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Kurdwin Ayub: „Locarno ist berühmt für die Liebe zur Filmkunst“

Mit „Mond“, ihrem zweiten Langfilm, wurde Kurdwin Ayub, eine der spannendsten neuen kreativen Stimmen aus Österreich, in den Wettbewerb des Locarno Film Festival eingeladen. Die Weltpremiere ist am 11. August. Wir hatten bereits jetzt das Vergnügen, sie zu befragen: zur Bedeutung der Einladung nach Locarno, der Bedeutung von Festivals allgemein und über den Druck, der auf einem lastet, wenn man mit seinem Debüt („Sonne“) einen solchen Raketenstart hingelegt hat.

Kurdwin Ayub (Credit: Neven Allgeier)

Ihr zweiter Langspielfilm, „Mond“, wurde in den Wettbewerb nach Locarno eingeladen. Herzlichen Glückwunsch erst einmal! Was bedeutet Ihnen diese Einladung? 

Kurdwin Ayub: Es ist immer eine Tortur, wenn man den Film an Festivals ausschickt und auf deren Antwort wartet. Ich darf mich glücklich schätzen, dass Locarno nicht das einzige interessierte Festival war, aber ich habe mich sehr schnell entschieden, dort laufen zu wollen. Das Festival ist berühmt für den Autorenfilm und die Liebe zur Filmkunst. Der Wettbewerb ist sehr stark. Viele meiner Mitstreiter sind preisgekrönt und große Namen des Arthouse Kinos. Man fühlt sich zwar ein wenig klein neben ihnen, aber auch geehrt. 

Welchen Stellenwert hat das Locarno Film Festival? Inwiefern haben Sie es in der Vergangenheit bereits kennengelernt? 

Kurdwin Ayub: In Locarno laufen immer die mutigen Filme, während in Venedig oder Cannes auch Filme eingeladen werden, die auch einen gewissen Glamour mitbringen müssen und die Filmkunst manchmal darunter leidet. Die Berlinale wird gerade umstrukturiert, neue Leiter, neue Leute. Wir werden sehen, wie sich die Festivallandschaft entwickelt.   

In „Mond” geht es um weibliche Emanzipation und Selbstermächtigung, wie Kurdwin Ayub sagt (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

Ihr Langspielfilmdebüt „Sonne“ startete damals ebenfalls prominent, in der Reihe Encounters der Berlinale, wurde dort auch ausgezeichnet und erlebte anschließend einen tollen Festivallauf auf der ganzen Welt mit weiteren Auszeichnungen. Welche Erfahrungen haben Sie hierbei gesammelt? Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Kurdwin Ayub: Ich habe sehr positive Erinnerungen an „Sonne“, den Erfahrungen und den Erfolg, aber dadurch ist auch sehr viel Druck entstanden. Man sagt immer „beim zweiten Film sieht man erst, ob man Filme machen kann“ Ich musste mich also nicht nur wieder, sondern viel mehr beweisen. An den Erfolg von „Sonne“ ranzukommen, ist schwer, auch weil Debütfilme einen anderen Stellenwert im Festivalzirkus haben. Man sucht nach den nächsten Shootingstars und man reißt sich eher um sie, als um den zweiten oder dritten Film. Ich kann nur sagen, den zweiten Film machen, nachdem das Debüt so einen Erflog hatte, ist …echt nicht lustig. Andere meinen, man soll sich glücklich schätzen, aber das mindert den Druck nicht. Man hat sehr große Versagensängste, und das hört nicht so einfach auf. 

Sie arbeiten bei „Mond“ auch wieder mit der Ulrich Seidl Filmproduktion zusammen. Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit beschreiben? Was lernen Sie von Ulrich Seidl?

Kurdwin Ayub: Dramaturgisch und künstlerisch arbeite ich nicht nur mit Ulrich Seidl, sondern auch mit Veronika Franz und Severin Fiala zusammen, da sie auch in der Produktion sind. Sie helfen mir sehr, meine Bücher zu verbessen und können schlaues Feedback zu Schnittfassungen geben. Und trotzdem habe ich unglaublich viele Freiheiten. Ich kann mich richtig austoben mit meinen Ideen. 

„Mond” erzählt von der ehemaligen Kampfsportlerin Sarah, die in Jordanien drei Schwestern einer wohlhabenden Familie trainieren soll (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

„Mond“ haben Sie zu großen Teilen in Jordanien gedreht. Was waren die besonderen Herausforderungen? 

Kurdwin Ayub: Ich war ja sehr oft in Kurdistan und im Irak, habe dort auch gedreht, deswegen fühlte sich Jordanien nicht fremd für mich an. Der Unterschied zum Irak ist, dass Jordanien doch ein wenig liberaler und insgesamt auch sicherer ist. Viele Hollywood-Filme werden dort gedreht. Viele meiner Crew-Mitglieder haben direkt vor „Mond“ an „Dune 2“ gearbeitet. Das fand ich sehr lustig. Ich habe Jordanien jedenfalls lieben gelernt. Ich habe dort Freunde gefunden und möchte meinen nächsten Film wieder in Jordanien drehen. Das Casting dort für „Mond“ war aber sehr herausfordernd. Jedes Mal, wenn wir uns bei Castings in Jordanien für eine junge Frau entschieden hatten, hörten wir danach nichts mehr von ihr. Wir fanden heraus, dass die Schauspielerei, zumindest für Frauen, für viele Familien tabu war. Sie kamen offenbar immer heimlich zu den Castings. Der Knoten ging erst auf, als wir Andria Tayeh als Nour besetzten. Da sie in der arabischen Welt als Model, Influencerin und Darstellerin einer Netflix-Serie ziemlich bekannt ist, sagten die anderen Darstellerinnen nicht nur zu, sondern tauchten dann auch auf. Sie hat wohl den Kampfgeist der jungen Frauen geweckt. Und Andria war großartig. Ihr war die Message des Films von Anfang an wichtig. Alle jordanischen Darstellenden kannten das Buch und verstanden sofort, dass es um weibliche Emanzipation und Selbstermächtigung geht. Das war mir sehr wichtig. Da die Dialoge Großteils improvisiert waren, mussten wir uns gegenseitig vertrauen. 

Nach „Sonne“ und „Mond“ soll „Sterne“ folgen. Hatten Sie von Anfang an eine Trilogie im Kopf? Und unter welcher Headline würden Sie die Filme stellen Als Erzählungen über die Beziehung zwischen Okzident und Orient?

Kurdwin Ayub: Vielleicht ist es auch keine Trilogie, sondern alle Planeten im Sonnensystem? Ich habe immer eine neue Idee, wenn ich das aktuelle Projekt drehe. Wenn ich einen Film fertigstelle, möchte ich sofort mitten im nächsten sein. Für mich ist in dem Moment, in dem der Film fertig wird, das ganze Projekt zu Ende. Er hat zwar seine Premieren und seine Festivaleinladungen, aber für mich ist der Film dann uninteressant. Bei der Weltpremiere fühlt er sich schon so verstaubt an. Mir hat der Prozess, einen Film zu schaffen, immer mehr Spaß gemacht. Und wenn es fertig geschaffen wurde, ist es halt fertig. 

Welche Art von Filmen liegt Ihnen am Herzen? 

Kurdwin Ayub: Filme, die einen Tage danach nicht loslassen können. 

Die Fragen stellte Barbara Schuster