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Daniel Sponsel: „Der Dokumentarfilm fungiert nicht als News-Kanal“

Wenn sich einer auskennt mit Dokumentarfilmen, dann Daniel Sponsel. Der langjährige Leiter des DOK.fest München über den gestiegenen Stellenwert des Non-Fiction-Bereichs und Schwerpunkte im diesjährigen Programm. Los geht’s mit der 39. Ausgabe am 1. Mai.

Daniel Sponsel ist seit 14 Jahren Leiter des renommierten DOK.fest München; er ist Mitglied zahlreicher Jurys und ist u.a. Mitglied der AG Dokumentarfilm und im Freundeskreis der HFF München und war Teil diverser Auswahl- und Fördergremien.(Credit: DOK.fest München)

Sie leiten das DOK.fest München seit 2010. Mit Ihrer Expertise und Kenntnis, wage ich eine sehr breit gefasste Eingangsfrage zu stellen: Wo steht das Dokumentarfilmschaffen im Jahr 2024?

Daniel Sponsel: Das ist eine vielschichtige Frage. Einerseits ist das Dokumentarfilmschaffen nicht einfacher geworden, die Mittel sind von Seiten der Fernsehsender und von Seiten der Förderung nicht stark gewachsen. Die Kostenfaktoren beim Dokumentarfilm sind nicht so einfach kalkulierbar wie beim Spielfilm. Zeit ist ein wichtiger Faktor. Das ist die kritische Seite. Die andere Seite ist jedoch positiv: Der Stellenwert von Dokumentarfilmen, was ihre Öffentlichkeitswirkung und Relevanz anbetrifft, ist weiter gestiegen.

Dokumentarfilme liegen also im Trend. Vor allem die Streamer springen auf dieses Pferd auf. Würden Sie das unterschreiben?

Daniel Sponsel: Der Factual- oder Non-Fiction-Bereich ist sehr breit aufgestellt in der Frage, welche Formate, welche Themen, welche Macharten es gibt. Tatsächlich hat sich einiges – vom klassischen Dokumentarfilm ausgehend – sehr stark weiterentwickelt. Das Non-Fiktionale wird als Segment des Marktes für ein breiteres Publikum von allen Playern entdeckt, das stimmt. Manches schießt auch übers Ziel hinaus in der Art und Weise, wie Inhalte vermittelt werden wollen oder sollen.

„Eternal You“ (Credit: DOK.fest München

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Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten, Rechtsdruck, Klimakatastrophen, Krieg. Die Menschen wollen informiert werden. Führt das vielleicht auch dazu, dass die Nachfrage nach journalistischem bzw. dokumentarischem Schaffen steigt?

Daniel Sponsel: An Krisen, über die man erzählen kann, hat es noch nie gemangelt auf dieser Welt. Tatsächlich ist teilweise eine Übersättigung beim Publikum festzustellen. Denn wenn die Krisen und Kriege näherkommen, suchen die Menschen in ihrer Freizeit eher Zerstreuung. Das ist ein Aspekt. Andererseits gab es noch nie so viel Berichterstattung über Bilder, vor allem durch die Social-Media-Aktivitäten, die Krisen und Kriege permanent präsent halten. Deshalb nimmt der Dokumentarfilm einen besonderen Stellenwert ein, weil er eine andere Perspektive, eine individuellere, relevantere, substanziellere einbringen kann und nicht als News-Kanal fungiert. Dieser Bedarf besteht schon, dass es da jemanden gibt, der oder die genauer hinschaut und einem die Zustände auf der Welt narrativ vermittelt.

Das DOK.fest München legt den Finger in eine aktuelle Wunde unserer Gesellschaft: es nimmt den Zustand der Demokratie in Europa in den Fokus.

Daniel Sponsel: Unser jährliches Schwerpunktthema kristallisiert sich aus den Einreichungen heraus. Dieses Jahr war die Angebotslage von vielen starken Filmen geprägt, die den Zustand der Demokratie unter die Lupe nehmen. Das ist nachvollziehbar, weil die Krisen in den Demokratien europäischer Kernländer, die man jahrzehntelang nicht in Frage gestellt hat, weit fortgeschritten sind durch die Unterwanderung von Populisten und anderen Kräften. Weiter, als uns lieb ist. Das ist also ein sehr wichtiges, relevantes Thema!

