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Kameramann Martin Gschlacht: Ein leidenschaftlicher Wiener

Zu den jüngsten Arbeiten des gefeierten österreichischen Kameramanns Martin Gschlacht gehören „Des Teufels Bad“, der heute auf der Diagonale läuft, „Club Zero“ und „Kafka“. Über die unterschiedlichen Herangehensweisen und sein Verständnis als Filmschaffender spricht er hier.

Kameramann Martin Gschlacht wurde 1969 in Wien geboren. Er studierte Kamera und Produktion an der Filmakademie Wien und ist Mitbegründer der Produktionsfirma coop99 (Credit: IMAGO / K.Piles)

Gratulation zur Auszeichnung auf der Berlinale. Ist „Des Teufels Bad“ ein besonderes Projekt? Worin bestand für Sie die besondere Herausforderung?

Martin Gschlacht: „Des Teufels Bad“ war von Anfang ein besonderes Projekt für mich. Mit Veronika Franz und Severin Fiala durfte ich bereits bei „Ich seh, ich seh“ zusammenarbeiten. Deshalb wusste ich, dass auch das neue Projekt eine sehr besondere, auch sehr herausfordernde, aber absehbar auch sehr schöne Arbeit werden würde. Bei ihrem zweiten Film, „The Lodge“, den sie in Kanada gedreht haben, sind wir terminlich leider nicht zusammengekommen. Das lag ein wenig am amerikanischen System, denn plötzlich heißt es: In drei Monaten geht’s los. Damals war ich in den Dreharbeiten einer Serie mit David Schalko. Mir war klar, wenn Veronika und Severin wieder in Europa drehen, dass die zeitliche Vorbereitung und Einteilung besser gewährleistet sein würde. Insofern habe ich alles darangesetzt, mir den Drehzeitraum für „Des Teufels Bad“ freizuhalten. DieVorbereitung bei Severin und Veronika ist üblicherweise ja recht lange, sie arbeiten auch an mehreren Projekten parallel. Ich kannte das Drehbuch von „Des Teufels Bad“ schon einige Jahre und wusste, dass inhaltlich wie in der Umsetzung etwas Besonderes auf mich zukommen würde. So war’s dann auch.

Was zeichnet das Regie-Duo Franz/Fiala aus? Inwiefern hat es sich in Ihren Augen seit „Ich seh, ich seh“ weiterentwickelt? Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit den beiden?

Martin Gschlacht: Weiterentwickelt haben sie sich sicher. Sie haben ja in Nordamerika nicht nur „The Lodge“ gedreht, sondern auch einige Episoden einer Serie inszeniert und die verschiedensten Drehbücher geschrieben. Was die Herangehensweise betrifft, haben wir bei „Des Teufels Bad“ ähnlich gearbeitet wie damals bei „Ich seh, ich seh“. Wir bereiten zu dritt über mehrere Wochen sehr genau die visuelle und inhaltliche Umsetzung des Films vor, am Drehtag erarbeiten Veronika und Serverin mit den Darsteller:innen dann sehr intuitiv die Szenen. Es gibt keine geschriebenen Dialoge, am Set sollen auch keine Drehbücher herumliegen. Die Darsteller:innen werden in Situationen gebracht, es werden ihnen die Bedingungen erklärt, sie bekommen den Raum um zu agieren und reagieren. Die Arbeitsweise ist sehr speziell. An ihr hat sich nichts geändert.

In Deutschland kommt „Des Teufels Bad“ erst noch in die Kinos

Aber Unterschiede gab es sicherlich, weil es zwei komplett verschiedene Filme sind…

Martin Gschlacht: Klar, atmosphärisch sind sie völlig unterschiedlich, bei „Des Teufels Bad“ hatten wir zudem historische Schauplätze, es war Winter und es war kalt. „Ich seh, ich seh“ entstand im Sommer und es war heiß. Das sind natürlich auch Dinge, die sich auf die Arbeitsweise auswirken. Zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten von „Des Teufels Bad“ haben wir zum Beispiel gemeinsam mit unserer Hauptdarstellerin Anja Plaschg in diesem historischen Haus übernachtet, bei Minusgraden, nur mit Kerzenlicht und am offenen Feuer gekocht. Für Veronika und Severin sind solche gemeinsamen Aktionen wichtige Bestandteile. Anja hat sich ja noch viel, viel intensiver in diese Richtung vorbereitet, damit sie die Figur der Agnes nicht nur darstellt, sondern Agnes wahrhaftig ist. Eine unglaubliche Leistung in Anbetracht dieser Figur.

