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Daniel Hoesl & Julia Niemann über „Veni Vidi Vici“: In der Welt der Superreichen

Daniel Hoesl und Julia Niemann über die schwierige Finanzierung von „Veni Vidi Vici“, die Welt der Superreichen und ihre Erfahrung in Sundance. Ihr gemeinsamer Film feiert am 6. April Österreichpremiere auf der Diagonale.

Julia Niemann und Daniel Hoesl inszenierten „Veni Vidi Vici“ gemeinsam; davor realisierten sie den Dokumentarfilm „Davos“; Kern ihrer Filme ist die Kritik am Kapitalismus (Credit: Elsa Okazaki)

Nach „Soldate Jeannette“ 2013, Ihrem Langfilmdebüt, durften Sie mit „Veni Vidi Vici“ wieder nach Sundance reisen, dieses Mal mit Julia Niemann. Welche Bedeutung hat dieses Festival für Sie? 

Daniel Hoesl: Es ist extrem wichtig. Wir haben immer gehofft, dass auch „Veni Vidi Vici“ in Sundance läuft, weil ich mit „Soldate Jeannette“ dort eben gute Erfahrungen gemacht habe. Auf jeden Fall gewinnen die Filme dadurch ein Momentum. Die Teilnahme in Sundance bedeutet eine extrem hohe Aufmerksamkeit und viel Filmpresse. Viele Leute gewinnen Interesse an uns als Filmemacher:innen, was zumindest die Hoffnung auf Möglichkeiten öffnet. Hätten wir uns für ein europäisches Festival für die Weltpremiere entschieden, hätten wir das alles nicht in dieser Form erreicht. Man schafft sonst nicht den Sprung über den Teich. Meine Filme waren bislang auch weniger in Deutschland erfolgreich, aber immer im anglosächsischen Raum, vor allem in Staaten oder Länder, wo der Kapitalismus sehr stark ist. Genau um dieses Thema kreisen meine Filme. 

Inwiefern tauscht man sich in Sundance auch mit der amerikanischen Branche, amerikanischen Kollegen aus?

Daniel Hoesl: Seit der ersten Sundance-Einladung sind enge Kontakte mit amerikanischen Kolleg:innen entstanden. Auffallend ist, dass sie viel größere Chancen und Perspektiven haben als wir und in den zehn Jahren seit meinem ersten Besuch teilweise unglaubliche Karrieren hingelegt haben. Auch dieses Mal haben wir wieder Kolleg:innen kennengelernt, die sehr interessant sind und die sicher sehr große Bekanntheit erreichen werden.

„Donald Trump war durchaus Projektionsfläche“

Julia Niemann

Ihre Filme üben Kritik am Kapitalismus, der Macht des Geldes, der Welt der Superreichen und den Freischeinen, die, egal, was sie machen, immer ungeschoren davonzukommen scheinen. Dass „Veni Vidi Vici“ im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl das Licht der Welt erblickte, ist doch sehr passend, wenn man bedenkt, dass Donald Trump erneut republikanischer Präsidentschaftskandidat sein wird.

Julia Niemann: Donald Trump war zwar nicht die Inspiration für unseren Film, aber durchaus Projektionsfläche. Er hat mal gesagt: „Ich könnte auf die Fifth Avenue gehen und jemanden erschießen und würde trotzdem wiedergewählt werden.“ Dieser Satz hat uns sehr beschäftigt, Daniel schon beim Schreiben, aber uns beide auch noch im Schnittprozess. Das ist das Mindset unseres Protagonisten. Nur dass es unseren Protagonisten zur Verzweiflung bringt, dass er machen kann, was er will, es aber nie Konsequenzen für ihn geben wird.

„Veni Vidi Vici“ erzählt über die Finanzelite, die abgehobene Klasse, die in Dekadenz und Amoralität lebt. Ein Film, der sich nicht nur sardonisch anhört, sondern auch ist. Bissig und entlarvend. (Credit: Ulrich Seidl Filmproduktion)

Ihr Film beginnt mit einem Zitat von Ayn Rand aus „The Fountainhead“: „The Point is: who will stop me?”. Inwiefern hat die Autorin eure Geschichte, das Drehbuch inspiriert?

Julia Niemann: Ayn Rand ist das Posterchild des neoliberalistischen Gedankens, des freien Markts. In den USA ist sie sehr wichtig. Wir haben das Buch zufällig gelesen und sind dabei auf dieses Zitat gestoßen, das sehr gut zu unserem Film passt.

