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Die Macherinnen von „Der Schatten des Kommandanten“: „Hoffnung und Versöhnung sind möglich“

Heute startet im Verleih von Warner Bros. ein wichtiger Film in ausgewählten deutschen Kinos, „Der Schatten des Kommandanten“. Vor dem Special-Screening am Montag im Berliner Delphi nutzte SPOT media & film die Gelegenheit für ein Gespräch mit Regisseurin Daniela Völker und den Produzentinnen Wendy Robbins und Gloria Abramoff. 

Gloria Abramoff, Kai Höss, Maya Lasker-Wallfisch, Hans-Jürgen Hoss, Daniela Völker und Wendy Robbins beim Special Screening von „Der Schatten des Kommandaten“ (Credit: Andre Mischke / Warner Bros. Pictures)

Wie beginnt man einen so ungewöhnlichen Dokumentarfilm? Was war die Initialzündung?

Daniela Völker: Ich erhielt den Kontakt zu Maya Lasker-Wallfisch, weil Interesse bestand an einem Film darüber, wie es ist, als Kind eines Auschwitz-Überlebenden aufzuwachsen und sein Leben zu führen, einem Film über transgenerationales Trauma. Das fand ich interessant, aber weil ich es bevorzuge, meine Filme über einen längeren Zeitraum zu machen, suchte ich nach einem breiteren Ansatz. Bei der Recherche im Internet stieß ich auf die Autobiographie von Rudolf Höß, von der ich bislang nichts gewusst hatte, was ich überraschend fand, weil ich in der Vergangenheit bereits in Auschwitz gedreht habe und umfassende Recherchen betrieben hatte. Das ließ mich weiterforschen und ich entdeckte, dass Höß‘ Enkel Kai Höss ungefähr in meinem Alter war und dass sein Vater, Hans Uwe Höss, ebenfalls noch lebte, der als Kind mit dabei gewesen war, als die Familie in Auschwitz unmittelbar neben dem Lager gelebt hatte. Die beiden Stimmen gegenüberzustellen, die Tochter der Überlebenden und der Sohn des Täters, interessierte mich.

Und es war klar, dass es ein Film werden sollte?

Daniela Völker: Kurz stand die Idee im Raum, es einen Zweiteiler fürs Fernsehen werden zu lassen. Aber das hat sich für mich schnell erledigt, weil ich den Gedanken spannend fand, nicht nur diese beiden Seiten gegenüberzustellen, sondern sie nach Möglichkeit im Verlauf des Films treffen zu lassen. Zuerst haben wir versucht, Anita Lasker-Wallfisch dazu zu bewegen, mit ihrer Tochter und uns nach Auschwitz zu kommen – die Szene sieht man im Film! Sie lehnte ab, weil sie sagte, dass das Auschwitz ihrer Tochter nicht ihr Auschwitz sei. Zu unserer Überraschung sprach sie aber eine Einladung an die Höss-Familie aus, sie bei sich zuhause zu besuchen und Kaffee und Kuchen mit ihr zu haben. Das war ein bezaubernder Moment und völlig unerwartet. 

Wie war der Kontakt zur Familie Höss zustande gekommen?

Daniela Völker: Mein Ansprechpartner war zunächst Kai Höss. Sobald es die Covid-Restriktionen in Großbritannien erlaubten, wo ich lebe, trafen wir uns und ich erzählte ihm davon, was für ein Film mir vorschwebte, und dass ich es sehr schätzen würde, wenn er mitmachen würde. Er war aufgeschlossen, räumte aber ein, dass er sich nicht vorstellen könne, etwas Interessantes beisteuern zu können, zumal sein Vater ihm immer erzählt hatte, er könne sich nicht richtig an die Zeit damals erinnern. Kurz nach diesem Treffen erhielt ich einen Anruf von Kai, er habe mit seinem Vater gesprochen und wolle, dass ich ihn kennenlerne. Das war ein wichtiges Treffen. Ich sagte ihm, dass es wichtig sei, ihn zu dokumentieren, weil er zu den letzten Zeugen gehört. Wenn die direkten Zeugen nicht mehr sind, verlieren wir die Unmittelbarkeit, besteht die Gefahr, dass dieser Zeitabschnitt im Nebel der Geschichte verschwindet. Mit unserem Film wollen wir jungen Menschen die Gelegenheit bieten, sich auf einer menschlichen wie auch intellektuellen Ebene mit den Dingen verbinden zu können, die damals geschehen sind. 

