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Neele Leana Vollmar zu „Call Me Levi“: „Eine waghalsige, aber aufregende Reise“

Und noch ein Highlight in der Reihe „Neues deutsches Fernsehen“: Neele Leana Vollmar stellt zwei Folgen aus ihrem Vierteiler „Call Me Levi“ vor, der für die Münchner Lieblingsfilm entstand. Wir haben uns mit der Filmemacherin über das Projekt, Erfolg und das Geheimnis der Blue Jeans unterhalten. 

Neele Leana Vollmar, Filmemacherin (Credit: Oliver Oppitz)

Gratulation zur Einladung auf das Filmfest München. Dort werden Sie die Folgen 3 & 4 Ihres Vierteilers „Call Me Levi“ zeigen. Wir kam es zu der Entscheidung, die ersten beiden Folgen auszulassen?

Neele Leana Vollmar: Dahinter steht die Idee, den Zuschauern auf dem Filmfest die gesamte Geschichte mit auf den Weg geben zu können. Wir empfanden es als unbefriedigend, lediglich die ersten beiden Folgen zu zeigen, da die nächste Chance, das Ende der Serie zu sehen, zur Ausstrahlung um Weihnachten sein wird. Ein halbes Jahr Wartezeit ist dann doch etwas viel.  Also haben wir die ersten beiden Folgen in einer Mischform aus Trailer und Recap zusammengefasst, um die Figuren einzuführen und die wichtigsten Handlungsstränge der ersten zwei Episoden zu etablieren. 

Es ist eine ambitionierte Geschichte, die viel mehr noch zu erzählen hat, als wie es zur Blue Jeans kam – was natürlich auch nicht schlecht ist. Was hat Sie gereizt, was hat Sie gepackt?

Neele Leana Vollmar: Was mich an dieser Geschichte fasziniert hat, ist, dass es neben Levi Strauss noch einen zweiten Mann gab: Jacob Davis, ein Schneider aus Riga. Er war es, die der sogenannte Blue Jeans erfunden hatte, der die Nähte des festen Denim Stoffes mit Nieten kombinierte und sie damit so strapazierfähig machte wie keine andere Hose. Levi Strauss war dafür verantwortlich, die Finanzierung für ein Patent zu sichern. Es war also eine Zusammenarbeit von zwei jüdischen Immigranten, die in der Ferne ihr Glück suchten. Doch nur einer der beiden wurde berühmt: Levi Strauss. Das hat mich interessiert. 

Der eine wird reich und unsterblich, der andere lebt ein bescheidenes Leben und wird vergessen. 

Neele Leana Vollmar: Bescheiden musste Jacob Davis nicht leben. Nach der Patentzusage arbeitete er bis zu seinem Lebensende in der Firma Levi Strauss & Co, war für die Produktion der Hosen hauptverantwortlich. Doch seinen Namen kennt heute keiner. Ich habe angefangen, Bücher über Menschen zu lesen, die nach Erfolg streben. Warum gelingt es dem einen und dem anderen nicht? In „Call Me Levi“ stehen zwei jüdische Männer im Fokus, die beide aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen und sich einen neuen Platz in der Welt gesucht haben. Levi ist ein ehrgeiziger, verschlossener Mann, der ungerne die Kontrolle verliert. Gefühle zu zeigen, ist nicht seine Stärke. Im Gegensatz dazu steht Jacob Davis. Er ist auf der Suche nach dem Glück, ein offener und warmherziger Mensch, der auf andere zugeht, sie umarmt, schnell ins Herz schließt. Die Kombination aus diesen beiden so extrem unterschiedlichen Männern war der Schlüssel zum Erfolg. Erfolg für Levi Strauss als Geschäftsmann, Erfolg für Jacob Davis als Erfinder. Und ich bin mir sicher, dass beide glücklich geworden sind. 

Wie gut lässt sich eine solche Geschichte recherchieren? Wie authentisch kann man sein, wie authentisch will man sein?

Neele Leana Vollmar: Unabhängig davon, wie realistisch später das Abbild, das man in einem Film zeigen möchte, sein soll, steht für mich an erster Stelle die Recherche. In unserem Fall gab es tatsächlich nur einige wenige Bücher über Levi Strauss. Was für mich aber eine wichtige Anlaufstelle war, ist das Levi Strauss Museum in Buttenheim, dem Geburtsort von Levi Strauss. Die Museumsleiterin Dr. Tanja Roppelt hat uns in den ersten Recherchen sehr unterstützt, uns mit Material versorgt und stand immer wieder für Rückfragen bereit. Zudem ist sie auch eng mit der Firma in San Francisco verbunden. So haben wir uns Monate vor dem Dreh mit den vorhanden Materialen beschäftigt und versucht, uns ein genaues Bild über die Geschichte von Levi Strauss zu machen. Doch viele Fragen bleiben trotzdem unbeantwortet, was vor allem daran liegt, dass durch das große Erdbeben in San Francisco 1906 fast alle Unterlagen der Firma verbrannt sind. Viele Aspekte seines Lebens sind also nicht belegt. Es gibt Hypothesen, Meinungen, Ideen, aber so schlüssig man sie auch finden mag, beweisen lassen sie sich nicht. 

