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Élise Girard zu „Madame Sidonie in Japan“: „Das ist erst der Anfang“

Nachdem sie „Madame Sidonie in Japan“ erstmals vor einem Jahr in Venedig zeigte, kam ihre ungewöhnliche Liebeskomödie mit Isabelle Huppert und August Diehl nun auch beim Filmfest München blendend an. Heute startet der Film im Verleih von Majestic. Ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch mit Regisseurin und Autorin Élise Girard. 

„Madame Sidonie in Japan“-Regisseurin Élise Girard (Credit: Kinoelektron)

„Madame Sidonie in Japan“ ist viele Dinge. Zunächst einmal fällt auf, dass der Film eine Liebeserklärung an Japan ist.

Élise Girard: Ich habe Japan 2013 entdeckt, da habe ich das Land erstmals bereist. Und man kann schon sagen, dass ich mich zu dieser Zeit in einer ähnlichen Situation befunden habe wie Sidonie in meinem Film… Interviews, Pressetour, ein bisschen Sightseeing… Ich war zutiefst beeindruckt. Es war alles so leise, die Menschen waren zurückhaltend, alles fühlte sich so… weich an. Ich fühlte mich ungeheuer wohl, alles war so ansprechend und schön. Das war alles so neu für mich. Als ich zurückkehrte nach Frankreich setzte ich mich sofort hin, um meine Eindrücke festzuhalten. Ich wollte nichts davon vergessen! Und aus diesen Auszeichnungen entstand dann „Madame Sidonie in Japan“.

Natürlich muss man gleich an „Lost in Translation“ denken. Bis einem auffällt, dass „Madame Sidonie“ genau den umgekehrten Blick hat. Der Film von Sofia Coppola blickt belustigt auf Japan; in Ihrem Film blickt Japan belustigt auf Ihre Figuren.

Élise Girard: Und mein Paar besteht nicht aus zwei Menschen aus einem anderen Kulturkreis; es ist eine Französin und ein Japaner. Das ändert eigentlich alles. Ich blicke nicht auf Japan herab, ich fühle mich nicht überlegen, ich schmunzle nicht über eine mir fremde Kultur. Mein Blick ist geprägt von großem Respekt. Ich nehme das Land sehr ernst, ich schätze es. Sidonie ist eine Figur, die nach Japan kommt und umhüllt wird von dem Land, es wirkt auf sie ein. Das Land spielt die dritte Hauptrolle in meinem Film. 

Ohne Japan würde es auch keine Handlung geben. Nur die besondere Wirkung des Landes inspiriert Sidonie, den Geist ihres Ehemanns zu sehen – dann eine Geistergeschichte ist „Madame Sidonie in Japan“ obendrein…

Élise Girard: Das stimmt. Ich habe mich beim Verfassen des Drehbuchs immer von japanischer Kultur leiten lassen. Für Japaner ist es nichts Ungewöhnliches, die Geister ihrer Lieben oder Verwandten zu sehen. Es ist völlig normal. Es bedeutet, dass man seelenvoll ist. Wenn man einen Geist sieht, heißt das, dass man voller Seele ist. Niemand hält einen für verrückt. Es fiel mir ganz leicht, diese Geisteshaltung zu übernehmen. Und sie auch in meinem Film unterzubringen. Ich finde nicht, dass es wunderlich wirkt. 

Isabelle Huppert und Elise Gerard bei der CineCoPro-Premiere „Madame Sidonie in Japan“ im Rahmen des 41. Filmfest München (Credit: Sophie Mahler / Filmfest München)

Ihr Film zeichnet sich auch durch eine feine Distanziertheit aus. Im ganzen Film sucht man vergebens auf eine Nahaufnahme. Wie kommt das?

