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Sabine Gebetsroither & Katharina Riedler: „Crossing Europe hat sich kontinuierlich weiterentwickelt“

Am 30. April startet das 21. Crossing Europe Filmfestival im oberösterreichischen Linz. Das Festivalleiterinnen-Duo, das 2021 Christine Dollhofer beerbt hatte, über das aktuelle europäische Filmschaffen und knapp bemessene Festival-Budgets.

Katharina Riedler (l.) und Sabine Gebetsroither gehörten lange schon zum Festival-Kernteam und übernahmen die Leitung im Oktober 2021 von Christine Dollhofer, die zum Filmfonds Wien wechselte (Credit: Violetta Wakolbinger)

Sie haben vor drei Jahren die Festivalleitung von Christine Dollhofer übernommen. Hat sich die Doppelspitze bewährt? 

Katharina Riedler: Das beantworte ich mit einem eindeutigen Ja. Wir hätten es uns nicht anders vorstellen können. Die Doppelspitze hat sich bewährt, weil Festivalarbeit und Kulturarbeit generell über die Jahre ein ganzes Stück komplexer geworden ist. Crossing Europe ist gewachsen, das Team ist größer geworden, zwischendurch sind mehr Locations dazugekommen… Das Festival war an einem Punkt, wo klar war, dass es mehr organisatorische und koordinierende Kräfte benötigt. Von Beginn an war für uns auch klar, dass wir die Geschäftsführung und die Programmleitung zu gleichen Teilen teilen.

Sabine Gebetsroither: Wir sind beide schon sehr lang im Festivalgeschäft, gehörten lange schon zum Kernteam von Crossing Europe, waren aber auch bei anderen Festivals aktiv. Wir haben das Festivalgeschäft von der organisatorischen Seite quasi „wirklich“ gelernt. Da wir schon lange Kolleginnen sind, wussten wir auch, dass wir die Aufgabe gemeinsam hinbekommen werden.

Wie ist Crossing Europe aufgestellt? Wie viele Spielstätten gibt es? Wie viele Mitarbeiter:innen?

Sabine Gebetsroither: Wir haben in Linz sechs Spielstätten, zwei Kinos, die klassische Programmkinos sind mit fünf Sälen, und eine Spielstätte in einem ehemaligen Kino, das wir fürs Festival jedes Jahr aufs Neue zum Kino umfunktionieren. Mit dem Oberösterreichischen Kulturquartier haben wir das Glück, mitten in der Stadt zu sein. Es ist zum Teil Veranstaltungsort, zum Teil Ausstellungshaus. Dort ist auch eines der Programmkinos, es gibt zusätzliche Räume für Talks etc. und Gastronomie. Alles ist zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen. 

Katharina Riedler: Was die Mitarbeitenden betrifft, so sind wir unterm Jahr ein sehr kleines Team mit vier bis sechs Personen, wobei Sabine und ich die einzigen Vollzeitangestellten sind. Während des Festivals arbeiten zwischen 90 und 100 Personen mit.

Sabine Gebetsroither: Der große Batzen im Budget ist immer das Personal. Das ist die große Herausforderung. Wir versuchen immer, bei Fördergeber:innen und Partner:innen ein Bewusstsein zu schaffen, dass es schwierig ist, ein Team zu halten, wenn die Fördergelder nicht valorisiert werden. In Österreich haben wir zudem folgendes Problem: Wien ist ein sehr attraktiver Standort für Leute, im Film- und Festivalbereich zu arbeiten. Es ist eine Herausforderung, die Leute aus Wien herzubringen oder in Linz zu halten. 

Als Sie das Festival 2021 übernommen hatten, war die Kulturbranche noch stark von Einschränkungen durch die Corona-Pandemie betroffen. Hat sich das Festival seither gänzlich erholt?

Sabine Gebetsroither: Nach einer abgesagten (2020) und zwei schwierigen Ausgaben konnte Crossing Europe 2023 wieder unter Normalbedingungen stattfinden. Die Besucher:innenzahlen sind deutlich nach oben gegangen, wenn auch noch nicht auf die Höhe von 2019. Bei der Filmanzahl liegen wir jetzt wieder etwa auf dem Level von vor der Pandemie. Wir haben uns genau überlegt, welche Dinge es wirklich braucht, haben uns bewusst überlegt, was wir mit dem Budget leisten können, um eine professionelle Umsetzung zu gewährleisten, um Qualität bieten zu können, sei es im Ticketing, bei der Gästebetreuung oder im Programm. Schweren Herzens haben wir uns deshalb von ein paar Angeboten im Rahmenprogramm verabschiedet.

Katharina Riedler: Crossing Europe war schon immer ein Festival, das sich kontinuierlich weiterentwickelt hat. Es gab immer wieder Veränderungen. Damit meine ich keine großen Umwürfe, sondern das Aufgreifen neuer Ideen, neuer Angebote. Auch wir haben das Festival weiterentwickelt, haben uns von Dingen verabschiedet, aber dafür andere nachgeschärft und auch die Organisationsstruktur überarbeitet.

