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REVIEW CANNES: „Furiosa: A Mad Max Saga”

Prequel zu dem Action-Meilenstein „Max Max Fury Road“, das die Lebensgeschichte der Imperator Furiosa erzählt, diesmal als junge Kriegerin gespielt von Anya Taylor-Joy.

CREDITS:
Land/Jahr: Australien/USA 2024, Laufzeit: 148 Minuten, Regie, Drehbuch: George Miller, Besetzung: Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Alyla Browne, Tom Burke, Elsa Pataky; Verleih: Warner Bros; Start: 23. Mai 2024

Anya Taylor-Joy ist die neue Imperator Furiosa (Credit: Warner Bros.)

REVIEW:
Was alle Filme von George Miller eint, 79 Jahre alt und immer noch jünger als fast alle anderen Regisseure der Welt: Man kann sie sich nur im Kino vorstellen, sie leben von der Kraft ihrer Bilder, der Dynamik des Schnitts. Das gilt – natürlich – insbesondere für Millers ewigste all seiner Kreationen, die Filme rund um den Road Warrior Max Rockatansky, in den ersten drei Filmen von Mel Gibson gespielt und schließlich, in der atemberaubenden Wiedergeburt der Marke vor neun Jahren mit „Mad Max: Fury Road“ von Tom Hardy. Einer der besten Actionfilme aller Zeiten und sicherlich der letzte wichtige Actionfilm, der noch einmal ausreizte und toppte, was ein Film des Genres zu leisten in der Lage ist. Die letzten 20 Minuten von „Mad Max 2“ ausgebreitet auf knapp zwei Stunden Dauerhatz, in der doch alles erzählt wurde, was die menschliche Erfahrung ausmachen kann, in einer Vision, die auf der ersten Trilogie aufsetzte, aber doch noch einmal eine völlig neue Welt eröffnete. 

Atemberaubend: Anya Taylor-Joy in „Furiosa: A Mad Max Saga“ (Credit: Warner Bros.)

Und Imperator Furiosa gebar, gespielt von Charlize Theron, eine weibliche Actionheldin, wie es noch keine gab und sich im Verlauf des Films als ebenbürtig mit der Titelfigur erwies. Jetzt hat Furiosa ihren eigenen Film, rein ästhetisch und gestalterisch erkennbar im Universum der Fury Road angesiedelt, mit vielen klugen Aha-Momenten, aber doch auch klug anders, um anders zu sein als der Vorgänger, einen Mehrwert zu bieten für die Fangemeinde und alle anderen Menschen, die gerne Kino sehen, dessen Bilder pure Überwältigung sind, sich einbrennen ins Gedächtnis. Elektrisierte „Fury Road“ als Einheit von Zeit und Raum, eine Geschichte, die sich binnen weniger Tage abspielt, breitet George Miller nun ein Fresko aus, einen Begleitfilm als Epos, das Jahrzehnte umspannt und mit verschwenderischer Großzügigkeit und endloser Lust am Zeigen immer noch einmal neue Details aus dieser faszinierenden Welt bereithält, um schließlich exakt an dem Zeitpunkt anzukommen, an dem Tom Hardy in „Fury Road“ mit dem Hacken seines Stiefels eine Echse zertritt und verspeist. Ein Prequel inklusive Götterdämmerung. 

Der Pol der Unzulänglichkeit. Die Gesetze des Ödland. Der blinde Passagier. Heimwärts. Jenseits der Rache. „Furiosa: A Mad Max Saga“ ist aufgeteilt in fünf distinktive Kapitel, die den Weg nachzeichnen von Furiosas beschützter Kindheit in einer Art Garten Eden inmitten einer in Chaos und Verwüstung gestürzten, postapokalyptischen Welt hin zu ihrer Berufung, die von Immortan Joe als Gebärmaschinen versklavten Frauen aus der Citadel zu befreien. Von Wegelagerern wird Furiosa entführt und zu dem charismatischen Warlord Dementus gebracht, wo sie miterlebt, wie ihre Mutter beim Versuch ihrer Befreiung gekreuzigt wird. Sie landet in einem Tauschgeschäft in der Citadel, wo sie vor dem Zugriff von Immortan Joes Sohn Rictus fliehen und sich innerhalb der Kriegsmaschinerie hocharbeiten kann. Als rechte Hand von Praetorian Joe, der wie kein anderer als Fahrer eines War-Rigs die Gefahren der Fury Road meistert, beweist sie sich und wird seine Vertraute. Er will ihr die Flucht ermöglichen, doch als er in der Bullet Farm in einen Hinterhalt gerät, steht sie zu ihm. Schließlich zieht sie los, um Rache zu üben.

Das ist ein grober Überblick der Handlung. Womit aber nicht im Geringsten wiedergegeben werden kann, was für ein spektakuläres Filmerlebnis „Furiosa“ ist, in dem Anya Taylor-Joy die Hauptrolle übernommen hat und eine Intensität mitbringt, die Charlize Theron vielleicht nicht vergessen lässt, sie aber doch als rechtmäßige Erbin dieser außergewöhnlichen Rolle ausweist. Im Verlauf der Handlung spricht sie knapp 30 Worte, teilt sich nur durch ihren stechenden und doch verletzlichen Blick und eiserne Entschlossenheit mit. Abgesehen von Praetorian Jack, wunderbar gespielt von Tom Burke, neigen die anderen Männer zum Plappern und Schwingen großer Reden, wie immer in der blumigen Vernikularsprache mit ihren zahllosen Verballhornungen, die die „Mad Max“-Filme seit dem zweiten Teil auszeichnen, ohne allerdings viel zu sagen haben. Besonders viel Spaß hat dabei Chris Hemsworth, der als Dementus endlich auch schauspielerisch überzeugen kann: Hinter seiner breitbeinigen Grandiosität versteckt sich eine verblüffende Zartheit: Er ist ein autokratisches, rücksichtsloses, machtbesessenes Schwein, aber es gibt auch Gründe dafür. 

Vor allem aber ist da die Action, die sich nach den Extravaganzen von „Fury Road“ niemals anfühlt wie Zweitverwertetes oder Aufgewärmtes. Eine lange Verfolgungsjagd ungefähr in der Mitte des Films ist das Pièce de Résistance, greift die Motive des Vorgängers auf, hat aber immer wieder neue Einfälle und Variationen parat. Besonders die innovativen Luftangriffe brennen sich ein ins Gedächtnis, sind visuell von einer Innovation und Kontrolle der Bildsprache geprägt, dass man bisweilen nach Atem schnappt. Klug hat George Miller erkannt, diesen und einen weiteren Höhepunkt, als Furiosa dem bedrohten Praetorian Jack zu Hilfe eilt, in der Handlung weiter nach vorn zu legen, um ihre endgültige Abrechnung mit ihrer Nemesis einen stillen, fast intimen Moment sein zu lassen, eigentlich der einzige des Films, der immer Vollgas gibt, auch weil er weiß, dass er das Erlebnis des Neuen und in dieser Form niemals Dagewesenen von „Fury Road“ niemals replizieren kann und deshalb auch ein Getriebener ist, ein Film auf der Flucht vor dem eigenen Vermächtnis. Und das macht er sensationell gut. 

Thomas Schultze