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Ivan Calbérac zu „Liebesbriefe aus Nizza“: „Komödien sind Tragödien mit Abstand“

Wenn „Liebesbriefe aus Nizza“ am Donnerstag im Verleih von Neue Visionen startet, ist genau die richtige Zeit für eine große französische Sommerkomödie für ein älteres Publikum. Regisseur Ivan Calbérac („Frühstück bei Monsieur Henri“) offenbart im SPOT-Interview, worauf es ihm bei seinen Filmen ankommt. 

„Liebesbriefe aus Nizza“-Regisseur Ivan Calbérac (Credit: Neue Visionen)

Können Sie auf den Punkt bringen, was Ihnen als Filmemacher am Herzen liegt? Was wollen Sie mit Ihren Filmen erreichen?

Ivan Calbérac: In erster Linie geht es mir erst einmal darum, ein großes Publikum zum Lachen zu bringen. Das sehe ich als meine Aufgabe an. Das bereitet mir Freude. Und – klopf auf Holz – in Frankreich ist mir das mit „Liebesbriefe in Nizza“ auch so gelungen, wie ich mir das erhofft hatte. Natürlich steckt noch mehr in meinen Filmen. Sie bieten mir eine Gelegenheit, mich auszudrücken, oft auch sehr persönliche Dinge. Ich mache mir Gedanken darüber, was in unserer Gesellschaft passiert, und suche nach Möglichkeiten, das auf eine leichte, amüsante Weise auszudrücken. Die Menschen sollen sich von mir abgeholt und ernstgenommen fühlen. Gleichwohl will ich mich auch nicht aufdrängen. Man soll lachen, nicht um des Lachens Willen, sondern weil uns das Lachen öffnet, um darüber nachzudenken, was es heißt, ein Mensch zu sein. 

Die besten Komödien sind stets sehr ernste Angelegenheiten. Alles andere ist Slapstick. 

Ivan Calbérac: Die Komödie besteht daraus, menschliche Fehler zu entlarven. Das hat durchaus eine philosophische Qualität. Natürlich bin ich nicht so anmaßend, mich mit Molière vergleichen zu wollen, sehe ich mich durchaus in einer Tradition mit seinen Stücken. Sie sind sehr lustig. Aber es geht immer auch um das menschliche Dasein, um unsere Unzulänglichkeiten, unsere Fehler. 

Wie französisch sind Ihre Komödien?

Ivan Calbérac: Ich bin mit französischen Komödien aufgewachsen, habe sie sehr geliebt und verinnerlicht, die Filme mit Louis de Funès zum Beispiel, von denen ich weiß, dass sie sich in Deutschland ebenfalls enormer Beliebtheit erfreuen. Gewiss sehe ich mich in dieser Tradition. Es ist nicht die schlechteste Tradition! Ich bin davon beeinflusst, das auf jeden Fall. Aber sehen Sie sich „Liebesbriefe aus Nizza“ an. André Dussollier ist so großartig und komisch darin, weil er Dinge tut und ausspricht, die wir uns nicht trauen würden. Er ist wahnsinnig eifersüchtig. Wir trauen uns nicht, unsere Eifersucht zu zeigen. Er will Rache. Wir trauen uns nicht, Rachegedanken zu haben. Er ist ein Stellvertreter für das Publikum, das über das lacht, was wir selbst niemals wagen würden. 

Ivan Calbéracs „Liebesbriefe aus Nizza“ mit Sabine Azéma und André Dussollier (Credit: Neue Visionen)

So sehr man Anleihen an klassische Komödien in Ihren Arbeiten erkennen kann, fühlen Sie sich doch immer sehr zeitgemäß und modern an, kann man sie sich auf diese Weise immer nur in der aktuellen Gegenwart vorstellen, wie Sie das Konservative auf das Progressive prallen lassen. 

Ivan Calbérac: André Dussolliers Figur ist ein konservativer Mann, wie viele Franzosen in diesem Alter wertebewahrend sind. Er vertritt klassische Werte, hat seine Prinzipien, kommt mit den Entwicklungen in der modernen Welt nicht mehr klar. Die Situation überfordert ihn total. Für ihn haben die Werte noch funktioniert, und auf einmal bricht alles um ihn herum zusammen, soll all das nichts mehr wert sein. Das ist eine wunderbare Ausgangssituation für eine Komödie: der störrische Alte, der mit der Moderne kollidiert. 

Aber das junge Publikum sprechen Sie ebenfalls an, richtig?

Ivan Calbérac: Ich will keine Filme machen, die nur eine Zielgruppe ansprechen. Wo läge da der Reiz? Ich will kommunale Ereignisse schaffen, für die Alt wie Jung Kinotickets lösen. Ich wollte mich an alle Generationen wenden. Für mich ist „Liebesbriefe aus Nizza“ ein Familienfilm. Eltern können ihre Kinder mitnehmen, die Großeltern sind auch eingeladen. Und dann kann man gemeinsam lachen und über das Gesehene reden. Das ist möglich dank der Mischung aus Klassischem und Modernem. Ich war selbst überrascht, wie groß der Anklang bei der jungen Zielgruppe war in Frankreich, die sich stark angesprochen fühlte. Ich denke, das liegt an der großen Bandbreite von Humor, die der Film abdeckt. Es gibt Klamauk, Dialogwitze, Situationskomik. Das spricht ein großes Publikum an. 

Glauben Sie, dass Ihre Art von Komödie tatsächlich einen Dialog zwischen den Generationen anstoßen kann?

Ivan Calbérac: Das wäre vermessen. Aber ich glaube fest daran, dass man, wenn man miteinander lachen kann, immer eine Grundlage für Dialog hat. Was die Menschen, die meine Filme sehen, dann tatsächlich mitnehmen, bleibt ihnen überlassen. Ich bin kein Lehrer, ich will unterhalten. Meine Filme sind einfach nur ein Angebot. Charlie Chaplin hat einmal gesagt: Das Leben ist in der Großaufnahme eine Tragödie und in der Totalen eine Komödie. Das gefällt mir. Ich selbst sage immer: Eine Komödie ist eine Tragödie mit Abstand. Hier ist es einfach wichtig, die Figuren erst einmal stürzen zu lassen. Wenn sie dann wieder aufstehen, machen sie eine Entwicklung durch. Wünschen wir uns das für unsere Leben nicht alles. Aber so ist das Kino: Für 100 Minuten erfüllt es alle unsere Wünsche. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.