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Anna Novion zu „Die Gleichung ihres Lebens“: „Ich wollte Schönheit drehen“

Für uns bei SPOT eine Entdeckung: „Die Gleichung ihres Lebens“ von Anna Novion, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Hat uns so gut gefallen, dass wir bei Weltkino nach einem Interview mit der Regisseurin gefragt haben. Es hat geklappt. Freude.

Anna Novion, die Regisseurin von „Die Gleichung ihres Lebens“ (Credit: TS productions, Pyramide international )

Gleich als erstes fällt einem Ella Rumpf als Streberin Marguerite auf – so hat man sie noch nie gesehen. Man kennt sie bislang eher für ihre körperlichen, expressiven Rollen.

Anna Novion: Marguerite ist eine junge Frau, die jeder kennt, auch wenn man ihr vielleicht keine besondere Beachtung schenkt. Das war mir wichtig, daran habe ich lange gefeilt. Mir war klar, dass dieser Film nur dann funktionieren könnte, wenn ich die richtige Darstellerin für die Figur finden würde. Ich habe mir mehr als 100 Schauspielerinnen angesehen. Ich könnte es nicht genau benennen, aber immer, wenn ich einen gewissen inneren Widerstand gespürt habe, wusste ich, dass es nicht die Richtige für die Rolle war. 

Bei Ella Rumpf war es dann anders?

Anna Novion: Ella habe ich bei mir zuhause getroffen. Als ich die Tür öffnete und sie mir gegenüberstand, habe ich gleich etwas Magisches gespürt, es ging etwas Besonderes von ihr aus. Wir unterhielten uns zwei Stunden lang. Eigentlich hatte sie gar nichts mit Marguerite gemein. Mathematik interessiert sie nicht sonderlich, sie führt das ganz normale soziale Leben einer 25-Jährigen, sie hat einen Freund. Und doch habe ich Marguerite in ihr gesehen. Sie ist ausweichend im Gespräch, ist auch nicht besonders humorvoll. Es kam auch sofort rüber, dass sie es liebt zu arbeiten. Hart zu arbeiten, viel zu arbeiten. Sie ist obsessiv. Ich wusste, dass ich damit arbeiten konnte und dass wir es gemeinsam schaffen würden, uns Marguerite zu erschließen. Sie war überrascht, als ich sie gleich am Tag nach unserem Treffen anrief und ihr die Rolle anbot, weil sie überhaupt keine Szene vorgespielt hatte. Aber ich hatte einfach ein gutes Gefühl, und es hat mich nicht getrogen. 

Marguerite ist nicht unbedingt die Art von Figur, die man sich im Mittelpunkt eines Films vorstellt. 

Anna Novion: Das hässliche Entlein… Ich weiß… Aber ich fand sie spannend, ich mochte sie. Mir gefällt der Weg, den sie geht! Das macht sie für mich zu einer echten Filmheldin. Sie müssen wissen: Ich selbst habe auch keinen blassen Schimmer von Mathe. Ich denke, das ist aber auch nicht nötig – für das Publikum schon gleich gar nicht. Aber ich sehe dennoch ganz unmittelbare Zusammenhänge mit meiner Arbeit als Regisseurin. Als Filmemacher muss man ebenfalls obsessiv sein, Leidenschaft mitbringen, manchmal auch Tunnelblick haben. Man darf nichts anderes zulassen, muss sich voll und ganz seinem Ziel ausliefern, einen guten Film zu machen. Wenn man es in der Mathematik zu etwas bringen will, ist es ebenso. Es ist ein entbehrungsreicher Weg, ein Glaubenssprung, man geht viele Risiken ein, ohne dass man weiß, ob man am Ende erfolgreich sein wird. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann mache ich das, weil ich an die Geschichte und die Figuren glaube – und weiß nicht, ob ich am Ende das Geld bekommen werde, tatsächlich einen Film machen zu können. 

Sie würden „Die Gleichung ihres Lebens“ also als persönlichen Film beschreiben?

