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REVIEW CANNES: „Das kostbarste aller Güter“

Erster Animationsfilm von Oscargewinner Michel Hazanavicius nach Comicromanvorlage über ein Baby, das auf dem Weg nach Auschwitz aus dem Zug geworfen wird und bei einer polnischen Familie landet.

Michel Hazanavicius’ „Das kostbarste aller Güter“ (Credit: Ex Nihilo / Les compagnons du cinéma / Studiocanal / France 3 / Les films du Fleuve)

CREDITS:
O-Titel: La plus préscieuse des marchandises; Land / Jahr: Frankreich 2024; Regie: Michel Hazanavicius; Drehbuch: Michel Hazanavicius, Jean-Claude Grumberg; Verleih: Studiocanal

REVIEW:
Seit dem späteren Oscargewinner „The Artist“ im Jahr 2011 hat Michel Hazanavicius alle seine relevanten Filme in Cannes vorgestellt, den ambitionierten Kriegsfilm „The Search“, das Godard-Biopic „Godard Mon Amour“ und das Meta-Meta-Splatter-Remake „Final Cut of the Dead“. Filme, die keinen anderen roten Faden erkennen lassen, außer dass Hazanavicius ein Filmbesessener ist, der sich stets mit großer Leidenschaft, aber deutlich geringerer Subtilität auszeichnet. Was sich in seiner Adaption des gleichnamigen Comicromans von Jean-Claude Grumberg allenfalls durch eine gewisse Geradlinigkeit auszeichnet, ansonsten ist es ein sehr schöner Animationsfilm geworden, der mit seinem groben Pinselstreich auffällt, skizzenartig, expressiv, wie Holzschnitt.

So lernt man durch einen allwissenden Erzähler – im Original ist es Leinwandlegende Jean-Louis Trintignant – den Holzfäller und seine Frau kennen, einfache, arme Leute in einer Hütte in den polnischen Wäldern, die sich nach dem Kindsbetttod ihres Kindes damit abgefunden haben, allein zu bleiben, einsam, ohne Mittel, immer hart am Verhungern. Es ist früh im Zweiten Weltkrieg, und regelmäßig bahnt sich ein Güterzug mit einer besonderen Fracht den Weg durch den Wald: Es sind Judentransporte aus dem Westen auf dem Weg in die Vernichtungslager. Eines Tages betet die Frau des Holzfällers, etwas Gutes möge von einem der Züge für sie abfallen. Sie findet im Schnee neben den Gleisen ein Baby, ein kleines Mädchen, das sie an sich nimmt.

Damit stößt sie nicht auf Zustimmung des Ehemannes, ein derber Kerl, der wie die meisten Menschen der Gegend mit allen gängigen Vorurteilen aufgewachsen ist: Die Juden haben Jesus Christus getötet und seien ohne Herzen. Wie er, der grobe Klotz, sich doch für das Mädchen erwärmt, das Glück aber nur von kurzer Dauer ist, die Frau dann mit dem Baby fliehen muss, bildet den Kern des Films, ist aber doch nur eine Präambel für eine erschütternde, von Alexandre Desplats einfühlsamer und nun in Molltöne verfallender Musik begleitet, den Weg zu den Eltern des Kindes findet, wie der Vater es in seiner Verzweiflung aufgibt und schließlich im Konzentrationslager dem nackten Horror begegnet, hier festgehalten mit einer Abfolge von Tableaus mit von Schmerz verzerrten Gesichtern, die Hölle auf Erden. 

Aber der Film endet nicht damit, ihm ist nach Versöhnung in seiner Erzählung für Erwachsene. Auch wenn nicht verraten werden soll, was es denn nun ist, dieses kostbarste aller Güter, kann man es sich mit ein bisschen Fantasie doch auch ausmalen. Wenn es dann aber am Ende des Films ganz direkt angesprochen wird, fühlt man sich eigenartig bewegt, von dieser kleinen Fabel, dieser schönen Geschichte und ihrer anspruchsvollen filmischen Umsetzung. Der Rest, so sind die letzten Worte, ist Schweigen. So soll es sein. 

Thomas Schultze