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Dieter Kosslick zu Green Visions Potsdam: „Wir sind ein Spezial-Festival“

Mit Green Visions Potsdam initiierte der langjährige Berlinale-Chef Dieter Kosslick ein Festival der besonderen Art. Ihm ist wichtig, dass das Thema Klimawandel ohne Aggression aufs Tableau gebracht wird.

Dieter Kosslick, lange Jahre souveräner Direktor der Berlinale, hat immer noch Lust auf Festival. Zum Glück (Credit: Runze & Casper Werbeagentur)

Allein in Deutschland gibt es laut AG Filmfestival ca. 400 Filmfestivals. Ist da noch Platz für ein neues?

Dieter Kosslick: Das kann ich nicht beurteilen. Das kann ich erst wissen, wenn unsere erste Runde vorbei ist. Die wirkliche Frage, die sich stellt, ist: Gibt es ein Bedürfnis für das Filmfestival? Green Visions Potsdam ist im Gegensatz zu anderen ein Festival, das rein inhaltlich definiert ist. Wir haben zwar mehrere Deutschland-Premieren, aber uns geht es um thematische Schwerpunkte rund um den Klimawandel. Ich bin mir sicher, dass es einen Platz gibt für uns, vor allem, weil wir perfekt nach Potsdam/Babelsberg passen, an einen ebenso für den Film wie für die Wissenschaft bedeutsamen Ort. Green Visions Potsdam versteht sich auch als Kultur- und Wissenschaftsfestival. Wir sind ein Spezial-Festival. 

Wie viele Filme haben Sie für Ihre erste Runde kuratiert?

Dieter Kosslick: Wir zeigen 18 Filme inklusive der Kurzfilme. Thematisch geht es oft um Wasser und Landwirtschaft, wie etwa bei „Whale Nation“ von Jean-Albert Lièvre und „Food, Inc. 2“ von Robert Kenner und Melissa Robledo. Vor dem wunderschönen Filmmuseum gibt es außerdem einen kleinen Markt für nachhaltiges Leben. Uns ist es wichtig, Klimawandel positiv zu erzählen in den Geschichten der Filme. Das klappt zwar nicht immer, weil ja auch gezeigt werden muss, was schiefläuft. Aber wir alle haben die Nase voll von Sprüchen wie: „Hört auf Burger zu essen. Die sind schädlich fürs Klima!“

„Bis hierhin und wie weiter?“ (Credit: Felix Maria Buehler)

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Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, Green Visions Potsdam zu initiieren?

Dieter Kosslick: Ich hatte bei der Berlinale immer ein sehr spezielles Erlebnis mit meinem Lieblingsangebot, dem Kulinarischen Kino. Immer, wenn ich am Ausgang stand nach den in diesem Zusammenhang gezeigten Filmen, sagten die Leute: Was machen wir jetzt, Herr Kosslick? Wir möchten uns gerne engagieren! Wir würden gerne einen Beitrag leisten. Ich würde mich selbst als Öko-Typ bezeichnen, denn ich habe mich immer mit Themen wie Ernährung, Landwirtschaft und Klimawandel beschäftigt und es hat mir leid getan, dass wir das bei der Berlinale nicht weiterführen konnten, was man auf der Leinwand im Zuge des Kulinarischen Kinos sah. Das hat mich sehr unbefriedigt gelassen. Mit Film kann man die Leute noch bewegen. Das ist der Schlüsselpunkt unseres Festivals. 

Welche Filme werden die Menschen bei Ihrem Festival bewegen?

Dieter Kosslick: Matthieu Rytz‘ Dokumentarfilm „Deep Rising“ beschäftigt sich mit der Ausbeutung der Tiefseewelt. Bestsellerautor Frank Schätzing und Literaturkritiker Denis Scheck werden ein Gespräch zum Film führen. Nächstes Jahr sollen die ersten Genehmigungen für den massiven Abbau von Metallen auf dem Meeresboden erfolgen, um die weltweite Energiekrise zu bewältigen. Das ist erschreckend! Wenn das möglich gemacht wird, ist alles, was die letzten 50 Jahre in Sachen Meeresschutz geschehen ist, verloren. Zur Eröffnung zeigen wir zwei Filme, den bereits erwähnten „Whale Nation“ und den Spielfilm „The End We Start From“ in Zusammenarbeit mit Universal Pictures.