Die Philosophie des DOK.fest München wird beschrieben mit dem Satz: Dokumentarfilm ist die Kunst der Stunde. Können Sie das näher erläutern?

Daniel Sponsel: Wir erwarten von Dokumentarfilmen, dass sie gesellschaftlich relevant und künstlerisch wertvoll sind. Das nehmen wir sehr ernst. Sie müssen auf der Kinoleinwand bestehen und Festivalpotenzial haben. Das ist wichtig. Das erwarten wir, das erwartet unser Publikum. Mit der Kunst der Stunde meine ich, dass keine andere Kunstgattung so unmittelbare Bezüge hat zur Gegenwart und zur äußeren Wirklichkeit und gleichzeitig so vielfältige Möglichkeiten, diese zu interpretieren und zu erzählen. Das kann ein Stückweit das moderne Theater und die Literatur. Aber Dokumentarfilme sind noch mal sinnlicher.

Ist der Dokumentarfilm der bessere Film?

Daniel Sponsel: Natürlich! Wobei die Frage ist, was „besser“ bedeutet. Es gibt natürlich auch großartige fiktionale Filme. Aber tatsächlich hat ein Dokumentarfilm für mich, in dem Moment, wo er vorbei ist und der Bezug zur vorfilmischen Wirklichkeit besteht, mehr Substanz, mehr Relevanz. 

Was ist Ihr Anspruch an die Kuratierung?

Daniel Sponsel: Unser Anspruch ist eine vielfältige Kuratierung. Wir sind ein großes Festival, zeigen eine hohe Anzahl an Filmen, dieses Jahr 109. Da ist es wichtig, vielfältig, divers zu sein, ein breites Spektrum an Themen anzubieten. Wir wollen dem Publikum die Chance geben, die Welt in all ihren Facetten zu erleben.

„Gibt es die Filme nur im Kino, verlieren wir einen Teil des Publikums.“

Daniel Sponsel

Die 109 Filme des diesjährigen Programms stammen aus 51 Länder. Können Sie immer aus dem vollem schöpfen? Werden Sie auch überrascht, aus welchen Regionen Filme kommen?

Daniel Sponsel: Wir hatten mit 1287 Filmen 100 Einreichungen mehr als letztes Jahr. Das ist schon enorm. Es kommen tatsächlich immer wieder Filme aus Regionen oder Ländern, die keine Filmwirtschaften im üblichen Sinn haben, und uns überraschen. Das bilden wir ein stückweit auch ab.

Sie sind ein Festivalleiter, der sich nicht sträubt, die Festivalfilme auch nachhause zu bringen. Das DOK.fest München existiert auch als digitale Variante, damals geboren aus der Not durch die Coronapandemie. Während andere Festivals das digitale Angebot wieder abgeschafft haben, halten Sie daran fest…

Daniel Sponsel: Das ist dem Publikum wichtig. Wir werden niemanden ins Kino bringen, der aus verschiedenen Gründen nicht ins Kino gehen kann. Gibt es die Filme nur im Kino, verlieren wir einen Teil des Publikums. Das kriegen wir gespiegelt. Ob das nun junge Eltern in München sind, die abends nicht wegkönnen, oder jemand in Osnabrück, der nicht extra nach München reisen kann. Warum sollten wir unsere Filme diesen Gruppen nicht auch zugänglich machen. Die meisten unserer Filme erfahren anschließend keine Kinoauswertung und schaffen es nicht ins deutsche Fernsehen. Irgendwann vielleicht einmal auf irgendeine Plattform… Durch unser digitales Angebot, das wir als Add-on verstehen, öffnen wir viele Türen. Ein Festival ist ein Festival, ist Begegnung vor Ort im Kino. Das ist unersetzlich. 

Was sind persönliche Highlights im diesjährigen Programm?

