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Hannu Salonen zu „Turmschatten“: „In die Vollen gehen“

Mit „Turmschatten“ ist Regisseur Hannu Salonen mit der Münchner The Amazing Film Company ein fiebriger Sechsteiler nach Romanvorlage von Peter Grandl gelungen, über den man reden wird und der morgen auf dem Filmfest München Weltpremiere feiert. Wie der Filmemacher dazu steht, verriet er uns im Interview.

Filmemacher Hannu Salonen (Credit: A. Stertzik)

Was zeichnet diesen Stoff aus, was macht ihn anders?

Hannu Salonen: Mir gefiel, dass „Turmschatten“ in die Vollen geht, nicht um den heißen Brei herumredet. Mich faszinieren Geschichten, die Brennstoff in sich haben. Wenn man es hinkriegt, dann kann einem etwas Außergewöhnliches gelingen. Aber es ist auch ein Stoff, bei dem man sich genau überlegen muss, wie man ihn erzählen will und erzählen kann, wie man damit umgeht. Eine, und das stimmt gewiss, ist aber auch ihr ureigener Reiz, spekulative Geschichte über Nazis und Juden. Das ist eine große Herausforderung. Ich wollte mich nicht zufriedengeben mit Abziehbildern, mit Vorurteilen, mich interessieren immer die Menschen, so sehr ich ihre Handlungen oder Weltsicht auch ablehnen mag. Ich muss auch sie studieren, genau betrachten und nicht einfach in eine Schublade stecken. So leicht darf ich es mir als Filmemacher nicht machen. So leicht sollte man es sich auch als Mensch nicht machen. Eine zweite Herausforderung war diese ungeheure Fiebrigkeit, die dem Stoff innewohnt. Die Handlung ist auf grob 24 Stunden verdichtet. Es passiert wahnsinnig viel, viel davon gleichzeitig an verschiedenen Schauplätzen. Die Handlung spitzt sich immer wieder extrem zu. Es musste alles passen, es musste klick machen. 

Aber wie Sie selbst sagen: eine sehr heikle Angelegenheit…

Hannu Salonen: Wir haben nicht leichtfertig gehandelt, alles war wohl überlegt und durchdacht. Wir wollen Schubladendenken durchbrechen. Unsere Hauptfigur ist ein Jude, aber unsere Darstellung ist vielleicht ganz anders, als man es sich erwarten würde. Er ist kein Unschuldslamm, was er macht, ist grenzwertig, überschreitet bisweilen auch Grenzen. Wir haben uns davor intensiv abgestimmt, waren auch im Gespräch mit Paramount Israel, wo man uns klar sagte, dass niemandem geholfen sei, jüdische Figuren als übertrieben barmherzig oder edel darzustellen. Wir wollen nicht wirken wie Unschuldsengel, war die Ansage. Das hat mich ermutigt. Ich bin Humanist, und ich betrachte alle Figuren in meinen Arbeiten primär erst einmal als Menschen. Das bin ich ihnen schuldig. 

Kannten Sie den Roman von Peter Grandl schon vor dem Projekt?

Hannu Salonen: Ich hatte nur von ihm gehört. Als ich den Anruf von Thomas Peter Friedl erhielt, ob ich mir vorstellen könnte, bei „Turmschatten“ Regie zu führen, habe ich dann auch gelesen. Ich fand spannend, dass Peter Grandl große Unterstützung für sein Buch bekommen hatte von Menschen wie Charlotte Knobloch und der jüdischen Gemeinde allgemein. Ein Shitstorm, wie man ihn vielleicht hätte vermuten können, war ausgeblieben. Das gab mir zusätzlichen Mut, die Miniserie ebenfalls selbstbewusst zu erzählen, dass es sich lohnen würde, mutig zu sein. 

Als Zuschauer wird man von der Wucht des Erzählten förmlich überrumpelt. Wie haben Sie das ausgearbeitet?