Daniel Hoesl: Ich beschäftige mich sehr viel mit Wirtschaft, mit allen Wirtschaftstheoretikern. Sehr interessant ist der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter, der die Begriffe Entrepreneurship, Disruption und Creative Destruction erfunden hat. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Wirtschaftsprofessor in Harvard, in seiner Heimat Österreich auch erfolgloser Minister, Bankier und Pleitier. Seine Begriffe prägen neben Ayn Rand den Kapitalismus in der Form, wie er heute zum Beispiel an Orten wie Silicon Valley auftritt mit Risikokapital und Start-ups.

In Ihrem Vorgängerfilm „Davos“ haben Sie das Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Wirtschaft als Dokumentarfilm behandelt. „Veni Vidi Vici“ ist nun als Spielfilm eine messerscharfe Satire. Wann entscheiden Sie sich für das Genre Ihrer Stoffe?

Daniel Hoesl: Die Entscheidung haben wir nicht selbst gefällt. Es war einfach sehr schwierig, „Veni Vidi Vici“ zu finanzieren. Das Drehbuch stammt ursprünglich aus dem Jahr 2015, war also lange vor „Davos“ vorhanden. Aber die Förderung hat es einfach immer wieder abgelehnt. Diese Ablehnung hat mich in den finanziellen Ruin getrieben und in die Verzweiflung, einen Dokumentarfilm zu machen, ohne jedoch dieses Thema zu verlassen. Dieses dokumentarische Arbeiten hat sich für uns beide dann auch als toll und interessant herausgestellt.

Julia Niemann: „Davos“ war eine Art Vor-Recherche für „Veni Vidi Vici“ und weitere Projekte. Was wir da gesehen und erlebt haben, hatte für uns definitiv einen Mehrwert.

Daniel Hoesl: Es war auch ein tolles Privileg, beim Weltwirtschaftsforum dabei gewesen zu sein und über ein Jahr in Davos zu leben.

Wie haben Sie recherchiert? Wie ist Ihre Vorgehensweise bei der Ausarbeitung einer Geschichten? 

Julia Niemann: Bei „Veni Vidi Vici“ sind wir teils journalistisch vorgegangen in dem Sinne, dass wir Menschen angeschrieben und getroffen haben. Oft hatten diese Treffen auch ganz andere Gründe. Im Zuge von „WinWin“ zum Beispiel, der wie „Soldate Jeannette“ ein Low-Low-Budget-Film war, benötigten wir ein Privatflugzeug für den Dreh, konnten uns aber natürlich keines leisten. Also sind wir auf die Suche gegangen, haben recherchiert, wer in Österreich Privatjets besitzt und gefragt, ob wir einen für den Dreh borgen könnten. Wenn man mal anfängt, mit einer Person aus diesen Kreisen zu sprechen, kennt die wiederum die nächste… So sind wir in diese Welt der Superreichen hineingeraten. Im Zuge der Recherche haben wir einen sehr reichen Mann getroffen, der uns den Privatjet eines Freundes besorgt hat. Gleichzeitig hat uns dieser Kontakt sehr viel Einblick in eine Welt gegeben, die wiederum Inspiration zu „Veni Vidi Vici“ war.

Daniel Hoesl: Eines führt zum anderen. Es gibt überraschend viele Menschen mit Privatjets. Bei „WinWin“ hatten wir irgendwann den Anspruch, den richtigen zu finden. Wir waren nicht mit dem ersten zufrieden, sondern haben sehr viele Privatjets – wie auch Yachten – besichtigt. So lernt man dieses Milieu gut kennen. 

Für die Nutzung des Privatjets als Kulisse mussten Sie nichts bezahlen. Das hört sich ein wenig nach Mäzenatentum an. Wäre das nicht generell auch eine Möglichkeit, seine Filme finanziert und gemacht zu bekommen?

Daniel Hoesl: Davon kann ich nur abraten. Das Wichtigste bei diesen Superreichen ist, dass man nicht nach Geld fragt. Man kriegt einen Gefallen, aber kein Geld.

Julia Niemann: Das würden wir auch nie wollen.

Daniel Hoesl: Eben. Das würde unsere Arbeit korrumpieren.

Julia Niemann: Man ist auch auf Launen angewiesen. Einen Privatjet einer superreichen Person zu borgen, heißt auch, dass es vorkommen kann, dass die Tochter des Besitzers sich spontan entscheidet, am abgemachten Drehtag doch irgendwo hinzufliegen zu müssen. Dann steht das ganze Filmteam da wie ein begossener Pudel. Besonders ratsam, sich auf so etwas einzulassen, ist es nicht. Aber wenn man Filme macht über Superreiche und kein Budget hat, bleibt einem nichts anders übrig, als diese um einen Gefallen zu bitten. Bei „WinWin“ war dieser Weg letztendlich zum Glück ertragreicher, als wir dachten, weil er uns auch Geschichten geliefert hat.

