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CineMerit Award für Jessica Lange: Lebende Legende

Was für eine Karriere, mittlerweile fast fünf Jahrzehnte, in denen Jessica Lange, doppelte Oscargewinnerin, fünffache Globe-Gewinnerin, dreifache Emmy-Gewinnern, von einer Bravourleistung zur nächsten eilte. Der CineMerit Award ist eine weitere Zierde – wie Jessica Lange eine Zierde für das Filmfest München ist. Eine Würdigung. 

Jessica Lange in „Frances“ (Credit: Filmfest München)

„Ich habe mein Leben lang Menschen beobachtet und wurde selbst mein Leben lang beobachtet“, sagt die Titelfigur des Films „The Great Lillian Hall“ an einer Stelle. Jessica Lange spielt diese berühmte Bühnenschauspielerin, First Lady des amerikanischen Theaters, die sich auf den letzten Auftritt ihrer Karriere vorbereitet, und bis zu einem gewissen Punkt wirkt es, als würde sich die 75-Jährige damit selbst ein Denkmal setzen. Jessica Lange ist wie Lillian Hall eine lebende Legende. Sie hat mit Martin ScorseseSydney PollackTony RichardsonBob RafelsonCosta-Gavras gearbeitet und immer wieder am Broadway. Sie wurde unter anderem mit zwei Oscars, fünf Golden Globes, drei Emmys und einem Tony Award ausgezeichnet. Allein für die Serie „American Horror Story“ erhielt sie in den letzten Jahren zehn Nominierungen, und ihre eigene Biografie liest sich wie der Stoff für eine Ryan-Murphy-Show. Sie war eine Hippie-Intellektuelle aus dem ländlichen Minnesota, zog als Kunststudentin in den 1970ern durch die USA und Europa, lernte Pantomime bei Marcel Marceaus Lehrer Étienne Decroux in Paris und Tanz in New York. Als Dino DeLaurentis eine Schönheit für sein „King Kong“-Remake suchte, wandte er sich an die Modelagentur, bei der Lange unter Vertrag stand, wenig später wurde sie von einer mechanischen Affenhand auf die Titelseite des „Time Magazine“ gehievt und erhielt für ihr Leinwanddebüt den Golden Globe als beste Nachwuchsdarstellerin.

Nachdem einige Kritiker sie als Sexbombe abtaten und ihr Interesse am Schauspielruhm im Keim erstickten, lockte Bob Fosse sie mit dem Part des „Todesengels“ in seinem Musical „Hinter dem Rampenlicht“ zurück vor die Kamera. Es folgte eine ikonische Hauptrolle, eine Oscar-Nominierung nach der anderen. Sie war Jack Nicholsons Objekt der Begierde in „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, herzzerreißend als tragischer Hollywoodstar Frances Farmer in „Frances“, zum Verlieben im Welterfolg „Tootsie“, für den sie ebenso einen Academy Award gewann wie später für ihre hypnotische Performance als manisch-depressive Ehefrau eines Army Majors in „Operation Blue Sky“. Sie brillierte an der Seite ihres Partners Sam Shepard in dem Familiendrama „Country“, als Anwältin und Tochter eines Kriegsverbrechers im Justizthriller „Music Box“, und sie verwandelte sich in „Sweet Dreams“ mit einschüchternder Präzision in die Countrysängerin Patsy Cline. Stets gelang es ihr – der körpersprachlichen Ausbildung sei Dank – vor allem über Bewegungen, Gestik, Ausdrucksweisen und allen möglichen Südstaatendialekten ein Gefühl für ihre Figuren zu finden. Kein Genre blieb ihr fremd, oft waren es Biopics, für die sie akribisch in das Leben realer Persönlichkeiten eintauchte, und es gibt wohl keine andere, die so häufig die Seele anderer großer Schauspielerinnen vor der Kamera erforscht hat wie Jessica Lange.

Dass auf den gefeierten ersten Akt ihrer Karriere ab Mitte der 1990er-Jahre ein klassischer Durchhänger folgte, in dem sie in wenigen Kinorollen (Tim Burtons „Big Fish“, Jim Jarmuschs Broken Flowers“, Wim Wenders’ „Don‘t Come Knocking“), hin und wieder im Fernsehen und am Broadway zu sehen war, erklärte sie selbst damit, dass sie lieber bei ihren drei Kindern sein wollte, als in einem Trailer in der Pampa zu sitzen. „Grey Gardens“, das preisgekrönte HBO-Drama über die exzentrischen Cousinen von Jackie Kennedy, brachte sie 2009 zurück ins Rampenlicht und ihren ersten Emmy Award. Von da an inszenierte Serienschöpfer Ryan Murphy den dritten Akt ihrer Laufbahn: Sie prägte die ersten vier Staffeln von „American Horror Story“ mit kultigen Diven und Dialogen, bevor sie in „Feud: Bette and Joan“ neben Susan Sarandons Bette Davis deren Erzfeindin Joan Crawford verkörperte. Nach wie vor steht sie in acht Shows pro Woche auf der Bühne, zuletzt in „Mother Play“, in dem sie die Matriarchin einer dysfunktionalen Familie über den Zeitraum von vier Dekaden spielt, als gäbe es für sie nicht einmal Altersgrenzen. Sie sieht immer noch aus wie a million bucks, ist immer noch eine Ausnahmeerscheinung im Filmgeschäft, ein Star mit der Seele einer Künstlerin. „Solche wie sie“, heißt es an einer Stelle in „The Great Lillian Hall“, „werden heute nicht mehr gemacht“. Großartige Jessica Lange.

Corinna Götz