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J.D. Payne & Charlotte Brändström: „Sauron sollte ein echter Charakter sein“

Am 29. August startet die zweite Staffel des Serien-Blockbusters „Die Ringe der Macht“ auf Prime Video. Showrunner J.D. Payne und Regisseurin Charlotte Brändström erklären im SPOT-Interview, wie Oberbösewicht Sauron jetzt ins Zentrum der Ereignisse rückt.

J.D. Payne, Charlotte Brändström und Sauron
V.l.: Charlotte Brändström, J.D. Payne und Sauron (Credit: Amazon MGM Studios, Prime Video/Frank Zauritz)

Ein Teil des Spaßes in der ersten Staffel von „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ bestand darin, zu erraten, welche der vielen Figuren in der Vorgeschichte der Ring-Saga denn der Oberbösewicht Sauron sein könnte. Diese Frage wurde am Ende der ersten Staffel beantwortet. Inwiefern veränderte das Ihre Arbeit bei der zweiten Staffel?

J.D. Payne: Sauron als Figur ist ein großer Täuscher. Das Publikum in der ersten Staffel so lange im Unklaren über seine wahre Identität zu lassen, machte uns viel Spaß. Da er in der ersten Episode der zweiten Staffel als Sauron in Erscheinung tritt, ändert das natürlich alles. Das Publikum kann ihm jetzt offener dabei zuschauen, wie er das ganze Drama um die Ringe in Gang bringt. Wir befinden uns am Anfang der Staffel auch bei Adar, seinen Orks und wie dieser die Ork-Armee in Bewegung setzt. Und auch die Elben-Armee beginnt in der zweiten Staffel zu marschieren und befindet sich auf einem Kollisionskurs mit den Orks. Die Hauptmission von Sauron in dieser Staffel ist seine Reise zum großen elbischen Schmiedemeister Celebrimbor, den er erst verführt, dann manipuliert und anschließend gaslightet. Das ist eine der spaßigeren Episoden dieser Staffel, dieses Zusammenspiel zu beobachten. Charlie Vickers als Sauron und Charles Edwards als Celebrimbor bringen die beiden Figuren spektakulär zum Leben. Wir denken, dass sie das Publikum begeistern werden.

Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht Staffel 2
Neuzugang Tom Bombadil (Rory Kinnear) (Credit: Amazon MGM Studios)

In „Der Herr der Ringe“ war Sauron das pure Böse ohne echten Charakter. Sie beide erzählen jetzt seine Hintergrundgeschichte. Wie viel Empathie wollten Sie mit diesem Bösewicht dabei zeigen? Wie hat sich auch die Inszenierung von der ersten auf die zweite Staffel geändert?

Charlotte Brändström: Für mich als Regisseurin hat sich die Arbeit zwischen der ersten und zweiten Staffel stark unterschieden. Wir wussten natürlich um die Identität der Figur, aber haben sie bewusst auf eine bestimmte Weise inszeniert, dass einem bei einem Rewatch schon visuelle Hinweise auffallen können. In der ersten Staffel lasse ich die Kamera in den von mir inszenierten Episoden bewusst etwas länger auf seiner Rückenansicht stehen, zum Beispiel am Ende der sechsten Episode, wo er nach seiner genauen Identität gefragt wird. Es ist ein kleiner Moment zu lang. In der zweiten Staffel war es anders: Wobei ich nicht nach Empathie für die Figur von Sauron suchte oder dass man sie sogar mögen könnte. Aber ich wollte ihn verstehen. Er sollte ein echter Charakter sein. Meiner Meinung nach ist ein purer Bösewicht nicht spannend. Interessanter ist, eine Figur zu erzählen, die Gründe dafür hat, warum sie etwas tut. Ich schaue immer nach der Motivation. Am Anfang will er Gutes tun und kehrt zurück, um Mittelerde zu helfen und zu heilen, was noch mehr am Ende der zweiten Staffel herauskommt. Mir ging es nicht darum, Mitleid mit ihm zu haben, aber ich wollte Nuancen. In jedem Menschen stecken Schattierungen. Und auch wenn ich keine Empathie für Sauron suchte, gibt es einen Moment am Ende der Staffel, in dem er etwas Bestimmtes tun muss. Da könnte es sein, dass man doch Mitleid mit ihm hat. 