Daniel Hoesl: Wenn man für einen Film dann tatsächlich ein Budget hat und alles zahlen muss, sind diese Gefallen nicht mehr möglich. Bei „Veni Vidi Vici“ hatten wir Geld und eine Produktionsfirma im Rücken. Deshalb war es erst auch sehr schwierig, einen Deal für den Dreh im wahrscheinlich größten österreichischen Privathaus, das mitten in Wien steht und 7000 Quadratmeter Wohnfläche hat, auszuhandeln. Die Vorstellungen des Besitzers konnten wir nicht erfüllen, wir mussten uns erst mühsam einigen. Bei unseren Filmen, wo wir kein Geld hatten, konnten wir müheloser umsonst in riesigen Wohnungen drehen…

Sie sind schon länger in die Welt der Superreichen eingetaucht. Kann man sagen, dass die Hauptfigur von „Veni Vidi Vici“ zusammengewürfelt aus realen Menschen besteht? 

Julia Niemann: Auf jeden Fall. Angefangen bei dem reichen Mann, der uns den Privatjet für „WinWin“ organisiert hat. Als wir den damals in seiner Villa besuchten, erlebten wir eine groteske Situation: Wir sahen seine Kinder mit Prinzessinnenkleidern und Tiaras durch den Raum laufen, die Nanny hinterher, und gleichzeitig im Hintergrund den Butler mit den Gewehren, um den Jagdausflug für den nächsten Tag in ein afrikanisches Land vorzubereiten, wo die Familie Eigenland hat. Diese Nachbarschaft von Familienherzlichkeit und -wärme auf der einen und Jagdinstinkt auf der anderen Seite hat uns nicht nur zum Drehbuch inspiriert, sondern hat uns auch viel zu Denken geben.

Daniel Hoesl: Die Figur des Amon ist jedoch nicht nur an diese Person angelehnt. Es gibt viele verschiedene Menschen, aus der sie sich speist. Es geht nicht um jemand Konkretes. Man muss nur die Zeitung aufschlagen und findet Inspiration.

„Meine Filme sollen unterhalten und irritieren“

Daniel Hoesl

Daniel, hat sich Ihre Arbeitsweise, Ihr künstlerischer Anspruch seit „Soldate Jeannette“ geändert? Welchen künstlerischen Ansatz verfolgen Sie? 

Daniel Hoesl: Ich mag gern sehr unterschiedliche Filme machen. Wenn ich von den narrativen Filmen spreche, ist es so, dass ich bei meinen ersten Arbeiten sicher noch ästhetisch radikaler war, gleichzeitig aber auch eine frustrierende Erfahrung gemacht habe, weil diese Filme kein Publikum gefunden haben. Ohne dieses ästhetische Fundament zu verlassen, versuche ich jetzt, bessere Zugänge zu schaffen, damit der Film auch von Menschen gesehen wird. Bei „Veni Vidi Vici“ haben wir uns zwar auch für eine Dramaturgie entschieden, die schwierig zu verkaufen war, weil sie keine Katharsis bietet. Dafür haben wir uns für Mittel entschieden wie das Voice Over oder auch die Filmmusik, die dem Publikum einen leichteren Zugang bieten. Im Falle eines Dokumentarfilms braucht man eine ganz andere Haltung. Bei „Davos“ haben wir uns für eine beobachtende Haltung entscheiden. Ich könnte nie anders arbeiten bei einem Dokumentarfilm. Ich mache keine Filme, die ein Thema erklären. Letztes Jahr habe ich in Italien einen Schwarzweißfilm gedreht, der wieder mit Filmreferenzen arbeitet, der sich wieder auf mein ästhetisches Interesse bezieht, als der Cineast, der ich durch die Lektüre der Kinobücher von Gilles Deleuze wurde. Ohne diese Bücher würde ich mich überhaupt nicht für Kino interessieren. Ich war kein jugendlicher Popcorn-Kinogänger. Gleichzeitig habe ich aufgrund unserer erneuten Reise in die USA endlich einen Zugang zu Serien gefunden. Für künftige Projekte würde mich durchaus ein ziemlich mainstreamiger Film interessieren. Auch, nachdem wir bei „Veni Vidi Vici“ mit einem normalen Budget und großer Maschinerie gearbeitet haben. 