Daniel Sponsel: Die Kooperation mit dem Goethe-Institut bei unserer Reihe „Filmmaking in Exile“ ist ein Highlight. Normalerweise haben wir die Reihe DOK.guest, bei der ein Land eingeladen wird. Dieses Jahr sind mehrere Länder zu Gast, weil es exilierte Filmschaffende sind, die nicht in ihren ursprünglichen Ländern arbeiten können, aber über sie erzählen. Wir zeigen damit ein gesellschaftspolitisches Spektrum auf, das beispielhaft für das DOK.fest München ist. Außerdem ist Musik immer ein Highlight. Es ist erstaunlich, dass es Jahr für Jahr Dokumentarfilme über interessante Musiker:innen gibt. Dieses Mal haben wir ein Porträt über Cyndi Lauper im Programm und einen wirklich großartigen Film über die Dirigentin Joana Mallwitz, der im besten Sinne eine Heldenreise erzählt.

Auch VR hat das DOK.fest München im Blick, sogar mit einem eigenen Pop-up Kino…

Daniel Sponsel: Seitdem ich das Festival leite, gab es eine enorme Entwicklung mit neuen digitalen Möglichkeiten. Crossmedia, Transmedia, 3D, AR, VR, jetzt KI… Wir sind offen, uns das anzuschauen. Die Entwicklung des Erzählens, der Vermittlung von Wirklichkeit und Welt interessiert uns… Bei unserem VR Pop Up Kino sind wir dankbar über die Partnerschaft mit XR Hub und der Location im Ruffini Haus, wo wir viel Laufkundschaft erwarten dürfen. Es sind keine narrativen Werke, die dort gezeigt werden, aber es ist ein schönes Add-on, eine Experience, wie man so schön sagt.

Es gibt auch einen neuen Preis, den ICON DOCS Award. Für ein Festival in Zeiten zurückhaltender agierender Kultursponsoren doch sicher eine erfreuliche Sache…

Daniel Sponsel: Absolut. Wir können uns glücklich schätzen, mit Preisstifter:innen, die seit Jahren treu an unserer Seite sind, gut aufgestellt zu sein. Es ist auch schön, dass wir die Preise über die verschiedenen Festivalbereiche verteilen können. Es gibt die DOK.fest-Preise, die Preise für die Gewerke wie den DOK.edit Award von Adobe oder die Preise im Forum. Hier ist der ICON DOCS Award der Bavaria eine tolle Chance, ein Projekt zu fördern, das in Entstehung ist. 

Treue Preisstifter:innen zu haben ist auch nicht alltäglich… Ist die finanzielle Ausstattung des Festivals denn genauso zufriedenstellend?

Daniel Sponsel: Obwohl wir ein Spitzenfestival sind, bekommen wir vom Bund keine Förderung. Das ist bedauerlich. Die BKM fördert ja eigentlich die Leuchttürme, und wir sind definitiv ein Leuchtturm… Wie alle Kultureinrichtungen, wie alle Menschen, mussten auch wir mit der hohen Inflationsrate umgehen. Das Geld ist nicht mehr geworden, alles ist teurer geworden. Damit müssen wir fertigwerden. Aber ich will nicht jammern. Es könnte natürlich mehr sein, aber wir sind gut ausgestattet und können gut arbeiten. Luft nach oben ist immer. Wir könnten uns zum Beispiel viel mehr Internationalisieren, wenn das Budget da wäre… Das Potenzial wäre gegeben, Ideen hätten wir genug.

Das DOK.fest München ist nicht nur ein Publikumsfestival, sondern auch ein Branchenfestival. Was ist bei DOK.forum Industry geplant? Wie hat sich dieser Bereich entwickelt?

Daniel Sponsel: Der Marktplatz ist sehr stabil. Dieses Jahr stellen sich 47 Projekte vor. Die Einreichlage ist sensationell, wir können wirklich aus den besten Projekten auswählen. Als Match-Making-Event für die Branche ist der Marktplatz nicht mehr wegzudenken. In den Industry Talks widmen wir uns auch dieses Jahr wieder aktuellen Themen, nämlich KI und die Zukunft des Fernsehens, genauer gesagt die Aufstellung der Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender.

Das Gespräch führte Barbara Schuster

Fakten zum Festival