Anja Plaschg ist das besonders gut gelungen…

Martin Gschlacht: Anja war ein Glücksfall für dieses Projekt. Nicht nur wegen ihrer Körperlichkeit, sondern auch wegen der Art und Weise, wie sie ihre Seele in die Figur der Agnes hat fließen lassen, wie sie Agnes verinnerlicht hat. Alles, was man sieht, dieser seelische und körperliche Kraftakt, hat sie durchlebt in dieser Rolle. Das ist die Qualität des Regieduos, das eben nicht nur versucht, etwas durch Inszenierung herzustellen, sondern darum bemüht ist, eine Drehsituation zu schaffen, in der alle Beteiligten so wahrhaftig wie möglich agieren können. 

„Ich möchte Geschichten erzählen. Ich versuche, beim Drehbuchlesen schon der Zuschauer zu sein.“

Martin Gschlacht

Unlängst kam auch Ihre jüngste Zusammenarbeit mit Jessica Hausner in die deutschen Kinos – eine Filmemacherin, mit der Ihr Name untrennbar verbunden ist, und ein Film, der visuell kaum mehr anders sein könnte als „Des Teufels Bad“. Welcher der beiden Filme ist mehr Martin Gschlacht – „Des Teufels Bad“ oder „Club Zero“?

Martin Gschlacht: Das Gute am Martin Gschlacht ist vielleicht, dass beides geht und beides viel Freude bereitet. Ich bin sehr privilegiert, in meinem Beruf als Kameramann mit so verschiedenen Menschen und an so unterschiedlichen Geschichten und Projekten arbeiten zu dürfen. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass es kaum unterschiedlicher geht, wenn man „Club Zero“ neben „Des Teufels Bad“ hält. Interessant ist aber, dass die angesprochenen Filmemacher:innen, also Jessica, Veronika und Severin, eine bezeichnende Gemeinsamkeit haben: Sie legen alle drei großen Wert auf eine sehr genaue Vorbereitung. Deshalb entstehen ihre Kinofilme auch jeweils mit einem relativ großen Abstand. Wenn ich in den Prozess dieser akribischen Vorbereitung einsteige, dauert es immer noch eine Weile, bis die eigentlichen Drehvorbereitungen starten und der Dreh dann wirklich losgeht. Mit Jessica wird zum Beispiel ein Storyboard gezeichnet, Einstellung für Einstellung, und das dient dann als wichtige Vorlage zur Umsetzung am Set. Bei Severin und Veronika ist es nicht unähnlich. Wir überlegen uns auch vorab die filmische Auflösung sehr genau. Im Fall von „Des Teufels Bad“ war es so, dass Severin und Veronika tagelang etliche Szenen in den unterschiedlichen Rollen am Motiv selbst durchgespielt haben und ich alles auf meinem Handy mitgefilmt habe. Der Film existiert quasi in doppelter Ausführung, einmal im Endprodukt, einmal auf meinem Handy mit Veronika und Serverin in den Hauptrollen. Das ist königlich lustig. Natürlich ist das auch ein interessanter Ansatz alles schon mal körperlich, physisch auszuprobieren. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie sich etwas anfühlt zu spielen, wie sich Nähe anfühlt, Körperlichkeit… 

Mit Jessica Hausner verbindet sie nicht nur die Zusammenarbeit bei Filmprojekten. Sie beide gehören mit den Filmemachern Barbara Albert und Antonin Svoboda auch zu den Gründungsmitgliedern von coop99. Die Firma haben Sie Ende der Neunzigerjahre gegründet mit der Absicht, „Plattform einer neuen FilmemacherInnen-Generation in Österreich“ zu sein. Wie ist Ihr Blick auf coop99 25 Jahre später?