Hannu Salonen: Wir gehen erst einmal voll auf die Zwölf, das stimmt. Das mag ich eigentlich gerne, gleich einen Wirkungstreffer landen, mit voller Wucht durchstarten. Wichtig war mir, es nicht dabei zu belassen. Ich wollte mich den Figuren widmen, wollte mehr über sie herausfinden und das Publikum daran teilhaben lassen. Das war für mich von elementarer Bedeutung, absolut entscheidend. Nur um der Provokation halber hätte ich „Turmschatten“ nicht gemacht. Da muss schon mehr kommen. Ich wollte innerhalb der Parameter eines spannenden Politthrillers wissen, wie ein schlauer und gebildeter Mann wie Karl Rieger, der zwar fiktiv ist, aber auf einer realen Person basiert, ein Holocaustleugner sein kann? Weil es mir einfach nicht in den Kopf will, wie einem solchen jungen Menschen solche Worte über die Lippen kommen können. Das war harte Arbeit für mich, aber es war auch Arbeit, die mir Spaß gemacht hat, die ich als sehr erfüllend empfunden habe. Es war interessant, ich habe tief gebohrt, wir haben uns nichts geschenkt, es war eine Gratwanderung. Und ich hoffe, dass ich der Sache nähergekommen bin und vielleicht auch einen möglichen Ausweg aufzeige.  

(Credit: Jürgen Olczyk / Paramount + The Amazing Film Company)

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Sie haben nach „Arctic Circle“ zum zweiten Mal für einen Streamer gearbeitet. War die Arbeit eine andere als für einen regulären Sender?

Hannu Salonen: „Turmschatten“ behandelt ein sehr politisches Thema, und er behandelt es auf sehr direkte und unmittelbare, bisweilen radikale Weise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Projekt ohne Weiteres bei jedem deutschen Sender auf diese Weise zustande gekommen wäre. Bei einem internationalen Streamer, wo ein solcher Stoff dann letztendlich in den USA abgesegnet werden muss, hat man da weniger Berührungsängste. Man kann den Stoff durchaus als heißes Eisen empfinden. Deshalb weiß ich es wohl zu schätzen, dass wir es mit Partnern zu tun hatten, die nicht vor einem solchen Stoff zurückgeschreckt sind, die ihn nicht als zu heiß empfunden haben. Als Finne habe ich selbst einen anderen Zugang zu dieser Art von Stoff. Den deutschen schweren Rucksack trage ich nicht. Es war uns wichtig, gemeinsam einen mutigen Zugang zu finden, ohne erhobenen Zeigefinger. 

Wie gingen Sie mit der Nachricht um, dass Paramount+ alle deutschen Projekte streichen würde, „Turmschatten“ also keine Heimat mehr hat?

Hannu Salonen: Wir haben ja auch Glück gehabt: Wir konnten die Serie realisieren, wir haben die Arbeit daran abgeschlossen. „Turmschatten“ gibt es. Wirklich schrecklich wäre es gewesen, wenn wir mitten in der Arbeit hätten abbrechen müssen, das Projekt nicht hätten fertigstellen können. So gibt es die Aussicht darauf, dass „Turmschatten“ ein Zuhause findet. Darauf setze ich. Es ist eine kommerzielle Produktion, ein spannender Thriller, er hat Wucht und Kraft und eine, wie ich finde, Qualität. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir nicht die Spucke weggeblieben wäre, als Thomas Peter Friedl anrief und davon erzählte, dass Paramount+ die deutschen Aktivitäten zurückfährt. Jetzt einmal abwarten. Dann sehen wir, ob Bewegung in die Sache kommt. Es wäre schön, ein internationales Zuhause zu finden, denn mit dem internationalen Publikum im Auge haben wir das Projekt aus Deutschland heraus realisiert. 

Jetzt feiern Sie erst einmal Premiere auf dem Filmfest München. 

Hannu Salonen: Eine tolle Sache, darauf freue ich mich sehr. Und natürlich ist mit dieser Premiere die Hoffnung verbunden, ein Momentum entstehen zu lassen, dass „Turmschatten“ doch noch bald kommerziell ausgewertet werden kann. Das wäre mir für dieses Projekt wichtig. Sehr wichtig.

Das Gespräch führte Thomas Schultze.