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Willy Hans über „Der Fleck“: „Eine radikale Reduzierung, Vereinfachung“

In Locarno feierte „Der Fleck“ von Willy Hans Weltpremiere. Wir trafen den in Hamburg lebenden Filmemacher am Lago Maggiore und sprachen mit ihm über seine Herangehensweise als Filmemacher, die Motive, die ihn filmisch interessieren, und die Zusammenarbeit mit Freunden.

Willy Hans (Credit: Locarno Film Festival)

Mit „Der Fleck“ geben Sie Ihr Langfilmdebüt. War Ihnen sofort klar, dass Sie diesen Schritt mit genau diesem Stoff gehen wollen würden?

Willy Hans: Nein, das war nicht sofort klar. Ich hatte davor eine Kurzfilmtrilogie gemacht, „Das satanische Dickicht“, die zusammenhängend auch bereits als eine Art Langfilm konzeptioniert war. Mehr ein Zwischenformat. Man konnte die Filme einzeln schauen, oder en block, dann hatte man 90 Minuten. Mit diesem Gedanken bin ich in den Langfilm rein. Ich wollte zunächst einen Episodenfilm machen, habe aber schnell gemerkt, dass das eine viel zu große Maschine werden würde und auch aus Produktionsperspektive einfach zu kompliziert geworden wäre. Ich bin mehr beeindruckt von einfachen Filmen. Also habe ich mich entschieden, ein Fragment aus den bereits erdachten Episoden herauszunehmen und daraus einen Langfilm zu entwickeln. Das war die Simon-Figur. So kam es zu einer sehr radikalen Reduzierung, Vereinfachung.

Einfache Geschichte hört sich einfach an. Ist es aber sicher gar nicht… Wie war Ihre Herangehensweise?

Willy Hans: Meine Herangehensweise ans Filmemachen grundsätzlich ist, dass ich nur über etwas erzählen kann, was ich selber kenne, über das ich Bescheid weiß. Alles andere würde mir nicht gelingen. Das heißt nicht, dass ich das nicht zulässig fände. Aber in meiner eigenen Arbeit ist mir das wichtig. Was wiederum nicht bedeutet, dass alles autobiographisch ist, was ich mache. Die Geschichten enthalten autofiktive Anteile, etwas aus dem eigenen Erleben. Ein Grundthema schon bei meinen Kurzfilmen ist die Frage nach Identität, nach sozialer Zugehörigkeit. Mich interessieren Figuren, die Widersprüchlichkeiten in sich tragen. So wie Simon. Er rennt weg, er rennt erst mal auf etwas zu. Hat die Sehnsucht nach einer Gruppe, einer Gemeinschaft. Und gleichzeitig hat er auch einen starken Impuls nach Abgrenzung, Rückzug. Das sind interessante Motive. 

Auch in der Hitze cool bleiben: Die Crew von „Der Fleck“ beim Photocall (Credit: Locarno Film Festival / Ti-Press)

Gab es auch improvisierte Teile beim Dreh? Und wie haben Sie mit Ihren Darsteller:innen gearbeitet, von denen die meisten noch nie vor der Kamera standen…

Willy Hans: Ich hatte ein ausgearbeitetes, 90 Seiten umfassendes Drehbuch. Im Großen und Ganzen haben wir das auch auf die Leinwand übertragen. Während des Drehens habe ich allerdings kein einziges Mal mehr reingeschaut, weil ich den Anspruch habe, nicht Sklave meiner eigenen Ideen zu sein. Beim Dreh ist mir die Frage wichtig: Glaube ich dem, was ich sehe? Als Autor und Regisseur ist man nur Initiator von Etwas. Deshalb ist mein Maßstab: hat das, was ich sehe, eine Glaubwürdigkeit für mich oder nicht. Damit meine ich kein naturalistisches Spiel. Mich interessieren Situationen. Innerhalb dieser Situationen lasse ich viel spielerischen Freiraum für die Darsteller:innen. Wir hatten tatsächlich viele durchimprovisierte Szenen, bei denen wir uns morgens überlegt haben, wie wir die umsetzen könnten. Ein Beispiel ist die Szene, wo die beiden unterm Handtuch sitzen und sich über Aquaparks und Partys unterhalten. Die Richtung des Gesprächs kam von mir.

