jetzt erzählt, altmodisch und modern zugleich. Vor allem kommt einem die dreistündige Laufzeit nie ausufernd oder anstrengend vor. Kürzer wäre hier kaum besser gewesen. Dazu trägt auch die kluge Anordnung in klare Kapitel und Abschnitte, was Miniserie und Bingewatching impliziert, aber doch immer sattes Kino ist. 

Vor allem aber Starkino. Pierre Niney, in Deutschland wohl am besten bekannt aus François Ozons „Frantz“ mit Paula Beer, hat Freude an einer Rolle, wie sie einst wohl ein Jean-Paul Belmondo oder ein Jean Marais mit Freuden gespielt hätte (und im Fall von Marais tatsächlich gespielt hat, in einem Fernsehzweiteiler von 1954): eine tragische Figur und doch heldenhaft, die in immer neue Verkleidungen und Identitäten schlüpft, um seine Feinde zu täuschen und seinen Racheplan in Bewegung setzen zu können. An seiner Seite geben sich schöne Menschen in tollen Kostümen die Klinke in die Hand (mit Ausnahme von Pierfrancesco Favino, der als Abbé Faria nur in Lumpen gekleidet ist): Anamaria Vartolomei („Das Ereignis“), Anaïs Demoustier („Schnee am Kilimandscharo“), Laurent Lafitte („Elle“) und und und, manches kaum mehr als Gastauftritte – die Liste ist lang, allen sieht man gerne zu. Weil der Film keine Angst davor hat zu knattern, wie es sich für großes Kintopp gehört, aber immer den nötigen Drive und die Überzeugung mitbringt, um einen zu involvieren in diese zeitlose Geschichte, deren Antrieb Rache und Hass ist, die aber am Ende von Vergebung und Menschlichkeit erzählt.

Thomas Schultze