Gibt es eigentlich Ihrer Meinung nach bereits genug Filmprojekte, die sich mit den Themen rund um den Klimawandel beschäftigen?

Dieter Kosslick: Es gibt zwar genügend Filme, die sich mit Themen wie Landwirtschaft, Ernährung, Wasser, Energie, Klima etc. beschäftigen. Aber es gibt sehr wenig Spielfilme und sehr wenig große Dokumentarfilme wie „Food, Inc“ oder „Deep Rising“. Es gibt sehr viele Filme, die zeigen, wie schlimm es ist. Wir können aber nicht vier Tage lang nur solche Filme zeigen. Die Menschen müssen zwar sehen, dass vieles im Argen liegt, wir müssen ihnen aber auch zeigen, dass es die Möglichkeit gibt, noch etwas zu ändern. Hier ist die Auswahl an Filmen eben doch nicht so groß. Deshalb gehen wir eher thematisch vor und schauen, wie wir die Filme wissenschaftlich begleiten können.

Dieter Kosslick vor dem Filmmuseum Potsdam (Credit: Florian Sorge, Stadtwerke Potsdam)

Können Sie zum Stichwort wissenschaftliche Begleitung ein Beispiel geben?

Dieter Kosslick: Wir haben Physiker und Klimawissenschaftler Professor Anders Levermann eingeladen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (es gibt übrigens elf wissenschaftliche Klimainstitute in Potsdam). Er ist einer der Forscher gewesen, die vor wenigen Wochen ein Papier veröffentlich haben, in dem errechnet wurde, wenn in Sachen Klimawandel nicht mehr unternommen wird, uns weltweit bis 2050 jährlich 35 Billionen Euro kosten wird und die Wirtschaft in Deutschland um 11 Prozent schrumpfen lässt.

Ein Festival kostet Geld, es muss organisiert werden. Fiel Ihnen das in diesem Falle leicht dank Ihres großen Netzwerks aus Berlinale-Zeiten?

Dieter Kosslick: Die Gründung und Organisation fiel leicht und fiel schwer. Schwer, weil wir das Festival eigentlich vor Corona geplant hatten und durchführen wollten. Corona hat auch uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Momentum war erst mal futsch. Nach der Pandemie mussten wir die Finanzierung von null angehen. Das war nicht mehr so einfach wie vor der Pandemie. Aber wir haben es geschafft. Finanzierungspartner sind die Stadt Potsdam, das Medienboard Berlin-Brandenburg, die Energie und Wasser Potsdam (Stadtwerke Potsdam) und viele kleinere Unterstützer, die teilweise auch auf dem Markt repräsentiert sind. 

Werden auch Preise verliehen bei Green Visions Potsdam?

Dieter Kosslick: Es werden Preise verliehen, aber nicht von uns. Wir selbst haben uns dagegen entschieden, eigene Festivalpreise auszugeben. Ebenso wollten wir auch keine Filmeinreichung haben, sondern die Filme ganz frei selbst kuratieren. Die Preise, die verliehen werden, sind der Klimapreis der Stadt Potsdam, den es schon seit 2011 gibt und vorbildliche Projekte in den Kategorien „Bürgerprojekte“ und „Schulen“ auszeichnet. Die Stadt ergreift nun die Gelegenheit, diesen Preis am Nachmittag vor dem Eröffnungsabend unseres Festivals im Filmmuseum zu vergeben. Und zum Abschluss zeigen wir den Gewinner des Klimaschutz-Filmpreises der Landeshauptstadt Potsdam der Ökofilmtour, „Das Kombinat“ über das Münchner „Kartoffelkombinat“. Mit der Ökofilmtour und dem Filmfest München haben wir auch Kooperationen. Das ist eine schöne Sache.

Eine schöne Sache ist für Sie sicherlich auch die Tatsache, dass die Eröffnung von Green Visions Potsdam gar nicht mehr lange hin ist. Was wünschen Sie sich denn diesbezüglich?

Dieter Kosslick: Uns ist es wichtig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, aber nicht aggressiv. Die Diskussion um den Klimaschutz ist aufgeladen, sie lässt sich abmildern, indem man Filme zeigt, die Menschen bewegen. Es ist wichtig, diese Themen wissenschaftlich, faktenbasiert zu diskutieren, aber gleichzeitig man muss auch emotional berührt werden, sonst kann man die Einstellung der Menschen nie ändern. 

Das Gespräch führte Barbara Schuster