Élise Girard: Ich denke, das ist einfach mein Stil des Filmemachens. Diese Form der visuellen Gestaltung zieht sich wie ein roter Faden durch meine Arbeiten. Ich mag es, Abstand zu halten. Aus der Entfernung kann man viel mehr sehen und wahrnehmen, als wenn man nahe rangeht. Als Zuschauer behält man aus der Distanz die Freiheit, an dem Film teilzuhaben, wie man will. Es wird einem nichts aufgedrängt. Man hat Freiraum, zu denken und sich im Rahmen der Geschichte zu bewegen. Mir ist es wichtig, dass die Zuschauer, die meine Filme ansehen, sich wie Menschen behandelt fühlen. Ich respektiere ihre Gefühle und was sie denken. Es ist wichtig, sich aktiv an einem Film beteiligen zu können, wenn man ihn ansieht. 

Dem entspricht auch, dass Ihr Film mit zunehmender Dauer immer langsamer zu werden scheint, die Bilder wirken immer mehr entvölkert, nur noch die beiden handelnden Hauptfiguren sind zu sehen. 

Élise Girard: Ich wollte zwei Menschen zusammen zeigen. Und zwar nur sie zusammen. Zusammen allein, wenn man so will. Ich wollte, dass sich der Film so anfühlt wie ein Traum, ein Japan im Traumzustand zeigt. Mir gefällt diese Künstlichkeit, das entspricht dem Medium Film. Ich bin nicht interessiert an Naturalismus. Ich wollte meine Hauptfiguren zeigen wie in einer Blase, in einem Vakuum, unter einem Vergrößerungsglas, sie sollten sich in einer artifiziellen Welt bewegen, eine Welt voller japanischer Tempel und Kirschblüten. 

Ihre sehr statische Mise en Scene erinnert an japanische Meister wie Ozu oder Mizoguchi, der im Film sogar Bestandteil eines Running Gags ist. Ist Ihnen japanisches Kino wichtig?

Élise Girard: Sehr wichtig sogar. Bevor ich erstmals nach Japan gereist war, hatte ich mich bereits in das Land verliebt wegen der Filme, die ich aus Japan kannte. Diesen Blick auf Japan habe ich niemals abgelegt. Naruse und Ozu sind mir lieb und teuer. Ihr Kino ist so elegant, es wirkt niemals angestrengt oder bemüht. Dass man meine Filme als inspiriert von ihnen empfinden könnte, wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Wenn man mich aber darauf hinweist, verstehe ich, wie man das finden kann. Ich sehe die Parallelen auch. Aber das ist unterbewusst entstanden. 

Manchmal muss man gar nicht hinsehen. Wie Tsuyoshi Ihara Französisch spricht, ist ein Traum.

Élise Girard: Dabei spricht er kein Wort Französisch. Kein Wort! Er hat alles phonetisch gelernt, ohne zu verstehen, was er gerade sagt. 

Anders als August Diehl, dessen Französisch erstaunlich ist. Wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?

Èlise Girard: Ich habe ihn in dem Film eines Freundes gesehen, „Schwarzer Diamant“ von Arthur Harari, und dann später in „Ein verborgenes Leben“ von Terrence Malick. Ich war erstaunt von seiner Wandelbarkeit. Ich liebe sein Gesicht, seine Augen. Nachdem ich ihn erstmals getroffen hatte, war völlig klar, dass nur er mein Antoine sein konnte. Er ist ein wunderbarer Schauspieler und ein toller Mensch. 

„Madame Sidonie in Japan“ ist Ihre dritte Regiearbeit. Würden Sie sagen, dass Sie sich als Filmemacherin gefunden haben?

Élise Girard: Ich finde schon. Mit „Madame Sidonie in Japan“ habe ich gezeigt, wer ich bin, was ich kann, was man von mir erwarten kann. Das ist die Richtung, in die ich gehen will. Aber ich denke auch, das ist erst der Anfang. Da steckt noch viel mehr in mir, ich merke, wie ich mich immer wohler fühle, wie sich mein Ausdruck verbessert, wie ich Wege finde, meine Fantasie tatsächlich in Bilder packen. Ich freue mich auf alles, was kommt. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.