J.D. Payne: Dass Sauron in der zweiten Staffel so im Mittelpunkt steht, hat aus der Sicht des Showrunners Spaß gemacht. Jetzt können wir offen mit seiner Identität umgehen, wohingegen wir in der ersten Staffel vorsichtig und diszipliniert sein mussten. Sauron als Bösewicht ist so angsteinflößend. Manche Bösewichte suchen nach den Schwächen der Gegner, die sie dann gnadenlos ausnutzen. Sauron nutzt die Stärken seiner Gegner aus. Das ist ein interessanter Aspekt für solch eine Figur. Er schaut dem Gegenüber ins Herz und in den Kopf, um die innigsten Wünsche aufzugreifen. Er weiß, dass der Schmied Celebrimbor ein Künstler sein und Schönheit in der Welt bringen will. Das nutzt Sauron aus, um ihn auszutricksen und die Ringe zu erschaffen, die das Gleichgewicht in Mittelerde für immer auflösen werden. Das macht Angst. Solch eine Figur als Drehbuchschreiber entwickeln zu dürfen, ist eine einmalige Gelegenheit.

Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht Staffel 2
Toxische Beziehung: Sauron (Charlie Vickers) (l.) und Celebrimbor (Charles Edwards) (Credit: Amazon MGM Studios)

Die Serie hat einen großen und fantastischen Cast. Wie eine Mutter alle ihre Kinder liebt, werden Sie beide wahrscheinlich sagen, dass Sie alle Figuren gleich lieben. Aber wenn wir schon bei Sauron sind: Gab es als Drehbuchautor oder als Regisseurin Figuren, die ganz besonders viel Spaß machen?

Charlotte Brändström: Auch wenn ich die Arbeit mit der Sauron-Figur geliebt habe, muss ich bei der Frage sofort an den schon erwähnten Celebrimbor denken. Wobei das bei mir auch wechselt. Ich weiß nicht, ob das auch bei Müttern mit ihren Kindern der Fall ist. Aber die Figur Celebrimbor als Schmied ist so tragisch. Wie er dazu manipuliert wird, etwas zu tun, was er eigentlich gar nicht will.  

J.D. Payne: Ja, ich glaube die Beziehung zwischen Celebrimbor und Sauron ist eine in der zweiten Staffel, mit der viele etwas anfangen werden. Jeder kennt auf die ein oder andere Art und Weise manipulierende Partner, ob das im Arbeitsleben oder in der Beziehung der Fall ist. Viele kennen das Phänomen des Gaslighting oder dass sich eine Person so in das Bewusstsein einarbeitet, dass sie die Realität der anderen stärker beeinflusst. In dieser Beziehung der zweiten Staffel könnte sogar eine kathartische Funktion für das Publikum stecken. Celebrimbor gehört auch zu meinen Lieblingen. Ich liebe es ebenso, über Elrond und Galadriel zu schreiben. Freuen kann man sich auf jeden Fall auf die neue Figur Tom Bombadil, die ein eigenartiges Wesen ist und von Rory Kinnear fantastisch gespielt wird. Tom Bombadil ist so wankelmütig, dass er eben noch singt und im nächsten Moment seinem Gegenüber die Geheimnisse des Universums erklärt. Wenn ich mit einem Charakter aus Mittelerde abhängen könnte, wäre er das.

Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht Staffel 2
Adar (Sam Hazeldine) führt die Orks an (Credit: Amazon MGM Studios)

Die erste Staffel war weltweit die erfolgreichste Prime-Video-Serie in der Geschichte. Es gab unglaublich viel Feedback – positives wie negatives. Kann und darf man als Showrunner auf die Kritik überhaupt eingehen oder muss man strikt bei seiner eigenen Vision bleiben?

J.D. Payne: Man kann natürlich nicht auf zehn Millionen verschiedene Stimmen gleichzeitig hören. Ehrlicherweise hatten wir auch die zweite Staffel schon geschrieben, bevor die erste Staffel überhaupt herauskam. Wir lasen Kritiken und schauten auch in die Kommentarspalten der Internetforen, als die erste Staffel draußen war, um die Meinung der Fans mitzubekommen. Das sind sicherlich Dinge, die wir wahrnehmen, was die Menschen besonders lieben oder womit sie Probleme haben. Ja, wir hören zu, aber wir versuchen nicht, dem überkorrekt nachzugehen.   