„Wenn die direkten Zeugen nicht mehr sind, verlieren wir die Unmittelbarkeit.“

Daniela Völker

Warum sind Sie als Produzentinnen mit an Bord gekommen, Frau Abramoff und Frau Robbins?

Wendy Robbins: Ich kenne Daniela schon sehr lange. Vor 25 Jahren hatten wir ein gemeinsames Filmprojekt in Indien. Wir blieben danach allerdings nicht in Kontakt. Nun hatten wir mit der Produktionsfirma, bei der ich arbeite, ein Meeting mit dem Agenten von J.K. Rowling, Neil Blair, der am Ende des Treffens nur am Rande anmerkte, dass sein verstorbener Vater sich sehr für die Geschichte des Holocaust interessiert hätte und wir ihm Bescheid geben sollten, wenn wir von einem Stoff hörten, der sich mit diesem Thema befasst. Er wäre bereit, als privater Finanzier an Bord eines solchen Projekts zu kommen. Kurz darauf erhielt ich aus heiterem Himmel einen Anruf von Daniela, die nach Partnern und Finanziers für ihren neuen Film suchte. Sie hatte bereits angefangen und Material gedreht und hoffte nun, Unterstützung in der jüdischen Community zu erhalten. Wir waren hin und weg von dem Material – wie kurz danach auch Neil Blair, der zu seinem Wort stand und zumindest in Teilen für die Finanzierung aufkam. 

Was waren Ihre Gedanken und Gefühle, als Sie die Höss-Familie kennenlernten? Wie wichtig ist Ihre persönliche Haltung zu ihnen für den Film?

Daniela Völker: Weil mein Vater etwa zur selben Zeit geboren wurde wie Hans Jürgen Höss und er auch Deutscher ist, war mir bewusst, dass unter deutschen Männern dieser Generation, die also zwischen 1930 und 1945 geboren wurden, nach dem Krieg fast so etwas wie ein Schweigegelübde bestand, eine kollektive Amnesie. Das war mir bewusst, als ich Hans Jürgen Höss traf. Mir war auch bekannt, wie Traumata sich auf Erinnerung auswirken können. Das sieht man auch in meinem Film: Nur weil sich jemand nicht erinnern kann, von seinem Kinderzimmer aus den Rauch gesehen zu haben, der aus dem Krematorium aufstieg, heißt das nicht, dass es nicht passiert ist. Es ist eher andersherum: Man erfährt dadurch etwas über diesen Menschen – und nicht über die historischen Fakten, für die es zahlreiche Beweise und Aufzeichnungen gibt. Die Höss-Familie trägt eine schwere Last, und jedes Familienmitglied hat für sich einen Weg gefunden, damit umzugehen. 

Bernd Buder, Felix Klein, Gloria Abramoff, Hans-Jürgen Höss, Maya Lasker-Wallfisch, Daniela Volker, Kai Höss, Steffen Schier und Wendy Robbins beim Special Screening von „Der Schatten des Kommandanten“ im Delphi Lux Kino in Berlin (Credit: Andre Mischke / Warner Bros. Pictures

Wendy Robbins: Als ich Hans Jürgen Höss und Kai Höss in unserem Haus kennenlernen durfte, hatte ich gerade eine Reise nach Auschwitz hinter mir. Sie können sich gewiss vorstellen, dass das für mich als jüdische Frau keine einfache Erfahrung war. Ich kann mich noch erinnern, dass mir ein Gedanke durch den Kopf schoss: Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass mein Vater die Verantwortung für die Ermordung von mehr als einer Million Menschen tragen würde, wenn er diese Morde angeordnet hätte? Wie kann man damit umgehen, wie kann man damit leben, weitermachen? Hans Jürgen Höss hat ein sehr stilles Leben geführt, hat mit niemandem darüber gesprochen, hat sich bedeckt gehalten. Warum ist er nicht an die Öffentlichkeit gegangen, hat Menschen darüber unterrichtet, was passiert ist? Aber Daniela hat es mir erklärt, wie sie es gerade erklärt hat: Diese Generation von Männern ist stumm geblieben. Es war ihre Art und Weise, mit der Scham umzugehen, mit der Schande und der Schuld. Umso mehr beeindruckt mich, dass Hans Jürgen Höss im Alter von 87 Jahren entschlossen hat, sein Schweigen zu brechen. Dass er bereit war, vor der Kamera Zeugnis abzulegen. 