Was hat Sie bewogen auf Film zu drehen?

Willy Hans: Das ist zum einen aus Gewohnheit, weil ich auch meine Studentenfilme auf Film gemacht habe, weil ich darauf eingeloggt bin. Zum anderen mag ich diesen Thrill von nur drei Takes, die man sich leisten kann. Außerdem mag ich das Bild, die Haptik viel lieber, auch wenn ich kein Dogmatiker bin. Mit Kameramann Paul Spengemann arbeite ich seit über zehn Jahren zusammen. Wir haben die Bildsprache gemeinsam entwickelt, die sich im Inhalt spiegelt und umgekehrt. Es geht um das Kontrastieren von etwas sehr Alltäglichem, Banalem, mit etwas mystisch Überhöhtem.

Willy Hans (2.v.r.) mit seinem Team beim „Der Fleck” Photocall in Locarno (Credit: Locarno Film Festival)

Fünferfilm ist Ihre Produktionsfirma, mit der Sie bereits bei Ihrem Kurzfilm „Was wahrscheinlich passiert wäre, wenn ich nicht zuhause geblieben wäre“ zusammengearbeitet haben. Was zeichnet sie aus?

Willy Hans: Die Zusammenarbeit ist toll. Die Interessen von Produktion und Regie gehen klassischerweise nicht immer in die gleiche Richtung. Das ist bei uns glücklicherweise sehr wohl der Fall. Karsten Krause kenne ich schon sehr lange, mit den anderen beiden, Julia Cöllen und Frank Scheuffele, hat sich mittlerweile auch ein enges Freundschaftsverhältnis entwickelt. Allein schon aus diesem Grund werde ich weiter Filme mit ihnen machen. Ich finde auch die Idee gut, gemeinsam zu wachsen, sich auf einem Level zu bewegen. Das fühlt sich für mich gesünder an, als bei einer Produktionsfirma mit Riesenvolumen anzudocken.

Sie haben in Hamburg an der HfbK nicht nur Film, sondern auch bildende Kunst studiert. Inwiefern prägt das das filmische Schaffen?

Willy Hans: Meine Lehrer im Filmbereich waren Wim Wenders und Angela Schanelec, bildende Kunst habe ich bei Andreas Slominski studiert. Vielleicht spielt das Kunststudium insofern in mein filmisches Arbeiten, als dass die Art und Weise, wie man über Plot nachdenkt, anders ist, man sich eher einer klassischen Erzählform verweigert, Genregrenzen als Hybrid begreift, wie Versatzstücke. Für mich ist jeder Produktionsschritt gleichwertig: Schreiben, drehen, schneiden. In jedem Abschnitt entsteht der Film ganz neu.

Willy Hans (Credit: Locarno Film Festival)

Filmemachen hat einen sehr selbstausbeuterischen Aspekt. Die wenigsten Talente können von ihrem Job leben. Wie ist das bei Ihnen?

Willy Hans: Von meinen Filmen leben kann ich nicht. Ich habe einen Nebenjob beim NDR. Ich will mich aber nicht beschweren, will nicht jammern. Aber das, was an Arbeit in „Der Fleck“ reingeflossen ist, war schon krass. Der Gesamtprozess, von Anfang bis hier zur Premiere in Locarno war schön, aber gleichzeitig auch anstrengend. Den Glauben, dass es beim nächsten Film nicht ganz so prekär wird, verliert man aber nie. Die Hoffnung bleibt. Was wäre denn auch die Alternative?

Sie sind Teil des Künstlerkollektiv Spengemann Eichberg Goldkamp Hans. Was passiert da?

Willy Hans: Wir haben alle zusammen studiert, ein bisschen zeitlich versetzt, und haben uns vor allem im Zuge meiner schriftlichen Abschlussarbeit gut kennengelernt. Neben Kameramann Paul Spengemann und mir sind dies Jan Eichberg, der als Drehbuchautor arbeitet, und Steffen Goldkamp, der wie ich Regisseur ist und unlängst sein Langfilmdebüt fertiggestellt hat. Wir helfen uns gegenseitig, die Hierarchien sind flach, wir wollten unseren Filmen einfach einen Stempel geben können. 

Das Gespräch führte Barbara Schuster