Julia Niemann: Von Projekt zu Projekt finden Lernprozesse statt. Es ist aber schwierig zu lernen, wenn zwischen Projekten immer mehrere Jahre vergehen. Man vergisst viele Dinge wieder, und es ist schwer, seine Handschrift zu entwickeln und seine Technik zu verfeinern. Wenn man dann wieder mal an einem Filmset stehen darf, muss man sich vieles erst wieder in Erinnerung rufen. Es ist schwer, dem Handwerk des Filmemachens gewahr zu werden, wenn man nicht alle zwei, drei Jahre dreht.

Können Sie genau die Projekte machen, die Sie machen wollen? Oder stößt man auch an Ecken und Kanten, weil man im Fördersystem mitspielen muss?

Julia Niemann: Auch wenn man kompromisslos ist, muss man immer Kompromisse eingehen, weil Film ein kollektives Medium ist. Sobald andere Menschen mitbestimmen oder der Markt in den USA, die Förderjurys in Europa, oder das Team am Set, muss man sich in gewisser Weise öffnen. Alles andere würde dem Film auch nicht guttun. Heute darf man zum Beispiel nicht mehr antreten und sagen, man macht einen politischen Film, weil sich das nicht verkauft. Unsere Filme sind aber politisch. Die Kunst ist, dass man trotzdem nie seine eigenen Ideen, seine Ideale verrät. 

Daniel Hoesl: Ich habe mir abgewöhnt, politischer Film zu sagen. Ich sage jetzt immer: Meine Filme sollen unterhalten und irritieren.

Julia Niemann: Was ist denn ein politischer Film? Das ist ein weites Feld. „Joker“ oder „Parasite“ sind auch politische Filme. Es ist überhaupt kein Widerspruch, dass Filme unterhaltsam sein können und trotzdem zu Denken anregen. Gerade in diesen Tagen ist das kein Widerspruch.

Daniel, Sie waren viele Jahre Regieassistent von Ulrich Seidl. Was haben Sie von Ihm übers Filmemachen gelernt?

Daniel Hoesl: Bei der Ulrich Seidl Filmproduktion muss man sagen, dass auch Veronika Franz eine große Rolle spielt. Veronika Franz und Ulrich Seidl haben mir 2004 als Student in Multimedia Art ein Praktikum möglich gemacht. Ich dachte, es ist normal, wie Ulrich Seidl seine Filme macht. Ich kannte nichts anderes. Er dreht seine Filme nie nach dem üblichen, gelernten Produktionsablauf. Von ihm habe ich gelernt, dass Filmemachen geht, ohne sich an die Regeln zu halten, mit einer unbegrenzten Anzahl an Drehtagen, ohne Drehbuch. Wobei er schon eine Sonderstellung genießt. Ich habe für „Veni Vidi Vici“ ein Drehbuch schreiben müssen, weil wir sonst nicht durchgekommen wären. Das macht aber auch nichts, weil es mit Drehbuch auch geht. Aber das sind Lernprozesse, die ich machen musste. Es ist super, dass es Menschen gibt, die Filme machen, die nicht von diesen Filmreglements eingeschränkt sind. Das ist etwas, was in Österreich viel stärker möglich ist als in Deutschland. In Österreich gibt es nach wie vor einen ungewöhnlichen rebellischen Freigeist, der oft originellere Filme hervorbringt.

Daniel, Sie sind Gründer des Filmkollektivs „A European Film Conspiracy“. Was haben Sie sich damit auf die Fahnen geschrieben?

Daniel Hoesl: Dahinter steht der Teamgedanke. Ein Film entsteht immer nur im Team. Wir wollen, dass sich alle einbringen. Wir haben damals ein Konzept erarbeitet, bei dem pro Arbeitstag alle gleich verdienen, sozusagen einen gedeckelten Tagessatz, von den Darstellern über den Caterer hin zu mir. Bei meinem jüngsten Film, den ich in Italien gedreht habe, habe ich zum Beispiel eng mit einem Autor und einer Band zusammengearbeitet. Die Ideen und das Wissen kommen oft zum Großteil von anderen. Es gibt sehr unterschiedliche Wege, Filme zu machen. Oft wird Film hierarchisch strukturiert. Bei uns zählt der Kollektivgedanke. Deshalb mag ich das englische Wort für Regisseur viel lieber: Director. Ich bin jemand, der nur die Richtung vorgibt. Unser Verein wurde 2010 gegründet. Neben mir sind die Produzenten Katharina Posch und Georg Aschauer sowie Kameramann Gerald Kerkletz beteiligt, und natürlich längst Julia Niemann.

Barbara Schuster