Würden Sie sagen, dass er Verantwortung übernimmt? Anders als seine Schwester, die im Film ebenfalls zu sehen ist, leugnet er nicht, was sein Vater gemacht hat.

Gloria Abramoff: So weit würde ich nicht gehen. Nein, Verantwortung ist der falsche Ausdruck. Er gesteht ein, was passiert ist. Ihm ist es wichtig, diese Geschichte zu erzählen, weil er besorgt ist von dem Anstieg des Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Das ist ein wichtiges Thema für ihn. Das ist doch interessant, oder? Aber er übernimmt keine Verantwortung für die Handlungen seines Vaters. Als seine Verantwortung empfindet er, eine Botschaft von Hoffnung und Versöhnung zu vermitteln. Er will ein Gespräch anstoßen. Das nötigt mir Respekt ab. Wie Wendy schon sagte: Er hätte das nicht tun müssen als sehr alter Mann. Er hätte auch einfach in seiner Anonymität verharren können. 

Anita Lasker-Wallfisch empfängt Kai Höss und Hans Jürgen Höss in ihrem Haus (Credit: Warner Bros.)

Es ist durchaus bewegend, ihm dabei zuzusehen, wie er mit sich und der Hinterlassenschaft seines Vaters ringt, wie er sich mehr und mehr dafür öffnet, zu erkennen und anzuerkennen, was damals passiert war.

Gloria Abramoff: Das ist Daniela zu verdanken! Zu Beginn der Geschichte verleugnet er noch, dass die Vorfälle damals etwas mit ihm zu tun haben, dass er als Kind Zeuge des Holocaust war. Er hatte das Buch seines Vaters nicht gelesen, er hatte als Erwachsener niemals die Gedenkstätte Auschwitz besucht, er hatte 55 Jahre lang nicht mit seiner Schwester gesprochen. Daniela hat metaphorisch und tatsächlich seine Hand gehalten, hat ihn gestützt und geführt. Sie hat ihm diese Reise ermöglicht, die er als sehr befreiend empfindet. Zumindest ist das mein Eindruck… Oder täusche ich mich, Daniela?

Daniela Völker: Die Gelegenheit hat sich ihm nie geboten. Er lebt in einem sehr abgeschiedenen Teil von Deutschland, ist ein sehr privater Mensch. Er selbst hätte wohl nicht erwartet, dass sich die Dinge in dieser Form fügen würden. Das hat es ihm möglich gemacht, sich und seine Vergangenheit zu konfrontieren, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Es wäre gewiss auch nicht möglich gewesen, wenn ich ihn nur kurz getroffen und ein einstündiges Interview mit ihm geführt hätte. Wir haben uns für den Film mehrere Jahre immer wieder getroffen. Das hat etwas mit ihm angestellt. 

Wendy Robbins: Wenn der Sohn von Rudolf Höß heute sagt, dass er Angst hat, wir hätten nicht aus der Geschichte gelernt, und er befürchte, was schon einmal passiert ist, könne wieder geschehen, dann sendet das eine starke Botschaft. Wir hatten gerade die Arbeit am Schnitt abgeschlossen, als der 7. Oktober passierte. Das veränderte schlagartig noch einmal alles. Unser Film war mit einem Mal keine Warnung mehr, er war von der Geschichte noch vor seiner Veröffentlichung überholt worden. Wir haben überlegt, ob wir noch einmal Hand anlegen, womöglich Anita Lasker-Wallfisch befragen sollten. Wir haben uns dagegen entschieden. Die Botschaft hat sich nicht verändert. Sie ist höchstens noch dringlicher geworden. Wie Daniela sagte: Der Film nimmt seinen eigenen Raum ein. Seine Botschaft ist: Hoffnung und Versöhnung sind möglich. Er erzählt von der Möglichkeit von Vergebung. Das hat sich nicht verändert. Nach dem 7. Oktober ist seine Aussage noch wichtiger. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.

Lesen Sie überdies hier unsere Besprechung von „Der Schatten des Kommandanten“.