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Anja Salomonowitz: „Einen Film auf die Welt zu bringen ist ein Prozess“

Am Donnerstag startet „Mit einem Tiger schlafen“ nun endlich auch in den deutschen Kinos. Wir sprachen mit Anja Salomonowitz über dieses besondere Biopic, in dem Birgit Minichmayr als Maria Lassnig zur Höchstform aufläuft.

Die renommierte österreichische Filmemacherin Anja Salomonowitz feierte mit „Mit einem Tiger schlafen” auf der Berlinale Weltpremiere; auf der Diagonale war der Film als Österreichpremiere zu sehen (Foto: IMAGO / Capital Pictures)

In einer Szene kommt Birgit Minichmayr als Maria Lassnig in eine Galerie und schimpft, weil die Bilder nicht richtig aufgehängt wurden. „Man muss doch verstehen, die Bilder richtig zu inszenieren!“, sagt sie. Beschäftigt Sie dieser Satz auch als Filmemacherin?

Anja Salomonowitz: Das ist eine große Frage, auf die ich gerne antworte. Erst mal zur Szene selbst. Das ist eine Szene, die mir sehr oft und immer genau gleich in meinen umfangreichen Recherche-Interviews mit Personen aus unterschiedlichsten Galerien erzählt wurde: Maria Lassnig echauffierte sich furchtbar gern über die Aufhängung ihrer Bilder, verlangte oft am Vortag einer Ausstellungseröffnung, dass alles umgehängt wird. Es gibt auch die Anekdote, dass sie sogar einmal gemeint hat: und die Wand da drüben, die gehört auch weg. Und am Tag der Eröffnung kam sie regelmäßig und meinte, dass es doch viel besser gewesen sei und alles zurückgebaut werden musste. Das ist oft vorgekommen, wie ein Muster. Die Personen, die das selbst erlebt haben mit ihr und meinen Film gesehen haben, lachen auch bei dieser Szene. Weil es eben genauso war.

Und zur Frage nach dem Bilderinszenieren?

Anja Salomonowitz Das Bilderinszenieren muss ich verstehen, es ist ja mein Beruf. In meinen dokumentarischen Arbeiten ist es immer so, dass ich der Realität einen Rahmen gebe, in der sie dann stattfindet. Dass sozusagen die Realität inszeniert wird, also in einen Rahmen gesetzt und verdichtet erzählt. Dass man dem Leben eine Form gibt, dem Leben im Film – dramaturgisch und in den Bildern. Das ist ja das Handwerk.

Aber gilt das auch bei „Mit einem Tiger schlafen“, der als Spielfilm deklariert ist?

Anja Salomonowitz: In gewisser Weise, wenn man hier das Drehbuch als Realität nimmt. Birgit Minichmayr meinte einmal, das Drehbuch sei die Bibel. Wir haben uns sehr genau daran gehalten, auch halten müssen, weil Birgit einen bestimmten Akzent nachspielt, der sich im Lauf des Films, in den verschiedenen Zeitstufen, verändert.

In Deutschland ist der Film beim Arsenal Filmverleih; in Österreich startete er bereits im April beim Stadtkino Filmverleih

Ihr Film thematisiert auch das Verhältnis Künstler:in – Kunstwerk. Maria Lassnig bezeichnet ihre Bilder als „meine Kinder“. Welches Verhältnis haben Sie zu Ihren Filmen? Verändert sich das vielleicht im Lauf der Zeit?

Anja Salomonowitz: Ich habe schon ein ähnlich enges Verhältnis zu meinen Filmen. Einen Film auf die Welt zu bringen ist ein Prozess. Ich würde keinen meiner Filme im Nachhinein ändern. Sie sind immer ein bisschen mehr als die Summe der Teile. Die Details greifen so ineinandergreifen und passen so zusammen, dass ich nicht wüsste, an welchen Schrauben ich drehen würde, um im Nachhinein etwas zu ändern. Meine Filme sind einfach selbstständig und gehören auch sich selbst.

Stichwort Von-der-Kunst-leben-können. Das war für Maria Lassnig lange Zeit schwierig. Können Sie von Ihren Filmen leben?