Charlotte Brändström: Ich habe sicherlich auch Kommentare zur ersten Staffel gelesen. In der Kritik steckt meistens auch ein konstruktiver Aspekt. Wenn ich auf konstruktive Kritik stoße, schenke ich ihr meine Aufmerksamkeit. Aber es gab auch Vorverurteilungen der Serie, ohne dass auch nur eine Minute geschaut wurde. Mir geht es darum, bei dem, was ich mache, immer noch besser zu werden. Im kreativen Prozess Zweifel zu haben, ist ein wichtiges Element, weil es dabei hilft, sich zu verbessern.

Charlotte Brändström am Set
Charlotte Brändström am „Ringe der Macht“-Set (Credit: Amazon MGM Studios)

Schaut man sich Ihre Filmografie genauer an, Charlotte, dann sind Sie bereits seit Ende der 1980er-Jahre als Regisseurin dabei, haben aber erst in den vergangenen Jahren nicht nur „Die Ringe der Macht“, sondern auch mit der HBO-Serie „The Outsider“ oder „Shōgun“ bei einigen der besten Serien Regie geführt. Warum brauchte die Branche so lange, um Ihre Talente zu entdecken?

Charlotte Brändström: Offensichtlich sind die Serien, an denen ich jetzt beteiligt bin, deutlich größer als am Anfang meiner Karriere. Aber auch diese Projekte fand ich damals schon spannend. Ich durfte sehr unterschiedliche und interessante Serien in Schweden und Frankreich machen. In Frankreich drehte ich zum Beispiel die erfolgreiche Miniserie „The Disappearance“ („Disparue“). Natürlich entwickelt man sich weiter. Aber ich denke, dass es heute einfacher für Frauen ist, als Regisseurinnen zu arbeiten, wenn man es mit der Zeit vergleicht, als ich anfing. Bei großen Budgets geht es immer um Vertrauen. Gleichzeitig gibt es auch immer eine Lernkurve, bei der man versucht, besser zu werden. Als ich anfing, war es mir wichtig, nicht auf ein einziges Genre festgelegt zu sein. Wenn ich damals einen Raum betrat, sagten die Menschen zu mir: Sie sehen so aus, als seien sie perfekt für eine romantische Komödie. Das wollte ich aber auf keinen Fall machen. Mich interessierte mehr die Action. Anfang der 2000er-Jahre drehte ich die spannende Cop-Serie „Brigade spéciale“ in Frankreich über Vergewaltigungsfälle, die sehr erfolgreich war und auf die ich auch stolz bin. Ebenso stolz bin ich auf eine Serie wie „The Outsider“, weil ich kreative Freiheiten hatte und mit sehr guten Menschen zusammenarbeiten konnte. 

J.D. Payne: Wir wussten bei „Die Ringe der Macht“, dass wir nicht nur eine Regisseurin, sondern eine Filmemacherin haben wollten, die Mittelerde auch mit solch einem Auge erschaffen kann. Das fanden wir in Charlottes Œuvre. In den Filmreferenzen, die uns besonders wichtig sind, sprach sie auch eine ähnliche Sprache wie wir. In der ersten Staffel inszenierte sie zwei Episoden, in der zweiten Staffel sind es jetzt vier Episoden. Wir schätzen den Prozess der Zusammenarbeit. Charlotte ist sehr kollaborativ und jemand, mit dem man gerne arbeitet, weil sie ans Set mit einer starken eigenen Meinung kommt. Man weiß genau, wo sie steht. Gleichzeitig schätzt sie es auch, die gemeinsame Vision zu erarbeiten, was bei diesem großen Projekt besonders wichtig ist, weil so viele großartige Künstler daran beteiligt sind. Das gilt für unseren Production Designer Kristian Milsted genauso wie für unseren Costume Designer Luca Mosca. Jeder bringt sein A-Game in das Projekt ein. Zudem lieben es die Schauspieler, mit Charlotte zu arbeiten, weil sie einen unglaublichen Job macht, sie mit Selbstbewusstsein auszustatten. Manchmal drehen Regisseur acht oder neun Takes von einer Szene, weil sie nicht genau wissen, was sie wollen. Das kann die Schauspieler verunsichern und Angst am Set verbreiten, weil keiner so richtig weiß, was man erreichen will. Charlotte dagegen hat eine so klare Vision, dass sie auch schon nach dem zweiten oder dritten Take sagen kann: Ok, wir haben’s. Und sie hat Recht. 

Das Interview führte Michael Müller