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REVIEW FESTIVAL: „Born to Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf”

Umfassende Doku über die Rocklegende Steppenwolf und ihre Mitglieder, von denen zwei deutschstämmig sind und fließend deutsch sprechen.

John Kay von Steppenwolf im Jahr 2023 (Credit: © Dustin Rabin / Lunabeach TV und Media & Rezolution Pictures)

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland / Kanada 2024; Laufzeit: 100 Minuten; Regie & Drehbuch: Oliver Schwehme; Verleih: MFA+; Start: 4. Juli 2024

REVIEW:
In der Erstausgabe des Rock-Lexikon von Siegfried Schmidt-Joos und Barry Graves aus dem Jahr 1973 werden die Dinge immer schnell auf den Punkt gebracht. „Das Quintett spielte eine kommerziell attraktive Mixtur aus Chuck Berrys fetzigem Jukebox-Pop und dem sadomasochistischen Hard Rock von Velvet Underground“, steht da im Eintrag zu Steppenwolf. „Easy-Rider-Typen, Hell’s-Angels-Schläger und Hippie-Revoluzzer fühlten sich gleichermaßen angezogen von dem ,romantisch-reaktionären Repertoire‘ (Rolling Stone) der Gruppe, die mit ,Born to Be Wild‘ einen Klassiker des ,Motorpsycho-Rock‘ (Zygote) im Programm hatte, 1968, auf dem Höhepunkt der Drogeneuphorie, dem ,Pusher‘ den Kampf ansang und das Amerika der Nixon-Regierung als ,Monster‘ brandmarkte.“ Das klingt gut und hilft auch bei der schnellen Einordnung, kratzt aber nur an der Oberfläche. „Born to Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“ von dem deutschen Filmemacher Oliver Schwehm („Fly Rocket Fly – Mit Macheten zu den Sternen“) geht in die Tiefe. Weil sich eine Karriere zwar in ein paar markigen Sätzen zusammenfassen lässt, die verblüffend prägnant sein können, aber vieles eben nicht erzählen, vieles ausklammern, nicht erfassen können, was eine Band ausmacht/ausgemacht hat. Der Film ist erschöpfend und faszinierend. Selbst eingefleischte Fans von Steppenwolf – es gibt sie unverändert – erfahren vielleicht mehr, als sie jemals wissen wollten.

Nun muss man bei der historischen Einordnung der Band kritisch sein. Sie hat mit „Born to Be Wild“ eine der bleibenden Rockhymnen geschaffen und Dennis Hoppers Counterculture-Klassiker „Easy Rider“ geprägt, sie hat mit der Textzeile „Heavy metal thunder“ den Begriff für ein ganzes Musikgenre geprägt, sie verkaufte Millionen von Alben und füllte große Hallen. Und doch stand Steppenwolf, benannt nach dem Roman von Hesse selbstverständlich, immer im Schatten der großen Band mit den lauten Gitarren, überragt von Led Zeppelin, Grand Funk Railroad oder Deep Purple. Ein bisschen korrigiert der Film den Blick, den man auf Steppenwolf hatte. Das gelingt ihm neben tollem Livematerial und Clips aus Fernsehauftritten mit großartigem Super8-Film-Material offenkundig aus dem Privatfundus von Bassist Nick St. Nicholas, der Paradiesvogel der Band im krassen Gegensatz zu dem grimmigen Frontmann John Kay mit der ewigen Sonnenbrille, ein Man in Black des Psychedelic Blues, wie ein unrasierter Jim Morrison. Das gelingt ihm mit informativen Interviews mit Weggefährten und Peers. Alice Cooper und Klaus Meine verleihen Glamour, Cameron Crowe und Bob Ezrin die wichtigen Insider-Informationen und  -am besten und wichtigsten – Jello Biafra von den Dead Kennedys und Dale Crover von den Melvins den Blick der Fans: Vor allem Crover ist hinreißend mit seinem enzyklopädischen Wissen auch über die obskursten Songs der Band (wegen ihm höre ich aktuell das späte Album „Skullduggery“ von 1976 – gar nicht schlecht). 

Das gelingt dem Film aber vor allem mit der unglaublichen Geschichte der Band: Sowohl John Kay wie Nick St. Nicholas sind gebürtige Deutsche, sprechen auch heute noch fließend Deutsch. Ihre Herkunft ist wie eine Klammer für den Film, immer wieder kehrt Oliver Schwehm dazu zurück. John Kays Texte drehen sich immer wieder um die Vergangenheit im Deutschland unmittelbar nach dem Krieg, die entbehrungsreiche Zeit: So ist „Born to Be Wild“ auch eine Auswanderergeschichte, die zwischen den großen Antipoden Kay und St. Nicholas oszilliert, aber auch die anderen überlebenden Mitglieder der Band in die Erzählung einbezieht, insbesondere Mars Bonfire, der den Text von „Born to Be Wild“ geschrieben hat. Seine Erzählungen sind ebenso spannend wie die Einblicke von John Kays Tochter Shawn und seiner Ehefrau Jutta, mit der er seit fast 60 Jahren verheiratet ist, eine weitere Deutsche in diesem verblüffenden Narrativ. Natürlich spielen auch die anderen wichtigen Songs von Steppenwolf eine Rolle: „Sookie Sookie“, „The Pusher“, „Magic Carpet Ride“, „Monster“. Aber am Ende kommt der Film doch immer wieder zurück zu dem Lied, das ihm seinen Titel gegeben hat. Segen und Fluch zugleich. Und immer noch verdammt gut, unkaputtbar, zeitlos, feuert alle Knarren gleichzeitig und explodiert ins All.

Thomas Schultze