Ein deutscher Jude im Wilden Westen: Vincent Redetzki in „Call Me Levi“ (Credit: Martin Rattini / Lieblingsfilm)

War das ein Problem für Sie?

Neele Leana Vollmar: Nein. Ich habe es sogar eher als eine Chance gesehen. Ziel war es nie, ein historisch korrektes Abbild zu erschaffen. Darum ging es mir nicht. Mich hat die Geschichte dieser beiden Männer interessiert. Das war mein Anhaltspunkt. Alle Figuren in unserem Film haben reale Vorbilder, die mal mehr, mal weniger von den Figuren im Film abweichen. Ich wollte Protagonisten erzählen, die uns berühren, die keine Distanz zu den Zuschauern zulassen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, eine moderne Sprache zu wählen, Kostüme zu nutzen, die die Figuren zum Leben erwecken – unabhängig davon, ob sie historisch korrekt sind. Ich habe bewusst in allen Bereichen Raum für Interpretationen gelassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beziehung zwischen Levi und Jude. Mir war es wichtig, die Frage, ob Levi in Jude verliebt war, unbeantwortet zu lassen. Darum geht es auch nicht in dieser Beziehung. Jude ist es gelungen, in Levi etwas zu aufzuwecken. Diese Faszination war für mich deren Verbindung. Wie man in einer Romanverfilmung unmöglich den ganzen Roman abbilden kann, muss man auch bei der Nacherzählung eines realen Lebens eine Entscheidung treffen, worauf man den Fokus legen will. 

Zumal sie San Francisco auch nicht vor Ort erzählen konnten. Wie kann man das Nordamerika dieser Zeit in Italien entstehen lassen?

Neele Leana Vollmar: Erst einmal hat das ganz einfach budgetäre Gründe: Aus reinen deutschen Fördergeldern hätten wir unser Projekt leider nicht finanzieren können. So kamen Italien und Belgien als Finanzierungspartner dazu. Der Dreh in Italien stellte sich dann für uns als ein großer Zugewinn heraus. All diese Motive hätten wir in Deutschland tatsächlich nicht finden können. Angefangen hat unsere Suche vor fast zwei Jahren in Triest. Dort gibt es den bekannten großen Hafen, der seit Jahren leer steht. Ein für uns sehr attraktives Motiv, um San Francisco um 1850 bis 1870 zu erzählen. Doch aufgrund von bevorstehenden Bauarbeiten mussten wir sehr kurzfristig die Region wechseln und sind ins Piemont umgezogen.

San Francisco im Piemont?

Neele Leana Vollmar: Ja. Ich war zuerst sehr skeptisch. Wie wollen wir im Piemont eine Hafenstadt erzählen? Doch dann haben wir schnell erkannt, welche Möglichkeiten diese Region zu bieten hat. Unser logistischer Mittelpunkt war Turin. Von dort aus sind wir dann wochenweise Richtung Norden und Süden gewandert. Biella war u.a. für uns ein wichtiger Anlaufpunkt. Eine Stadt, die für ihre Wollindustrie bekannt ist und in der viele, leere Fabrikhallen zu finden sind. Eine schöner als die andere! Auch Richtung Süden in der Stadt Ormea wurden wir fündig: Hier haben wir ein wunderbares Gelände gefunden, in der wir unseren Levi Strauss Laden erzählt haben. Nur das Meer mussten wir uns beim Dreh noch vorstellen…

„Call Me Levi“ ist Ihre vierte Zusammenarbeit mit Lieblingsfilm. Was zeichnet die Arbeit mit dieser Produktionsfirma aus? Und weil diese Serienarbeit doch auch ein ganz anderer Stoff als die drei Familienfilme davor ist, war denn auch die Zusammenarbeit diesmal anders?

Neele Leana Vollmar: Filmemachen ist Teamarbeit und auch Lebenszeit. Ich möchte Menschen an meiner Seite haben, die ich schätze und mit denen ich gerne viel Zeit verbringe. Das ist auch der Grund für die lange Zusammenarbeit mit der Lieblingsfilm. Dennoch ist jedes Projekt eine neue Herausforderung. Sei es Kino oder Fernsehen. Bei „Call Me Levi“ gab es bis zu Drehschluss große Finanzierungslücken, mit denen wir umgehen mussten. Das war für alle nicht immer einfach und hat viel Kraft gefordert. Und umso wichtiger ist es in solchen Fällen, ein Team zu haben, dem man vertraut und das sich gemeinsam mit einem auf diese manchmal etwas waghalsige, aber aufregende Reise macht.

Screening-Termine auf dem Filmfest München:
Do, 04. Juli – 17:00 ASTOR im Arri (Nach dem Film: Q&A mit Neele Leana Vollmar und Team)
So, 07. Juli – 15:00 HFF Audimax (Nach dem Film: Q&A mit Neele Leana Vollmar)

Das Gespräch führte Thomas Schultze.