Martin Gschlacht: Ein schöner. Ich würde sagen, wir haben tatsächlich 25 Jahre hier sehr gut und gemeinschaftlich gearbeitet. Was nicht leicht war und ist, weil coop99 keine Fernsehfilme macht, keine Werbung, sondern ausschließlich Kinofilme. Damit als Produktionsfirma zu bestehen, ist natürlich extrem schwierig. Uns ist es gelungen. Auch deshalb, weil unser Brotberuf nicht das Produzieren ist, sondern unsere künstlerische Tätigkeit. Somit konnten wir es uns leisten, unsere Firma ohne Einflussnahme von außen zu führen und das zu machen, was uns künstlerisch wertvoll erscheint. Die Filmographie der Firma spricht für sich. Es sind viele wichtige Produktionen entstanden, die glücklicherweise auch international reüssieren konnten. Hätten wir als Firma nur am österreichischen Kinomarkt bestehen müssen, hätten wir keine drei Jahre überlebt. Der österreichische Markt ist einfach viel zu klein. Das System coop99 funktioniert, weil wir uns von Anfang an inhaltlich wie auch von der Auswertung her für den internationalen Markt aufgestellt haben.

„Kafka“ von ARD und ORF (Credit: NDR/Superfilm)

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Ihr Engagement bei coop99 legt nahe, dass Sie sich nicht nur verstehen als Mann, der die Bilder liefert. Wie sieht Ihr Verständnis als Filmschaffender aus?

Martin Gschlacht: Ich möchte Geschichten erzählen. Ich versuche, beim Drehbuchlesen schon der Zuschauer zu sein. Zumindest beim ersten Durchlesen des Drehbuchs. Irgendwann kommt bei mir die Phase, wo ich auchtechnisch lesen muss, mit Fragen nach der Umsetzung, der Perspektive, nach dem Rhythmus und der Lichtgestaltung. Aber zu Beginn lese ich so, als wäre ich ein Kinozuschauer, der sich diesen Film anschaut, überhaupt nicht in Bildern denkend, sondern einer Geschichte folgend. Nach der vorbereitenden Arbeit bin ich bei den Dreharbeiten dann derjenige, der für die Geschichte die Bilder liefern darf. Es sind ja so viele Menschen in ein Projekt involviert, unglaubliche viele Kolleg:innen arbeiten zusammen und jeder und jede trägt seins bzw. ihrs dazu bei, diese Geschichte zu transportieren. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen zu sagen, dass der Silberne Bär, der mich so freudig überrumpelt hat, ganz klar eine Auszeichnung für das gesamte Team von „Des Teufels Bad“ ist. Du kannst einen solchen Preis nicht mit Bildern gewinnen, sondern nur mit einem Film. 

Sie arbeiten immer wieder auch mit deutschen Filmemacher:innen, sind doch aber primär Ihrer Heimat Österreich treu geblieben. Verstehen Sie sich als österreichischer Filmeschaffender?

Martin Gschlacht: Ich bin leidenschaftlicher Wiener. Ich liebe diese Stadt, ich liebe es, hier zu wohnen. Darum habe ich seit jeher keine besonderen Ambitionen, mein Glück als Kameramann irgendwo in der großen weiten Welt zu versuchen. Darüber hinaus ist es so, dass seit ich in der Filmbranche Österreichs tätig bin, seit 25 Jahren, hier eine extrem spannende Generation an Filmemacher:innen arbeitet, die tolle Projekte macht, es für mich also überhaupt keinen Grund gibt, irgendwo in die Ferne zu ziehen. Der filmische Output dieses kleinen Filmlands mit seinen verhältnismäßig geringen Fördermitteln ist in Relation sehr erfolgreich. Dennoch entstehen diese Filme zumeist im europäischen Kontext. Ich würde sagen ich betrachte mich als österreichischen Filmschaffenden im europäischen Film.