Anja Salomonowitz: Ich würde gerne von meinen Filmen leben können. Es ist auch ein bisschen absurd, dass sich die Präsenz meiner Filme in den Medien nicht monetär widerspiegelt. Sabine Derflinger, eine befreundete Filmemacherin, hat mir mal die Geschichte erzählt, dass sie bei einem Festival einen Gutschein gewonnen hat, sie aber kein Geld hatte, um sich Essen zu kaufen. Ein Gutschein bringt da wenig. Das ist ein gutes Bild für unsere Situation.

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig (Credit: Stadtkino Filmverleih)

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Was hat Sie an Maria Lassnig so fasziniert, dass Sie ihre Geschichte filmisch aufgreifen wollten?

Anja Salomonowitz: Am Anfang waren das ihre Farben. Ich kannte die Bilder und fand die Farben so wahnsinnig toll. Sie hat sie alle selbst gemischt, ihnen Namen gegeben und sie Gefühlen zugeordnet. Anschließend habe ich begonnen zu recherchieren, ich las viele Bücher wie etwa die Biographie von Natalie Lettner, habe sehr viele Menschen interviewt, Filme angeschaut, bin in Ausstellungen gegangen, habe Kataloge gelesen. Es gibt viele humorvolle Geschichten, Geschichten mit sehr viel Herz über sie zu entdecken, wie etwa den Kampf in der Kunstwelt, wo sie sich behauptet hat, und überhaupt hat mich diese sehr emanzipatorische Lebensgeschichte von einem Bauernkind, wie sie sich selbst nannte und das sie ja auch war, zur damals teuersten österreichischen Malerin fasziniert. Dennoch ist diese Erfolgsgeschichte auch von vielen Rückschlägen und Enttäuschungen gezeichnet, wenn die Männer um sie herum alle berühmt wurden, nur sie nicht… wobei sie dem Berühmtwerden auch ausgewichen ist mit ihren Umzügen nach Paris oder New York oder durch die Tatsache, dass sie ihre Bilder nicht verkaufen wollte und sehr misstrauisch war.

Sie hatte ja auch ein sehr interessantes Ritual, bevor sie ein Bild gemalt hat…

Anja Salomonowitz: Dieser Moment vor dem Malen war mir das Wichtigste, was mich außerhalb der biographischen Fakten am meisten interessiert hat. Sie hat sich jeden Tag in ihren Sessel gesetzt und auf die Eingebung gewartet, gewartet, dass die Gefühle kommen und sie ihr Inneres spürt, was sie dann im Anschluss auf die Leinwand bringen konnte. Dieser Moment des Spürens – da sitzt die Kreativität, da kommen die Ideen her. Das hat mich fasziniert.

„Der Ton sollte in den Körper reingehen.“

War die Idee, Birgit Minichmayr sie in fast allen Altersstufen spielen zu lassen, auch von Anfang an da?

Anja Salomonowitz: Ja. Bei mir ist es meistens so, dass ich mit der Idee auch schon die Form habe. Oder die Form sogar als erstes da ist. Das Drehbuch war fertig, als ich Birgit angesprochen habe. Birgit bringt diese Energie mit, die meiner Meinung nach genau Maria Lassnig entsprochen hat.

Welche Idee hatten Sie beim Sounddesign? Das ist sehr besonders…

Anja Salomonowitz: Für das Sounddesign zeichnet Veronika Hlawatsch verantwortlich, mit der ich sehr oft und sehr gerne zusammenarbeite. Wir wollten von Anfang an in dieses Sinnliche hineingehen. Das „Platschgeräusch“ des Pinsels zum Beispiel, wenn Lassnig Farbe in der Nivea-Dose anrührt, haben wir extra nachsynchronisiert. Es wurde ganz viel nachsynchronisiert, damit der Ton in den Körper reingeht. Veronika ist begnadet begabt.

Sie lehren und unterrichten auch, unter anderem an der Filmakademie Wien. Was macht Ihnen Freude daran?

Anja Salomonowitz: Was mir daran Spaß macht, ist, die Projekte von den Studierenden begleiten zu dürfen. An der Filmakademie Wien mache ich aktuell eine Lehrveranstaltung zum Thema Interview-Techniken. Jeder Studierende muss einen Interview-Film herstellen. Es ist eine richtige Fingerübung. Statt zu sprechen, was man erfahren hat, müssen sie das den anderen mit einem Film zeigen. Es ist schön, wenn man sich bei diesen Arbeiten nahe kommt und einander kennenlernt.


Das Gespräch führte Barbara Schuster