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REVIEW FILMFEST HAMBURG: „Kneecap“

Rasend witzige Fiktion im Stil von „Trainspotting“ über die real existierende irische Hiphop-Gruppe Kneecap, die mit Songs in irischer Sprache die Welt erobert. 

CREDITS:
Land / Jahr: Irland 2024; Laufzeit: 105 Minuten; Regie: Rich Peppiatt; Drehbuch: Rich Peppiatt, Móglaí Bap, Mo Chara, DJ Próvai; Besetzung: Móglaí Bap, Mo Chara, DJ Próvai; Verleih: Atlas Film GmbH / Die FilmAgentinnen GmbH; Start: 30. Januar 2025

REVIEW:
Jedes irische Wort sei eine Kugel, die in Richtung England gerichtet ist. Sagt der Papa von Mo Chara, gespielt in einem engagierten Gastauftritt von Michael Fassbender mit einem Zwinkern in Richtung „Hunger“, ein notorischer IRA-Aktivist, bevor er spurlos von der Landkarte verschwindet, tot sagen die einen, untergetaucht die anderen, aber auf jeden Fall weg. Oder wie Mo selbst in seinem oft launigen Kommentar aus dem Off erklärt: „Es gibt 80.000 Menschen in Irland, die von Geburt an Irisch reden. Nur 6000 leben im Norden Irlands. Drei von uns sind Rapper geworden. Ich weiß nicht, ob wir wegen unseres Talents populär geworden sind oder ob wir einfach nur an der Reihe waren. Es ist merkwürdig, auf einmal gesehen zu werden, wenn man aus einem Ort kommt, der niemals wollte, dass du Scheiße nochmal existierst.“ Das ist schon einmal eine klare Standortbestimmung, worum es geht in „Kneecap“, dem neuen Film von Rich Peppiatt

„Kneecap“ von Richard Peppiatt (Credit: Filmfest Hamburg)

Um die irische Sprache, die so rar ist, dass es gelungen ist, als irische Einreichung um eine Nominierung für einen Auslandsoscar ins Rennen gehen zu können – was im realen Leben schon gleich mal dem anarchistischen Humor entspricht, der dem Film seinen Zündstoff gibt. Und um Kneecap, ein real existierendes Trio von Tunichtguten, die als West-Belfasts Antwort auf die Sleaford Mods (so ungefähr Daumen mal pi) gerade für ziemlich viel Furore sorgen mit ihren in irischer Sprache vorgetragenen Raps, begleitet von pumpender Musik von DJ Próvai, der ziemlich viel Prodigy und geschmeidigere Acts der Brit-Hop-and-Amyl-House-Ära (Lionrock, Leftfield, Fatboy Slim) gehört hat und den man auf Gruppenfotos immer leicht daran erkennt, dass er derjenige ist, der eine Balaklava in den Farben der irischen Flagge über den Kopf gezogen hat. „Kneecap“ erzählt jetzt die Geschichte der Band, erhebt aber keinerlei Anspruch auf Richtigkeit, sondern ist eher – und das ist viel unterhaltsamer- der Versuch, eine filmische Entsprechung zu finden für die kehlige Rowdymucke der Jungs mit ihren Schmähsongs über die britischen Besatzer, die in jeder Lebenslage gut kommen, ganz besonders aber, wenn man sie in einem Fußballstadion mit 10.000 anderen gröhlen kann. Oi Oi Oi meets Run DMC, Selbstbestimmung durch Hiphop. 

„Kneecap“ von Richard Peppiatt (Credit: Irish Film & Television Academy)

Was eine zugegeben etwas umständliche Umschreibung dafür ist, dass „Kneecap“ zwar im realen Leben fußt und die realen Kneecap in den Mittelpunkt rückt, aber vor allem eine launige, respektlose Sause sein will, die an das Neue Britische Befreiungsschlagkino Mitte bis Ende der Neunziger erinnert: Guy Ritchie würde einem einfallen als Referenz, „Trainspotting“ (minus die harten Drogen) noch viel mehr, aber auch so etwas vergessene Perlen wie „Twin Town“ (mit dem sehr, sehr jungen Rhys Ifans an der Seite seines Zwillingsbruders Llyr) „Human Traffic“ oder „The Acid House“ (die zweite relevante Irvine-Welsh-Verfilmung): Choose Life. Choose a job. Choose a career. Choose a family. But why would I want any of that? Die Geschichte von zwei Freunden, die unentwegt anecken bei der Polizei, aber eigentlich nur irische Jungs sein wollen, die Drogen reinpfeifen, Mädchen nachsteigen und Party feiern. Dass Mo Chara und Móglaí Bap ihr drittes Bandmitglied dann in einem Verhörungsraum der Polizei kennenlernen, weil der unbedarfte Musiklehrer JJ als der irischen Sprache mächtiger Dolmetscher dazugeholt wird, um zu übersetzen, muss nicht unbedingt stimmen, passt aber wie die Faust aufs Auge auf diesen Film, dessen Laune und Tempo ansteckend sind. 

Klar, wegweisende Hiphop-Filme wie „8 Mile“ und „Hustle & Flow“ geben die Marschrichtung vor, wenn man Kneecap zusieht, wie sie allen Widrigkeiten zum Trotz und zwischen allen Stühlen sitzend – angefeindet von Polizei und Politik, abschätzig betrachtet im eigenen Lager wegen ihrer überschäumenden Lust, für einen gut gerollten Joint ebenso passioniert zu kämpfen wie ein freies Irland – ihren Weg gehen, zwei Jungs, die aussehen wie Mike Skinner in den frühen The-Streets-Videos, und ein älterer Typ, der ohne Sturmmütze aussieht, als könnte er ihr Sozialarbeiter sein. Fight the Power ist in jeder Sprache gut, auch in Irisch. Das fand auch das Publikum beim Sundance Film Festival im Januar, das von der Druckwelle des Films förmlich weggeblasen wurde und den begehrten Audience Award zückte. Jetzt geht die Reise von „Kneecap“ wirklich los, in Deutschland nunmehr beim Hamburg Festival. Weiß jemand, was „Fight for Your Right to Party“ auf Irisch heißt? Bitte melden. 

Thomas Schultze