Unlängst startete auch die Serie „Kafka“, bei der Sie mit David Schalko – ebenfalls einem Ihrer langjährigen Weggefährten – zusammenarbeiteten. Ausflüge in den Fernsehbereich sind in Ihrer Filmographie nicht sehr häufig zu finden. Sind Sie bei Fernsehstoffen zurückhaltender?

Martin Gschlacht: Ich ziehe grundsätzlich ein schönes Projekt vor. Ich unterscheide zunächst nicht zwischen Fernsehen und Kino. Für mich geht es um das Paket Regie/Drehbuch/Besetzung, ein grundsätzliches Interesse. Ob am Schluss eine Auswertung im TV oder Kino erfolgt, ist für mich kein Qualitätskriterium. Den Spruch „… ist ja nur fürs Fernsehen…“, würde ich mir nie erlauben. Natürlich gibt es in der Arbeitsweise gewisse Unterschiede. Bei TV-Produktionen hat man in der Regel weniger Zeit, muss schneller arbeiten, muss mehr Schnittminuten am Tag abliefern. In der Bildsprache kann man Einstellungsgrößen und Schnittrhythmus etwas überdenken und in der Lichtführung auf die Situation des Zusehers im hellen Wohnzimmer statt im dunklen Kinosaal Rücksicht nehmen. Andererseits verschwimmen diese Grenzen sowieso, jeder Kinofilm hat eine zentrale Zweitauswertung im TV und/oder Streaming.

Jemand wie David Schalko liefert bei seinen Fernseharbeiten definitiv Kinobilder…

Martin Gschlacht: Mit David Schalko zu arbeiten ist ein sehr gutes Beispiel für diesen fließenden Übergang zwischen TV und Kino. Er hat hohe Ansprüche, die dann in einer gewissen Geschwindigkeit umgesetzt werden müssen. Man muss ja auch bedenken, dass das Qualitätsniveau im TV und bei den Streaming-Anbietern generell schon sehr hoch ist und man sich so gut wie möglich dort orientieren muss. Und unsere bisherigen Zusammenarbeiten, „M“, „Ich und die Anderen“ und jetzt auch „Kafka“, haben ihr Leben alle auf einer Kinoleinwand im Rahmen der Berlinale begonnen. 

Was steht denn aktuell an? Ihre zweite Zusammenarbeit mit Evi Romen nach „Hochwald“ dürfte abgedreht sein.

Martin Gschlacht: Meine zweite Zusammenarbeit mit Evi Romen, „Happyland“, ist abgedreht und befindet sich in Postproduktion. Fürs Kino werde ich als nächstes mit dem niederländischen Regisseur Mike van Diem, der 1997 mit „Karakter“ den Oscar als bester internationaler Film gewann, einen sehr starken Film in den Tiroler Bergen drehen. Danach übernehme ich die Bildgestaltung bei „Die Blutgräfin“, dem neuen Film von Ulrike Ottinger. Dieses Projekt beschäftigt mich schon sehr lange und es schaut so aus, dass die lange Entwicklungsarbeit Früchte trägt und wir, wenn alles klappt, um den Jahreswechsel 24/25 drehen können. Zunächst drehe ich noch im Frühling eine neue Mini-Serie von David Schalko für die ARD Mediathek. 

Für Sie hat das Kino sicherlich noch dieselbe Anziehungskraft wie damals, als Sie angefangen haben. Wie kann aber man bewerkstelligen, auch eine neue Generation, die Bewegtbild primär auf youTube oder TikTok konsumiert, für den Kinofilm zu begeistern? 

Martin Gschlacht: Es wäre schön, wenn Film und Kino in der schulischen Grundsozialisierung von Kindern und Jugendlichen eine größere Rolle spielen könnten. Während in Frankreich zum Beispiel Filmerziehung in Theorie und Praxis im Unterricht verankert ist, können wir bei uns froh sein, wenn die Lehrer ein Mal pro Halbjahr mit den Schülern einen Film anschauen – dann oft nicht mal im Kino, sondern via Beamer im Klassenzimmer und meist auch nur im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts. Aber Filme im Kino anschauen und über Kino als Medium sprechen, findet kaum statt. Das wäre zumindest mal ein guter Anfang.

Das Gespräch führte Barbara Schuster