„Abendland" von Omer Fast (Credit: Crossing Europe)

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Bei Crossing Europe steht – der Name verrät’s – das europäische Kino im Fokus. Was fällt Ihnen am aktuellen Filmschaffen auf?

Katharina Riedler: Es gibt jedes Jahr gewisse Themenpunkte, die verstärkt im europäischen Filmschaffen auftreten. Das hat sicherlich einerseits stark mit der politischen Lage in den verschiedenen Ländern zu tun, andererseits mit einschneidenden Erlebnissen wie der Coronapandemie, die im Nachgang viele Filme mit Besinnung auf die eigene Familiengeschichte hervorgebracht hat. Aktuell haben wir das Gefühl, dass diesbezüglich eine gewisse Weiterentwicklung stattfindet mit vielen Familiengeschichten, die sich aber nicht auf das klassische Familienmodell beschränken, mit Geschichten über Mutterschaft, Elternschaft und überhaupt, wie Zusammenleben funktionieren kann.

Sabine Gebetsroither: Die allgemeine Verunsicherung in Europa wirft bei vielen Filmschaffenden die Frage auf, wie wir miteinander umgehen können, damit es wieder besser wird. Themen wie Toleranz, Respekt, Solidarität sind der Schlüssel, nicht Ausgrenzung. Zum Thema Gender-Programming möchte ich auch ein Wort sagen: Es ist mittlerweile sehr einfach, Filme von Frauen zu finden! Uns ist es zwar noch nie schwergefallen, aber man kann heute wirklich aus dem Vollen schöpfen. Was allerdings immer noch fraglich ist, inwiefern Frauen über den ersten und zweiten Film hinaus weiterkommen, wie es mit dritten, vierten Filmen und vor allem mit Filmen mit höheren Budgets aussieht. Das ist weiterhin der Knackpunkt. Und beim Dokumentarfilm stellen wir fest, dass die Pandemie wirklich hinter uns liegt, weil die Dokumentarfilmschaffenden wieder reisen und große Filme entstehen, uns quer durch Europa mitnehmen.

„Wir haben sehr gute Beziehungen zu den World Sales.“

Sabine Gebetsroither

Was sind Highlights im Programm?

Sabine Gebetsroither: Dem Thema Aktivismus widmen wir dieses Jahr eine komplette Programmschiene. Zudem freut uns besonders, dass es auch einen Spielfilm gibt, der zum Thema passt, nämlich den neuen Film von Omer Fast, „Abendland“, der in der Woche der Kritik Weltpremiere feierte. Unsere YAAAS! Jugendschiene besteht neben einem klassischen Do-It Yourself-Vermittlungsteil auch aus einem Filmwettbewerb, der von den Young Programmers kuratiert wird. Hier liegt der Schwerpunkt dieses Jahr auf Lebensrealitäten junger Menschen in Europa.

Katharina Riedler: Ein Highlight ist sicher auch unser Tribute an Aliona van der Horst als herausragende Persönlichkeit des zeitgenössischen europäischen Kinos. Für uns ist diese Ehrung insofern eine tolle Sache, weil Aliona van der Horst in Österreich nicht sehr bekannt ist, obwohl ihre Filme auf Festivals immer gut funktioniert haben. Wir präsentieren nun bei Crossing Europe die Mehrheit ihrer Arbeiten und freuen uns, dass sie fast das ganze Festival über da sein wird. 

Bekommen Sie immer alle Filme, die Sie wollen?

Sabine Gebetsroither: Grundsätzlich können wir uns glücklich schätzen, dass wir über die Jahre sehr gute Beziehungen zu den World Sales aufgebaut haben. Diese wissen, dass wir beim Kuratieren darauf achten, dass Filme zusammenpassen, dass wir auch Gäste einladen und vor allem pünktlich zahlen! Auch nicht unwichtig. Wir versuchen großteils, die Filme als Österreich-Premieren zu zeigen. Das klappt ganz gut, da die Viennale ja im Herbst liegt und es da wenig Überschneidungen gibt. Wir sind mit dem Festival auch freundschaftlich verbunden. Die Berlinale ist das letzte große Festival vor Crossing Europe, bei dem wir noch nach Filmen Ausschau halten. Das kann dann manchmal schon zeitlich eng werden. 

Katharina Riedler: Wir können aber auch ganz gut einschätzen, bei welchen Filmen es vergebene Mühe ist. Heuer gibt es wenig Wehmutstropfen, wir haben alles bekommen, was wir wollten. In der Pandemie und kurz nach der Pandemie haben Rechteinhaber Festivals viel schneller zugesagt. Jetzt merkt man, dass das Strategiedenken wieder viel mehr präsent ist in den Gesprächen um Festivalauftritte.

Das Gespräch führte Barbara Schuster