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REVIEW CANNES: „Rumours“

Hinreißend-absurde Politgroteske (mit Cate Blanchett als deutscher Kanzlerin) über eine Treffen der G7 in Deutschland, das in einer bizarren Nacht voller Chaos und Ungewissheit mündet.

Guy Maddins zusammen mit Evan und Galen Johnson gedrehte verrückte Komödie „Rumours“ (Credit: 2024 Rumours)

CREDITS:
Land/Jahr: Kanada, Deutschland 2024; Laufzeit: 118 Minuten; Regie: Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson; Drehbuch: Evan Johnson; Besetzung: Cate Blanchett, Roy Dupuis, Nikki Amuka-Bird, Charles Dance, Denis Ménochet, Rolando Ravello, Takehiro Hira, Zlatko Buric, Alicia Vikander

REVIEW:
Cate Blanchett als deutsche Kanzlerin namens Hilda! Mit den Kostümen von Angela Merkel und dem Aussehen von Lady Diana. Muss man erst einmal bringen. Ist aber keine Überraschung im Schaffen von Guy Maddin und seinen beiden Mitregisseuren Galen und Evan Johnson, deren Spezialität entfesselt bizarre Komödien ohne Netz und doppelten Boden sind. Und die sieben Jahre nach ihrem Hitchcock-Pastiche „The Green Fog“ wieder die Muße und genügend überbordende Ideen gefunden haben für einen neuen Spielfilm, der als kanadisch-deutsche Koproduktion (deutscher Produzent: Philipp Kreuzer mit seiner Maze Pictures) realisiert wurde und in der Tradition steht von „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ oder „The Bed-Sitting Room“ und wie die anderen apokalyptischen Politsatiren fünf Minuten vor dem Ende der Welt heißen mögen. 

Ein bisschen entdeckt man vielleicht auch „Mars Attacks!“, kombiniert mit dem begnadeten Wahnsinn der Politschwänke eines Armando Iannucci. Aber vor allem entdeckt man viel Maddin, Johnson und Johnson. Will heißen: „Rumours“ ist ein Original, voller aberwitziger und irrsinniger Einfälle, der von den Führern der Welt erzählt, aber so wenig an Politik interessiert ist, wie sie es zu sein scheinen. Nur ein weiterer Summit, immer die sattsam bekannten Platitüden, jedes Mal ein bisschen anders arrangiert, damit’s neu aussieht. Mit den großen politischen Reden, das ist ihnen bewusst, kann man eh nicht konkurrieren. So ist die Stimmung beim G7-Treffen auf Schloss Dankerede („Danke“ und „Rede“, richtig?) geprägt von Routine und auch etwas Langeweile, als sich die Staatschefs von Gastgeber Deutschland, Frankreich, den USA, Italien, Japan, England und Kanada treffen, um daran zu arbeiten, den Karren für die Welt aus dem Dreck zu fahren. „Du kannst nicht die Probleme der Welt lösen“, gibt einer später dem Premier von Kanada als gutgemeinten persönlichen Ratschlag, als der eine Sinnkrise erlebt. „Er kann ja nicht einmal die Probleme Kanadas lösen“, meint ein anderer bissig. 

Aber immerhin soll es eine gemeinsame provisorische Erklärung geben, nachdem man sich erstmals getroffen und für ein gestelltes Foto mit einer gerade auf dem Gelände ausgegrabenen Moorleiche zusammengefunden hat. Darum wird es gehen im Verlauf der kafkaesken Handlung, auf immer neue Anläufe, diese Erklärung doch noch geschrieben zu bekommen in einer entlegenen Gartenlaube, während um die Sieben die Welt unterzugehen droht. Alsbald realisieren sie, dass sie isoliert sind, nunmehr allein auf dem riesigen Anwesen, den Naturgewalten ausgeliefert und den übernatürlichen obendrein. Merkwürdige Dinge geschehen in dieser Sittenkomödie, die auch Farce und Satire ist: der Versuch, sich in der Nacht im Wald zu einer kleinen Anlegestelle durchzukämpfen, wird für die hilf- und kopflosen Staatschefs zum Spießrutenlauf. Die Moorleichen erwachen zu Leben, ein überdimensioniertes Riesenhirn wie aus einem Corman-Film gibt Rätsel auf, irgendwann steht der Wald in Flammen. Gibt es eine Rettung? Oder wird es wenigstens gelingen, die gemeinsame Erklärung abzugeben?

Die Beteiligten haben sichtlich Spaß an dem Irrwitzszenario. Denis Ménochet, Charles Dance (der Brite als US-Präsident – sehr lustig!), Nikki Amuka-Bird und Rolando Ravello gehören dazu. Alicia Vikander und Zlatko Buric schauen auf willkommene Gastauftritte vorbei. Geschliffener Humor und derbe Gags wechseln sich ab – man hat nicht gelebt, bis man gesehen hat, wie eine Gruppe von Moorleichen mit ihrem Sperma ein Feuer löscht. Am Schluss darf man miterleben, wie die berühmteste Textzeile des weltweit bekanntesten Kanadiers Eingang in die Weltpolitik findet, Seite an Seite mit der Rede von Gettysburg sozusagen. Hey hey, my my, world cinema will never die, will man rufen. Und mag Rom noch so sehr brennen.

Thomas Schultze