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REVIEW KINO: „Daddio – Eine Nacht in New York“

Kammerspielartiges, intensives Drama in Realzeit über eine Taxifahrt von JFK nach NYC, einen Taxifahrer und seine Passagierin.

CREDITS:
O-Titel: Daddio; Land/Jahr: USA, 2024; Laufzeit: 101 Minuten; Regie: Christy Hall; Drehbuch: Christy Hall; Besetzung: Dakota Johnson, Sean Penn; Verleih: Leonine Studios; Start: 27. Juni 2024

REVIEW:
Die Idee klingt im ersten Moment danach, als sei sie unter Corona-Bedingungen entstanden. Tatsächlich hat die Autorin, Produzentin und Dramatikerin Christy Hall, die zuletzt die Coming-of-age-Netflix-Serie „I’m Not Okay With This“ mit kreierte, ihr Kammerspiel bereits vor der Pandemie und ursprünglich für die Theaterbühne geplant. Ihr Skript stand lange auf der „Black List“ der interessantesten, noch unverfilmten Drehbücher in Hollywood und fiel so Dakota Johnson und Sean Penn in die Hände, die das Projekt koproduzierten. Der Plot: Eine junge Frau steigt spätabends am Flughafen in ein Taxi ein, unterwegs wird sie vom älteren Fahrer in ein Gespräch verwickelt. „Daddio – Eine Nacht in New York“ spielt damit fast ausschließlich in einem Auto, mit nur zwei Figuren. Man erinnere sich, was auf so engem Raum alles geschehen kann, in Michael Manns „Collateral“ etwa, in dem ein Killer seinem Fahrer eine kriminelle Partnerschaft aufzwingt, oder in Steven Knights genialem Thriller „Locke“, in dem Tom Hardys Leben auch ohne Mitspieler aus den Fugen gerät. In diesem Fall passiert außer einer Unterhaltung eigentlich – nichts. 

Dakota Johnson in „Daddio“ (Credit: Leonine Studios)

Damit Bewegung in die Sache kommt, filmte Hollywood-Veteran Phedon Papamichael die Strecke von JFK nach Hell‘s Kitchen in Echtzeit und projizierte die atmosphärischen Bilder rund um die Tonbühne, auf der die Schauspieler agierten, die er knapp 100 Minuten lang in Nahaufnahmen, Closeups, aus der Beifahrerperspektive zeigt. Ein Traum für Schauspieler, die eine Herausforderung suchen – ein Albtraum für Zuschauer, die sich davor fürchten, im Taxi Smalltalk führen zu müssen. Kaum hat die namenlose junge Frau auf dem Rücksitz Platz genommen, beginnt der Yellow-Cab-Driver Clark damit, sich über alles Mögliche auszulassen, das schlechte Trinkgeld, Kunden, die nur mit Kreditkarte zahlen, die langen Arbeitszeiten. Er ist in Fahrt, es ist seine letzte Tour vor dem Feierabend, sie dagegen sichtlich ermüdet von ihrem Flug, von allem, was auch immer hinter ihr liegt.

Es sind eindeutig zwei Welten, aus denen die beiden kommen, sie haben nichts gemeinsam, der neugierige, Glückskeks-Weisheiten verbreitende Taxler und die hippe Besserverdienerin, mit ihrem coolen Millennial-Look, Dr. Martens an den Füßen, Nailart an den Händen. Er mustert sie genau, er weiß sofort Bescheid – eine Frau, „die zurechtkommt“, denkt er laut. Und wäre da nicht die blonde Perücke, könnte man fast meinen, Dakota Johnson würde sich hier selbst spielen, mit Vorurteilen kennt sie sich als „Nepo-Baby“ und Tochter berühmter Eltern vermutlich aus. Ihr scheint Clarks Geplapper als Ablenkung gerade recht zu kommen, um nicht auf die Textnachrichten auf ihrem Handy eingehen zu müssen. Sie lehnt sich zurück, antwortet kurz angebunden, trotzdem freundlich, erzählt von ihrem Job als Programmiererin. Sie ist intelligenter, als er sie eingeschätzt hat, er muss sich seine Unterlegenheit jetzt schon eingestehen, aber was soll‘s, damit wird es noch interessanter, er redet also weiter, er liebt es, jemanden zu reizen, das macht er ständig – und sie werden sich ja sowieso nie wieder begegnen.

