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REVIEW KINO: „Andrea lässt sich scheiden“

Bittersüße schwarze Komödie über eine Polizistin in der österreichischen Provinz, deren Zukunftspläne nach einem tragischen Unfall ins Wanken geraten.

CREDITS:
Land/Jahr: Österreich 2024; Laufzeit: 90 Minuten; Regie: Josef Hader; Drehbuch: Florian Kloibhofer; Besetzung: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Schubert, Robert Stadlober, Thomas Stipsits, Maria Hofstätter; Verleih: Majestic; Start: 4. April 2024

REVIEW:
Weinen will man und lachen. Oder vielleicht auch umgekehrt. Josef Hader macht traurige Filme, die gleichzeitig auch unendlich lustig sind. Oder vielleicht auch umgekehrt. Je nach Blickweise, je nach persönlicher Tagesform. Das eine lässt sich nicht trennen vom anderen, das Traurige nicht vom Lustigen, das Lustige nicht vom Traurigen. Weil es um einen ganz bestimmten Blick aufs Leben geht, um das Streben und Hadern und sich Verheddern. Um das Stürzen und die Frage, ob man dann wieder aufsteht oder nicht. Und wie man das anstellt und überhaupt. Die Arbeiten eines Filmemachers, dessen Blick resigniert sein kann, kopfschüttelnd ob der Welt, in der wir leben, aber auch liebe- und verständnisvoll, melancholisch und belustigt, lakonisch und bitter. Und der sich immer die Frage stellt: Was macht man, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Wie geht man damit um? Haders Filme haben Schmäh, aber eben eine ganz besondere, eigene Form von Schmäh, die ihn abhebt von anderen ebenso unverkennbar österreichischen Filmemachern – sofern man das als Piefke beurteilen kann, wohlgemerkt. „Endlich wird die Wahrheit verfilmt“, lautet ein Kommentar unter dem Trailer auf YouTube. So kann man es natürlich auch sagen.

Zwei einsame Seelen, ein tragischer Unfall: Josef Hader und Birgit Minichmayr in „Andrea lässt sich scheiden“ (Foto: Majestic)

„Andrea lässt sich scheiden“ folgt sieben Jahre nach Haders Regiedebüt, „Wilde Maus“, der in Österreich ein überragender Kassenerfolg war und in Deutschland beachtliche 250.000 Kinobesuche verzeichnen konnte. Unverkennbar sind die beiden Filme, die Weltpremiere jeweils auf der Berlinale hatten – „Wilde Maus“ 2017 im Wettbewerb, „Andrea lässt sich scheiden“ vor ein paar Wochen im Panorama – und von Wega Film produziert wurden (in Koproduktion mit der Golden Girls Filmproduktion), die Arbeiten desselben Künstlers, stille Verzweiflungsschreie, wenn man so will. Aber der neue Film ist noch feiner gezeichnet, noch etwas vertrackter in seiner nur zunächst so simpel erscheinenden Erzählung. Diesmal hat Hader das große Wien verlassen und ist in die Provinz gegangen, die niederösterreichische, genauer gesagt. Die Bilder sind erst einmal ganz weit, fast wie in einem Western: Was passieren wird, müsste man eigentlich aus großer Entfernung auf sich zukommen sehen können.

Aber dann ist eben doch wieder alles ganz eng und eingeengt und eingeschnürt, es kommt dann doch anders und überraschend und unerwartet, was Andrea widerfährt, der Titelheldin des Films, gespielt mit wunderbarer Beharrlichkeit und wachsender Verzweiflung von Birgit Minichmayr, die einzige Frau im Polizeirevier, die nach der Trennung von ihrem Mann und dem Widereinzug im Haus ihres senilen Vaters eigentlich nur eines will: weg. Sie hat auch einen Plan und ihre Fühler bereits ausgestreckt, sie hat sich beworben für einen Posten als Kriminalinspektorin in St. Pölten, das zwar auch nur 60.000 Einwohner hat, aber immerhin Landeshauptstadt von Niederösterreich und zumindest Andrea als Tor zur Welt erscheint. Nach einer trunkenen Feier läuft ihr auf der spätnächtlichen Heimfahrt der Ex-Ehemann vors Auto, panisch begeht sie Fahrerflucht. Bevor sie eine Entscheidung treffen kann, was sie machen soll, meldet sich ein Anderer bei der Polizei und nimmt die Schuld auf sich, der Religionslehrer Franz, gespielt von Hader selbst, ein im Leben gescheiterter trockener Alkoholiker, der den eigenen Untergang in Kauf nimmt. 

Was folgt, ist ein Hindernisparcours, durch den „Andrea lässt sich scheiden“ stolpert und taumelt, beharrlich seinen beiden Helden von der traurigen Gestalt folgend, wie sie sich wahlweise in ihr Schicksal fügen oder sich dagegenstemmen und doch beide immer weiter versinken im Treibsand ihrer Existenz, nicht so recht vom Fleck kommen. Josef Hader nutzt die tragikomische Handlung des fein beobachteten Drehbuchs von Florian Koibhofer, um am Rand messerscharfe Betrachtungen anzustellen, wie so eine Dorfgemeinschaft funktioniert, das Pilspub, die Disco in einer Scheune, die Typen, die wir alle kennen, die markigen Angeber oder die einsamen Seelen, die Langeweile, die Leere, das Warten, die kleinen Rituale und Regelwerke, die das Leben bestimmen, ihm Form geben, aber einem auch die Luft zum Atmen nehmen können. Es gibt einen Kreisverkehr, weshalb man an die Eberhofer-Filme denken muss, die von einer ähnlichen Welt erzählen, aber eben doch mit einer ganz anderen, handfesteren Haltung. Und es gibt eine Kuppe mitten in der Landschaft. Am Anfang des Films sieht man, wie ein Auto auf der Landstraße rasend über die Kuppe fährt, auf Andrea und ihren jungen Kollegen Georg (Thomas Schubert nach „Roter Himmel“ wieder große Klasse) zu, die auf freier Strecke die Geschwindigkeit kontrollieren. Am Ende geht es wieder um diese Kuppe. Und die Frage: Wird es Andrea über diese Kuppe schaffen? 

Thomas Schultze