Anna Novion: Marguerite ist ganz anders als ich, und ich kenne mich, wie gesagt, nicht mit Mathe aus, aber Ja! Von den drei Filmen, die ich bisher gemacht habe, steht er mir am nächsten, erzählt er viel auch über mich und wie ich die Welt sehe. Es mag einem paradox erscheinen – und ich muss oft darüber lachen -, aber es war oft so beim Dreh, dass ich keine Ahnung hatte, was ich da gerade filmte, weil ich nicht nur keinen Schimmer von Mathe habe, sondern auch das Brettspiel Mahjong mir völlig fremd ist, das im Verlauf des Films eine wichtige Rolle spielt. Was ich aber wusste: Ich wollte etwas Schönes entstehen lassen, ich wollte Schönheit drehen, ich wollte die Poesie in der Mathematik entdecken. 

„Die Gleichung des Lebens“ (Credit: Michael Crotto / Weltkino)

Die Mathematik ist ein Mittel zum Zweck, um die Figuren zu charakterisieren: Wie sie sich an der Tafel bewegen und Gleichungen mit der Kreide festhalten, erscheint einem wie ein Glaubensbekenntnis.

Anna Novion: Das trifft es sehr gut. Mein Film sollte wie ein Musical sein, mit den Szenen im Klassenzimmer und in den Spielhallen als Musiknummern, mit einem besonderen Rhythmus und einer besonderen Choreographie. Wenn Marguerite und Lucas zusammen an der Tafel stehen, ist es, als würden sie miteinander tanzen. Für mich war das sehr filmisch, richtiges Kino. Ich habe mir davor im Centre Pompidou Ausstellungen angesehen mit modernen Arbeiten von Jackson Pollock oder Joan Miró, all diese abstrakten Künstler, die Poesie zwischen der Abstraktion durchschimmern lassen. Das wollte ich erzielen. Ich wollte Mathematik filmen wie abstrakte Kunst. 

„Die Gleichung ihres Lebens“ ist Ihre erste Spielfilmarbeit in zehn Jahren. Warum die lange Pause?

Anna Novion: Ich war nicht untätig, habe für ein paar Serien gearbeitet. Aber Sie haben schon Recht, die Pause zwischen zwei Spielfilmen war sehr lang. Ich habe lange versucht, einen anderen Stoff finanziert zu bekommen. Das ging hin und her, bis ich die Geduld verlor. Es war klar, dass ich in einer Sackgasse war und ich mich schweren Herzens von diesem Stoff verabschieden würde müssen. Und dann muss ich sagen, dass das Drehbuch für „Die Gleichung ihres Lebens“ sehr lange gedauert hat. Ich habe immer wieder gefeilt, Dinge umgestellt, neu geschrieben. Aber ich hatte immer ein gutes Gefühl. Manche Filme müssen einen solchen Weg gehen, er ist ihnen vorbestimmt. Sonst könnte er am Ende nicht das werden, was er schließlich ist. Ein bisschen war ich in dieser Zeit wie Marguerite. Es war ein Leidensweg. Anders wäre dieser Film nichts geworden. Wie sagt man so schön: Da muss man durch! Aber ich kann auch das mit Nachdruck sagen: Noch einmal will so etwas nicht durchmachen müssen. Es kostet viel Kraft, viele Nerven. Und es reißt einem das Herz aus dem Leib. 

War die Produktion selbst dann auch noch einmal so schwierig?

Anna Novion: Das ist ja das Verrückte: Überhaupt nicht! Als die finale Version des Drehbuchs erst einmal vorlag, war es ein Kinderspiel. Es fand überall sofort Anklang. Nur eine Überzeugungsarbeit gab es zu leisten: Ich musste den Menschen begreiflich machen, wie ich die Mathematikszenen umsetzen wollte. Aber ich hatte meine Hausaufgaben gemacht und konnte vermitteln, wie ich etwas zeigen wollte, das die meisten im Publikum nicht verstehen würden. Und ja, der Cast ist nicht besonders namhaft, sieht man einmal von Jean-Pierre Darroussin ab. Aber ich denke, das ist eine der Stärken des Films. Jeder Darsteller wurde besetzt, weil er der richtige für die Rolle war. 

Sie haben den Film bereits vor einem Jahr in Cannes vorgestellt. Wie stehen Sie heute zu dieser Arbeit?

Anna Novion: Ich bin da ganz simpel. Ich bin sehr stolz auf den Film, bereue nichts. Aber ich merke auch, dass ich mir immer denke: Beim nächsten Mal musst du dich mehr anstrengen. Der nächste Film muss besser werden!

Das Gespräch führte Thomas Schultze.