Als das Auto im Stau zum Stehen kommt, wirkt es fast so, als hätte er absichtlich die Umleitung verpasst, um das Spiel noch ein wenig länger auszukosten. Er setzt alles auf eine Karte, dreht sich zu ihr um und wird ein bisschen direkter. Von nun an geben sich die beiden Punkte, wenn es ihnen gelingt, den anderen mit Geschichten aus ihrem Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und dann wird es plötzlich sehr intim, fast schon übergriffig, was er da von sich gibt. Man ist irritiert, dass es sie nicht völlig abtörnt, insbesondere, als Clark auch noch vor ihren Augen in eine Wasserflasche pinkeln will. Die ganze Zeit versucht er, ihre Schwachstellen auszuloten, sie aus der Reserve zu locken. Sein Mansplaining ist nicht gerade charmant gegenüber Frauen im Allgemeinen und schon gar nicht gegenüber der Frau auf dem Rücksitz, er behandelt sie wie ein Kind. Allerdings spielt sie ihr eigenes Spiel: Sie testet seine Theorien über junge Frauen und ältere Männer an ihrem verheirateten Liebhaber aus, der sie während der Fahrt mit Nachrichten bedrängt. Als Nacktfotos auf dem Bildschirm aufleuchten, überlegt sie lange, ob sie sich auf das Sexting-Game einlassen soll, die Kamera rückt noch näher an sie heran, während sie mit der Zunge über ihre Lippen fährt, mit ihren Händen das Gesicht berührt.

Ihre Körpersprache ist eindeutig, doch man weiß nicht genau, ob sie mit ihrem Sugar Daddy am Smartphone flirtet oder mit dem Mann, der sie im Rückspiegel beobachtet. Als sie sich wieder gänzlich Clark zuwendet, nimmt das spielerische Kräftemessen mit einem Mal eine unerwartete Wendung. Seine Fragen treffen einen wunden Punkt, was ihn überrascht und bestürzt. Die Offenheit, die er provoziert hat, weckt plötzlich seine väterlichen Gefühle. Es ist berührend und beeindruckend, wie man am Gesicht von Sean Penn, eigentlich ein sehr körperlicher Method Actor, jeden Stimmungswechsel des Films ablesen kann, wie es ihn innerlich aufwühlt, als sie ihm ihr Herz ausschüttet, und vollkommen klar aber auch völlig egal ist, wer von beiden gerade alle Punkte gemacht hat, wie sein stechender Blick weicher wird, die ganze toxische Männlichkeit von ihm abfällt. Die Regisseurin spielt bewusst mit der Erwartungshaltung des Zuschauers an ihren Hauptdarsteller, und es ist gerade dessen Fähigkeit, dass man gleichzeitig für und gegen ihn ist, dass er zugleich irre anziehend und abstoßend sein kann, die ihn so gut und „Daddio – Eine Nacht in New York“ vor allem zu einem Sean-Penn-Vehikel macht.

Die Story vermittelt nicht unbedingt neue Erkenntnisse über Männer und Frauen, aber man erfährt einiges darüber, was passieren kann, wenn man mal nicht auf sein Handy starrt, sondern mit anderen Menschen ein echtes Gespräch führt, über den Umgang mit seinen Erwartungen, und darüber, wie schnell man sich provozieren lässt. Christy Hall hält uns den Spiegel vor, stellt Stereotypen in Frage, mit all den groben Verallgemeinerungen und der verstörenden Direktheit, mit Penns prolligem Gehabe, dem Blowjob-Gerede, mit Johnsons Koketterie, ihren Fingernägeln, dem Schwanzfoto auf dem Handy, mit der minimalistischen Inszenierung, der immer etwas zu dick aufgetragenen Klaviermusik im Hintergrund und der klaustrophobische Enge – alles ist Provokation, die einen auf die Probe und vor die Frage stellt, wie lange man das wohl erträgt. Aber wer steigt schon aus einem Taxi aus, wenn Sean Penn am Steuer sitzt?

Corinna Götz